Heute tauchen wir etwas tiefer in DIE WIRKUNG VON SAUERSTOFF als erste Therapiemaßnahme ein. Tauchmediziner Prof. Dr. med. Claus-Martin Muth erklärt im Detail, was da genau vor sich geht.
In der Notfallmedizin ist es ähnlich wie beim Tauchen. Grundsätzlich wird Sauerstoff als etwas Gutes, Wichtiges angesehen. Dennoch wer-den die Nebenwirkungen gefürchtet. Vielfach wird bei Erste-Hilfe-Kursen sogar gelehrt, dass Sauerstoff ein Medikament sei und als solches gar nicht vom Laien eingesetzt werden dürfe. Und wenn, dann auf keinen Fall zu 100 Prozent. Andererseits gilt international in der Tauchmedizin zu Recht die Gabe von 100 Prozent Sauerstoff beim Tauchunfall als wichtigste Maßnahme. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass verunsicherte Tauchlehrer und Tauchpartner davor zurückschrecken, verunfallten Tauchern umgehend Sauerstoff anzubieten. Bei einem schweren Tauchunfall und auch beim Ertrinken ist die Gabe von Sauerstoff aber die wichtigste und vordringlichste Erste-Hilfe-Maßnahme, die möglichst ohne zeitliche Verzögerung durchgeführt werden soll. Wichtig ist, dass der Sauerstoff möglichst immer zu 100 Prozent gegeben werden sollte. Selbst dann, wenn dadurch die Versorgung mit Sauerstoff nicht bis zum Eintreffen in einer Druckkammer gewährleistet ist. Einzig durch die Gabe von 100-prozentigem Sauerstoff kommt es zu einer Verkleinerung der bei einem Tauchunfall entstandenen Gasblasen und zu einer (zumindest grenzwertigen) Versorgung des durch die Gasblasen abgeschlossenen Gewebes. Außerdem wird die Abgabe des Stickstoffs somit beschleunigt.
Sauerstoff-Wirkung im Detail
Es steht bei dieser Maßnahme daher nicht der Sauerstoffmangel im Vordergrund, der in jenen von den Gasblasen betroffenen Abschnitten herrscht, sondern die Verkleinerung der Gasblasen. Um dies zu erreichen, ist die Schaffung eines möglichst hohen Diffusionsgefälles sowohl für Sauerstoff als auch die eines entgegen gerichteten Diffusonsgefälles für das Gas, das zur Bildung der Blase geführt hat – im Regelfall also Stickstoff – nötig. Ziel ist, die rasche Stickstoff-Elimination bei gleichzeitiger Minimierung des durch die Blase hervorgerufenen Sauerstoffmangels. Durch die Gabe von Sauerstoff möglichst nahe an 100 Prozent wird Stickstoff bei der Ausatmung abgegeben, bei der nächsten Einatmung jedoch nicht erneut aufgenommen. Dieser Effekt entsteht im Wesentlichen dadurch, dass sich während der Sauerstoffatmung kaum noch Stickstoff in der Lunge befindet. Das hierdurch entstehende sehr große Konzentrationsgefälle zwischen dem stickstoffübersättigten Blut und den Lungenbläschen führt im Vergleich zur Atmung von nur sauerstoffangereicherter Luft zu einer wesentlich beschleunigten Abatmung von Stickstoff. In der Folge entsteht ebenfalls ein größeres Konzentrationsgefälle zwischen stickstoffübersättigten Ge-weben beim Tauchunfall und dem Blut, das nach der Lungenpassage nur noch wenig Stickstoff enthält, sodass diese Gewebe schneller entsättigen. Umgekehrt kommt es aber auch zu einer vermehrten Aufnahme von Sauerstoff ins Blut, wobei hier vor allem der physikalisch gelöste Sauerstoffanteil wesentlich gesteigert werden kann. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil vor allem der physikalisch gelöste Anteil und nicht der an den roten Blutkörperchen chemisch gebundene für die im Folgenden beschriebenen Effekte verantwortlich ist.
Effekte der Sauerstoffgabe
Im Bereich der Blase werden gleichzeitig zwei entgegen gerichtete Diffusionsgefälle aufgebaut. Eines für Sauerstoff in Richtung Blase, und eines entsprechenden für Stickstoff aus der Blase heraus. In der Folge kommt es zunächst zur Diffusion von Sauerstoff in die Blase hinein. Gleichzeitig er-folgt die Abdiffusion des Stickstoffs, was letztlich zu einer Auflösung der Blase führt. Diese Effekte kommen bei einer nur mit Sauerstoff angereicherten Luft nicht bzw. nicht im gleichen Maße zum Tragen. Daher ist es auch nicht sinnvoll, dem Verunfallten ein Gemisch aus Sauerstoff und Luft anzubieten, um den Sauerstoffvorrat zu schonen. Es ist darauf zu achten, dass Notfallsysteme Sauerstoff mit möglichst hoher Konzentration liefern können. Darüber hinaus stellt die Therapie mit dem Atmen von Sauerstoff im Überdruck die einzig sinnvolle weiterführende Therapiemaßnahme dar. Bei der Tauchunfall-Notbehandlung werden sogar bewusst Sauerstoffpartialdrücke von 2,8 bar angewendet, um die oben beschriebenen Effekte deutlich verstärkt auszunutzen. Wenn die Diffusion verbessert werden soll, dann geht das nur durch eine Partialdruckerhöhung des Sauerstoffs. Und das geht eben nur in einer Druckkammer. Diese 2,8 bar werden zur Behandlung gewählt. Das ist der Druck ist, bei dem es in einer trockenen Atmosphäre NOCH NICHT gehäuft zu akut toxischen Wirkungen des Sauerstoffs kommt. Um das Risiko weiter zu minimieren, wird nach jeweils 20 Minuten Sauerstoffatmung ein Luftatemblock von jeweils fünf Minuten eingefügt, was die Sauerstofftoleranz erhöht und die Therapie risikoarm ermöglicht.