Der Boom der Indoor-Tauchcenter an Rhein und Ruhr kam nicht von ungefähr. Nimmt man die Bevölkerungszahl von Großstädten wie Düsseldorf, Köln und dem Ruhrgebiet als Maßstab, ist die Zahl der zum Tauchen freigegebenen Seen aberwitzig klein. Die Qual der Wahl: mehrstündige Fahrten zu den Talsperren im Bergischen Land, in Hessen und sogar über die Landesgrenze hinaus nach Belgien.
Oder eben die selben rund 20 Seen, deren Namen jeder Vieltaucher im Halbschlaf aufzählen kann. Als in den späten 1990er Jahren die Überlastung dieser Seen die Reglementierung notwendig machte, war »gratis und um die Ecke tauchen gehen« beinahe Geschichte.
Harte Zeiten für Vereine. Uli Ziegler kann davon ein Liedchen singen: »Beim ersten See, den wir in den 1990ern gepachtet hatten, gab es ständig Stress mit dem Besitzer. Es war rappelvoll im Sommer, und das schließt normale Badegäste mit ein«, erinnert sich der Vorsitzende von Pulchra Amphora.
»Dann wechselten wir zu einem anderen Gewässer.« Parallel zum »Umzug« hatte der 700 Mitglieder starke Verein ein zweites Eisen im Feuer, das zugegebenermaßen Jahre brauchte, bis es endlich geschmiedet werden konnte: den Sandhofsee südlich von Neuss, zwischen Düsseldorf und Köln.
Bereits vor 30 Jahren suchte die Rheinische Baustoffwerke GmbH als größter Sand- und Kiesproduzent der Region den Kontakt zur Stadt Neuss, weil die Auskiesung gleich zweier benachbarter Gruben absehbar war, und die Kommunen Vorkaufsrecht besitzen.
Nicht, dass Eigeninitiative bei den Ämtern von Stadt/Landkreis und bei Kiesbetrieben für Taucher mit Gewässerbedarf grundsätzlich eine schlechte Idee wäre – in diesem speziellen Fall war es der Bundestagsabgeordnete, Dr. Heinz Günther Hüsch, damals federführend bei der Neusser CDU, der auf den Tauchvereinsvorsitzenden zuging und erfragte, »ob man den See haben will«.
Man wollte. Dass es letztendlich so weit kam, ist aber auch der Unterstützung des Koordinators und Sprechers der städtischen Wassersportvereine, Franz-Josef Schäfer, zu verdanken, weil er Politikern und Vertretern des Sportamtes die Bedeutung eines Vereinsgewässers nahebrachte.
Größe zählt
Nach Unterzeichnung des Kaufvertrags sollten zwölf Jahre vergehen, bis die ersten Taucher ihre Flossenspitzen in den 18 Hektar großen und 20 Meter tiefen See streckten. Ein Wassersportzentrum sollte es werden, mit dem Sporttaucher, Segler, Kanuten, Kajakfahrer und Wasserwacht gleichberechtigt auf ihre Kosten kommen und auch ein gewisses Schwergewicht in die Waagschale legen, wenn es um Behörden und die Kreditvergabe durch Banken geht: »Mir war schnell bewusst, dass wir nur im Schulterschluss mit fünf anderen Wassersportvereinen und insgesamt 2500 Mitgliedern auf allen Ebenen mehr Aufmerksamkeit erzielen als mit unseren 700 Vereinsmitgliedern«, erklärt Ziegler.
Als gebürtiger Neusser mit Jahrzehnten Erfahrung im Vereinswesen und bei den lokalen Bürgerschützen weiß er um den Wert von Networking für ein solches Projekt. »Politik und Stadt muss man abholen, dabei den richtigen Ton treffen und immer präsent sein, sodass die Leute wissen: »Ach ja, das ist der Soundso vom See XY.«
In einer ersten kaufmännischen Kostenermittlung schätzte der Vorsitzende von Pulchra Amphora den finanziellen Aufwand für Erschließung, Gebäude und Infrastruktur auf 840.000 Euro. Darin auch gern übersehene Kostenfallen wie Pontons und Einstiege, betonierte Zugänge, Rohrleitungen für Regen- und Abwasser, Stromleitungen, Ausbau des Wegnetzes, eine SOS-Säule und notwendige Sicherheitstechnik zum Objektschutz fanden von vornherein Berücksichtigung.
Auf den Verkauf von Tageskarten verzichtet der Verein zugunsten eines alternativen Nutzungskonzeptes: »Gruppen aus anderen Tauchclubs erhalten bei uns eine Kurzgenehmigung und die Möglichkeit, ein Rahmenabkommen abzuschließen«, erklärt Ziegler. »Darüber hinaus beantragen viele Taucher eine Zweitmitgliedschaft bei uns, weil sie den See und unsere Infrastruktur schätzen und gleichzeitig nur ein reduzierter Jahresbeitrag anfällt, da sie über ihren ersten Verein versichert sind«, erklärt Ziegler.
Im Umkehrschluss erhalten sie dafür eine personifizierte Zugangskarte, die Tauchgänge rund um die Uhr ebenso erlaubt wie das Füllen der Tanks – ein Privileg im zweitgrößten Kreisgebiet Deutschlands, in dem derzeit weder ein Tauchshop noch ein kommerziell betriebener Kompressor existiert.
Stolperfallen
Wie im Plan vorgesehen, wurde und wird das Vereinsheim über die Jahresbeiträge der Mitglieder finanziert, die Betriebskosten über öffentliche Mittel, Unterverpachtung und vergleichbare Geländenutzung sowie öffentliche Mittel. Dass sich in Anbetracht von Summe und Verwendungszweck mit der KfW ein Kreditinstitut mit annehmbaren Konditionen fand, dafür war der Zusammenschluss von sechs Vereinen absolut unerlässlich.
Kurz darauf kam das Teamwork auf Augenhöhe allerdings zum Erliegen. Wie so oft, wenn theoretische Pläne in praktische Arbeit umgesetzt werden sollen, und es der lieben Freizeit an den Kragen geht. Obwohl die vertraglich vereinbarte Infrastruktur für alle Sportarten geschaffen werden musste. »Damit war die Idee, dass alle Nutzer das gleiche Sagen haben, geplatzt«, stellt Ziegler klar.
Bei aller Ernüchterung stellte sich aber schnell heraus, dass es mit einem Küchenchef unkomplizierter und zielführender zugeht als mit allzu vielen Köche an einem Herd. Nicht aber ohne Lehrgeld zu zahlen: Wer denkt bei der Installation von Einstiegsplattformen daran, dass der Wasserstand auch in einem Binnensee im Jahresverlauf um dreieinhalb Meter schwanken kann?
Und wer weiß schon, dass ein Treppenzugang mindestens sechs Meter Abstand zum Ufer wahren muss, um nicht den Wasserschutzbereich zu verletzen? Ohne Kenntnis der notwendigen Paragrafen geht es nicht. Auch künstliche Attraktionen, die im See versenkt oder verankert werden sollen – im Fall des Sandhofsees vier Übungsplattformen, ein Floß für Apnoe-Training und Markierungssteine zum Orientierungstauchen – erfordern im Vorfeld Rücksprache mit der Wasserschutzbehörde.
Abwägungen
Als Selbstläufer erwies sich der See selbst: Den Fischbesatz mit Hechten, Rotfedern, Rotaugen und Flussbarschen übernahm Mutter Natur. Auch der Schreckmoment, als Blaualgen nachgewiesen wurden, entpuppte sich nach Einsendung der Proben als kurzfristiger Sturm im Wasserglas.
Rein logistisch und aus Sicht der Buchhaltung ist ein eigener See ein Vollzeit-Job, der nur funktioniert, wenn er auf die Schultern vieler Freiwilliger verteilt wird. »80 Prozent der Leistung – ob es nun der Unterhalt des Geländes oder der Innenausbau von Räumlichkeiten ist – stemmt »Pulchra Amphora«, bestätigt Ziegler.
Theoretisch wäre ein See mit Gelände und Infrastruktur für tausend Besucher im Sommer mehr Goldgrube als Kiesgrube und eine Steilvorlage zur Amortisierung, doch verzichtet man bewusst auf eine kommerzielle Nutzung. »Zu viel Papierkram und Sicherheitsbedenken«.
Deshalb werden auch die zehn Holz-Chalets am See, die sich mit Grillmöglichkeit eigentlich perfekt für die Wochenend-Vermietung eignen würden, nur intern, ehrenamtlich oder kommunal genutzt – etwa von der Jugendabteilung.
Weil der See als Wassersportzentrum und finanziell geförderte Sportstätte auch einen öffentlichen Bildungsanspruch erfüllen soll, sind Kooperationen mit Schulen und öffentliche Events mit bis zu 200 Teilnehmern ohnehin ein fester Bestandteil des Sommerhalbjahres.
Für den Tauchverein eine attraktive Chance, neue Mitglieder zu gewinnen. »Schnupper-Events und auch externe Taucher haben unseren Bekanntheitsgrad enorm steigen lassen.« Am Ende müsse der Aufwand im richtigen Verhältnis zum Vorteil stehen, wie er sagt.
»Einen See zu bekommen, ist eine Sache. Die andere ist die Entwicklung eines tragfähigen Konzeptes, das dafür sorgt, dass möglichst viel eigenständig läuft.« Ein klarer Fall für die berühmt-berüchtigte Work-Life-Balance.
Zum Verein: www.pulchra-amphora.de