Die sogenannte stille Unterkühlung ist schon lange ein Thema beim Tauchen. Bei Kampfschwimmern gab es im Zweiten Weltkrieg eine Beobachtung: Langsames und nur sehr mildes Auskühlen, das subjektiv unbemerkt blieb, resultierte im Vergessen von Auftragsdetails.
Später gab es diese Beobachtung auch bei wissenschaftlichen Tauchern. Sie erschöpften bei stundenlangem Arbeiten in »warmem« Flachwasser (28 Grad Celsius) und stumpften ab.
Herausforderung Kältestress
Heute wissen wir über die Gefährdungen durch bereits milden Kältestress beim Tauchen mehr. Wir schützen uns durch Nass- und Trockentauchsysteme, ohne die Langzeitexpositionen, Eistauchen oder Tech-Tauchen undenkbar wären. Das Prinzip des Nasstauchanzugs hat die Natur vor uns schon bei tauchenden Pinguinen verwirklicht, die in ihrem Federkleid eine dünne, aber effektive Luftschicht mitnehmen. Robben wärmen in ihrem Fell eine Schicht Wasser auf, die hautnah eingeschlossen wird – der Nasstauchanzug der Natur. Kälteschutzsysteme wie Trilaminat-Trockentauchanzüge bringen sehr viel, wohingegen ein einfacher Nasstauchanzug wegen des Kompressionseffekts mit zunehmender Tiefe bedenklich an Schutzwirkung verliert. Die Schutzwirkung kann sich so vermindern, dass in 40 Meter Tiefe nur noch eine Isolationswirkung besteht, die einer ungeschützten Exposition an der Wasseroberfläche entspricht. Wenn der Kältestress nicht im Griff ist, kann so ein harmloser Tauchgang zu einer Gefahr für Leib und Leben werden.
Angriff auf die Tauchsicherheit
Mit »mildem Kältestress« ist ein Abfall der Körperkerntemperatur um weniger als 1 °C gemeint. Dem Taucher ist kühl, er fröstelt, hat noch aber kein Kältezittern. Alles scheint wie immer, vielleicht ein bisschen unkomfortabler. Unter Wasser aber summieren sich nun Risikofaktoren zu einer in der Auswirkung nicht bekannten Bedrohung.
Gefahrenmoemnt Nr. 1: Handfertigkeit
Kalte Haut und ein klammes Gefühl der Hände setzen die Handfertigkeit selbst mit sehr gutem Neoprenhandschuhschutz auf 30 Meter um bis zu 40 Prozent zurück. Nach kurzer Zeit werden die Hände funktionell wirkungslos. »Grobzeugs« mag noch erledigt werden können, aber Fine-Tuning ist unmöglich. Wenn nichts Anspruchsvolles mehr geht, ist jede fehlerhafte Handbewegung sicherheitsrelevant – das Tor zur Panik steht ganz weit offen.
Gefahrenmoment Nr. 2: Atemgasverbrauch
Milder Kältestress führt zu einem auf bis zu 500 Prozent gesteigerten Sauerstoff- und damit Atemgasverbrauch. Somit wird die zuvor kalkulierte Atemgasverbrauchsmenge plötzlich nur noch Makulatur. Das dann erforderliche klare Denken ist durch die milde Unterkühlung ohnehin schon eingeschränkt. Wir wissen, dass Situationen mit unerwartet hohem Atemluftverbrauch und die teils fatalen Folgen auf nichts anderes als auf leichte Körperkälte zurückzuführen sind.
Gefahrenmoment Nr. 3: Dekompressionsunfälle
Typische Tauchunfälle werden durch milde interne Kälte wahrscheinlicher. Bei der Dekompression wird dann viel Inertgas in kalten Geweben zurückgehalten. Große Bedeutung haben hier die Haut und das Unterhautfettgewebe, aber auch die Muskeln der Unterarme und Unterschenkel. Als weiterer Kälteeffekt kommt eine vermehrte Urinproduktion hinzu. Sie verstärkt die »Taucherdiurese«. Spätestens jetzt kippt der Flüssigkeitshaushalt. Austrocknung und kalte Haut sind sehr häufige Ursachen für Dekompressionskrankheiten. Und eine Erklärung, warum es zuvor so oft gut gegangen ist und »ausgerechnet jetzt passiert«.
Gefahrenmoment Nr. 4: Helium im Atemgasgemisch
Einer der größten Nachteile von Helium ist seine gegenüber Atemluft siebenfach erhöhte Wärmeleitfähigkeit. Es entzieht dem Körper Wärmeenergie. Jeder Tech-Taucher weiß aus Erfahrung um die Bedeutung perfekter Schutzausrüstung, um warm über die langen Expositionszeiten zu kommen. Jacques-Yves Cousteau bezeichnete die Kälte bereits 1965 als das größte anhaltende Problem für das Tauchen. Er hat Recht behalten.
Zur Person
Dr. Ulrich van Laak ist medizinischer Direktor bei DAN Europe für Deutschland, Österreich und Ungarn. Für unterwasser schreibt er regelmäßig Expertenkommentare und Gastbeiträge.