Vermutlich trieben die toten Wale bereits über einen längeren Zeitraum auf dem Meer. Die Kadaver weisen alle einen ähnlichen Verwesungszustand auf, was darauf schließen lässt, dass die Schweinswale annährend gleichzeitig und durch dasselbe Ereignis gestorben sein müssen. Auslöser der Anstrandungen war der stetige Nordwind, der in den letzten Tagen vorherrschte und das Massensterben nun offenbarte.
„Etliche Wale auf den Fotos wiesen Hämatome und untypische Verletzungen auf. Mein erster Gedanke war, dass das eine Folge von Altmunitionssprengung sein könnte“, sagt Denise Wenger, Vorsitzende von Schweinswale e.V., und eine der ersten in Deutschland, die von der ungewöhnlichen Massenstrandung hörte. „Dass Militärübungen und ungesicherte Altmunitionssprengungen jährlich massenhaft tote Schweinswale verursachen, wird schon lange vermutet. Auch in deutschen Gewässern finden solche Übungen und ungesicherte Sprengungen statt. Das ist unverantwortlich!“, kommentiert Wenger.
„Die Zahl der Schweinswale, die seit Mitte letzter Woche an den niederländischen Küsten angespült wurden, ist extrem hoch“, erklärt Lonneke IJsseldijk von der niederländischen Universität Utrecht, wo die Tierkadaver untersucht werden. „Unter den gestrandeten Tieren befinden sich viele erwachsene Tiere. Eine derartig hohe Sterblichkeit älterer Tiere haben wir noch nie erlebt.“
Die Todesursache und das Ausmaß der Verluste sind unklar und immer noch werden weitere, auf dem Meer treibende, tote Schweinswale gesichtet – IJsseldijk rechnet daher mit weiteren Anstrandungen in den kommenden Tagen. Rund 20 Kadaver wurden bereits für eine eingehende Untersuchung eingefroren. Doch angesichts des Verwesungszustandes der toten Wale könnte die genaue Todesursache schwierig zu ermitteln sein.
Zwischenzeitlich gibt es Mutmaßungen darüber, was den Tod all dieser Schweinswale ausgelöst haben könnte. Neben einer möglichen Virusinfektion stehen vor allem militärische Aktivitäten im Fokus der Spekulationen.
So findet seit 23. August eine großangelegte internationale Minenräumübung mit rund 600 Soldat*innen vor der Insel Ameland statt. Doch militärische Aktivitäten im Meer werden nicht mit Blick auf die Umwelt geplant und durchgeführt. Um die Meeresbewohner vor dem tödlichen Schalldruck zu schützen, sind beispielsweise doppelte Blasenschleier oder andere Schalldämmungsmethoden nötig. Die Anstrandung so vieler verendeter Wale spricht dafür, dass derartige Schutzmaßnahmen auch diesmal nicht angewandt wurden. Erst im Jahr 2019 starben in der deutschen Ostsee Dutzende Schweinswale, nachdem dort die Bundeswehr in Kooperation mit der NATO mitten in ausgewiesenen Schutzgebieten Minen ohne jegliche Vorsorge gesprengt hatte. Damals war geltendes Naturschutzrecht gebrochen und das Umweltministerium erst gar nicht informiert worden.
„Wenn sich herausstellt, dass militärische Aktivitäten die aktuelle Massenstrandung verursacht haben, haben wir einen handfesten Umweltskandal“, erklärt Fabian Ritter, Leiter Meeresschutz bei Whale and Dolphin Conservation. „Schweinswale sind europaweit streng geschützt. Dass militärische Aktivitäten immer wieder über geltendes Naturschutzrecht gestellt werden, kann nicht länger hingenommen werden: Gerade in Zeiten des Klimawandels und des stetig fortschreitenden Artensterbens ist es inakzeptabel, dass die Militärs einen Freifahrtschein zur Naturzerstörung bekommen, die zu massivem Biodiversitätsverlust führen. Das Leben von Seevögeln, Robben, Walen und Fischen wird hier fahrlässig aufs Spiel gesetzt. Es wird Zeit, dass sich auch Verteidigungsministerien ihrer Verantwortung für den Erhalt des Ökosystems Meer bewusst werden.“
Schweinswale e.V. und Whale and Dolphin Conservation setzen sich bereits seit vielen Jahren für den Schutz der Schweinswale in deutschen sowie europäischen Gewässern ein. Beide Organisationen kritisieren scharf, dass militärische Übungen mitten in Schutzgebieten immer noch erlaubt sind.