TEXT UND FOTOS: Claudia Weber-Gebert
Mit Tieren in Irland verbindet jeder unweigerlich kuschelige Schafe und glückliche Milchkühe auf saftig grünen Wiesen mit schroffen Natursteinmauern. Die irische Great Blasket Island im Nordatlantik hat aber noch viel mehr zu bieten. Wildlife vom Feinsten! Tiere, die ganzjährig anzutreffen sind wie zum Beispiel die Kegelrobben. Oder auch jede Menge Seevögel, die im offenen Atlantik auf Nahrungssuche gehen.
Aber auch Sommergäste wie Buckelwale und ganz besondere Frühlingsgäste, die sehr putzigen Papageitaucher und Zwergwale (Balaenoptera acutorostrata). Und schließlich: die Riesenhaie (Cetorhinus maximus). Während die Papageitaucher nur zum Brüten herkommen, und die Paare sich jedes Jahr wiederfinden, um in Höhlen an den Felswänden ihre Jungen großzuziehen, kommen die Riesenhaie und die Zwergwale im April aus einem ganz anderen Grund hierher.
Wegen des Planktons. Denn an der Küste entsteht eine Aufwärtsströmung, die im April jede Menge Plankton an die Wasseroberfläche transportiert. Ein reich gedeckter Tisch für die großen Filtrierer! Sowohl die Wale als auch die Haie brauchen sich dann nur noch mit geöffnetem Maul durch das Wasser zu schieben. Allerdings sind die Zwergwale eher scheu, man sieht sie kaum. Ein kurzer Blas, und dann verschwinden sie auch schon wieder unter der Wasseroberfläche. Nur ein geschultes Auge nimmt die Anwesenheit dieser Meerestiere überhaupt wahr.
Futtern an der Oberfläche
Ganz anders die Riesenhaie. Sie machen keinen Hehl aus ihrer Anwesenheit und sind bei sonnigem Wetter an der Wasseroberfläche sichtbar. Dann schauen Nase, Rückenflosse und die Spitze der Schwanzflosse aus dem Wasser. Und genau aus diesem Grund heißen die Tiere im Englischen »basking sharks« – »sonnenbadende Haie«. Sie sind aber keinesfalls an den wärmenden Sonnenstrahlen interessiert, sondern nur am Plankton, das dann direkt und konzentriert an der Wasseroberfläche zu finden ist. Ausflugsboote, die Touristen vom Ort Dingle aus um die Blasket Islands schippern, steuern dann auch gezielt die Bereiche an, wo die Riesenhaie zu sehen sind.
Aus der Nähe
Uns hat es jedoch nicht gereicht, die Riesenhaie nur vom Boot aus zu sehen. Wir wollten diese imposanten Tiere etwas genauer und aus der Nähe betrachten, und natürlich auch Fotos unter Wasser machen. Mit unseren privaten Guides und Skippern Nick und Terry war das dann auch möglich. Es gibt in dieser Ecke keinen nennenswerten Tourismus.
Wir sind also allein bei den Riesenhaien und genießen diese Freiheit. Wer aber denkt, man fährt da einfach mal hin und springt zu den Tieren ins Wasser, der hat sich nicht mit dem irischen Wetter und den Gezeitenströmungen um die Blasket-Inseln auseinandergesetzt.
Der Wind macht einem dort im Atlantik oft einen Strich durch die Rechnung, je nach Richtung sind die Wellen mehr oder weniger hoch. Und der Wind bläst häufig. Auch bei strahlend blauem Himmel. Die Kombination aus Windrichtung und ein- oder ausströmendem Gezeitenwasser tut ihr Übriges dazu, so dass es auf einem kleinen Motor-Schlauchboot sehr unbequem werden kann.
Wassertemperatur und Außentemperatur liegen im April bei zirka zehn Grad Celsius. Alles in allem ist es ungemütlich auf dem kleinen Boot. Die Wellen allein waren noch nicht wirklich dramatisch, aber durch sie waren die Haie kaum auszumachen. Die Tiere sind zwar auch bei schlechtem Wetter da, doch sie bleiben dann unter der Wasseroberfläche und sind daher kaum zu sehen.
Ob es daran liegt, dass das Plankton dann auch tiefer zu finden ist? Oder ob auch die Haie den kalten Wind nicht an ihrer Rückenflosse mögen, wissen nur sie selbst. Doch dann haben wir Glück und treffen passende Bedingungen an. Im trüben Wasser des Nordatlantiks sehen wir zuerst nur etwas riesiges Weißes auf uns zukommen.
Das geöffnete Maul der acht bis zehn Meter langen Tiere! Doch die Riesenhaie sind uns freundlich gesonnen. Gleich der erste Kontakt mit ihnen ist hautnah. Von einem riesigen Männchen werde ich freundlich zur Seite geschoben. Der Grund: Die Tiere schwimmen in regelrechten Mustern an der Wasseroberfläche entlang, um das Plankton in ihrem trichterförmigen Maul zu sammeln.
Dabei lassen sie sich durch nichts aus der Bahn bringen. Was im Wasser ist, wird kurzerhand beiseite geschoben. Wir konnten verschiedene Bewegungsmuster erkennen, mit denen die Giganten durchs Wasser pflügen: 100 Meter hin, wenden, zurück, wieder wenden. Oder im Zickzack schwimmend. Oder in Kreisen.
Sobald man solch ein Muster erkennen konnte, war es einfach, sich im Wasser zu positionieren und zu warten, bis das Tier vor einem auftauchte. Hinweise bekommt man aber auch von den Guides aus dem Boot. Ein Tauchgerät ist bei diesem Unterwasserbesuch nicht notwendig. Maske und Schnorchel reichen aus, um den harmlosen Tieren nahezukommen.
Futterquelle und Störfaktor
Das Wasser vor den Blasket Islands ist angereichert mit tierischem und pflanzlichem Plankton. Winzige Quallen sind mit bloßem Auge erkennbar, sie haben einen Durchmesser von knapp zehn Millimetern. Nur dieses Plankton zu fotografieren und zu identifizieren, wäre schon eine spannende Aufgabe.
Aber deshalb wird das Fotografieren auch schwierig, denn Plankton bedeutet auch immer Schwebeteilchen. Es heißt also: möglichst nah an den Hai rankommen und so wenig Plankton wie möglich zwischen Linse und Tier haben. Schön, wenn die Sonne scheint. Doch auch die Sonne scheint das Plankton unter der Wasseroberfläche an, macht es extrem hell und auf Fotos sichtbar.
Wissen schaffen
Nick erklärt uns später, dass es in Irland eine Datenbank mit Fotokatalog zur Erfassung der Tiere gibt. Leider ist die Identifizierung mit Fotos ihrer Flossen nicht einfach, da die Riesenhaie oft keine besonderen Erkennungsmerkmale haben. Alle Sichtungen werden der Irish Whale and Dolphin Group (IWDG) gemeldet, die mit der »Irischen Riesenhai«-Gruppe kooperiert.
Und seit diesem Jahr stehen die Riesenhaie auch auf der »Irischen Liste der geschützten Tiere«. Nick fährt jeden Morgen zum Slea Head, einem Aussichtspunkt an der Spitze der Dingle-Halbinsel mit Blick auf Blasket Island und die umliegenden Inselchen, und hält Ausschau nach Walen, Delfinen und im April dann auch nach den Riesenhaien und gibt seine Daten weiter.
Trotzdem kann man nichts über die Zahlen sagen, da die Gesamtgröße der Population nicht bekannt ist. Insgesamt gelten diese Haie jedoch als gefährdet. Plastikmüll im Wasser ist eine große Bedrohung für sie, da sie nicht zwischen Qualle und Plastiktüte unterscheiden können.
Schiffskollisionen, Beifang in der Fischerei und Verstrickungen in Netzen und Leinen gehören ebenso zur Bedrohung dieser wunderschönen Meeresgiganten. Vom IWDG wurden einige Riesenhaie mit Sendern versehen, da man sich erhoffte, so etwas mehr über sie zu erfahren.
Nachdem die markierten Haie aber die Region um Blasket Island wieder verlassen hatten, haben sie sich in alle Richtungen verteilt, und jedes Tier zeigte ein anderes Verhalten. So wurde auch mit der Sendermarkierung nicht mehr über sie herausgefunden.
Weitere Aktivitäten
Muss man mal wieder auf gute Wetterbedingungen warten, bieten sich jede Menge anderer Aktivitäten an. Sollte man zu den Blasket Islands übersetzen können, kann man dort auch die zahlreichen Seevogel-Arten fotografieren. Oder die Kegelrobben, deren Anzahl in den letzten Jahren wieder gestiegen ist.
Die Dingle-Halbinsel ist sehr geschichtsträchtig. So sind dort prähistorische Rundbauten zu sehen, die »beehive huts«. Rund und komplett aus Stein, sehen sie wie Bienenkörbe aus. Auch Burgruinen und Türme sind interessante Ausflugsziele. Meist führen die Routen ohnehin in der Nähe der Sehenswürdigkeiten vorbei.
Imposant ist auch eine Fahrt über den Connor-Pass Richtung Mount Brandon, dem zweithöchsten Berg Irlands. Dort findet man die Überreste einer eiszeitlichen Gletscher-Muräne und einen schönen See. Der Blick ins Tal ist überwältigend.
Außerhalb der größeren Orte wie Tralee und Dingle mit den bunten Häusern ist die Landschaft zersiedelt mit vielen alleinstehenden Farmhäusern. Auf kuschelige Schafe, Rinder und glückliche Kühe auf grünen Wiesen muss also auch nicht verzichtet werden.
Fakten zum Riesenhai
Den Riesenhai (Cetorhinus maximus) aus der Ordnung der Makrelenhaiartigen gibt es schon seit dem mittleren Eozän, also gut 40 Millionen Jahre.
Seit 2005 ist er als gefährdete Art eingestuft. Seine Größe von acht bis zehn Metern Länge macht ihn zur zweitgrößten Fischart nach den Walhaien.
Riesenhaie haben eine große Anzahl von kleinen Zähnen im Maul, an denen das Plankton regelrecht kleben bleibt, während sie mit geöffnetem Maul schwimmen. Das Wasser wird dabei durch die fünf Kiemen nach hinten abgeleitet.
In einer Stunde filtrieren die Tiere auf diese Weise zirka 1800 Tonnen Wasser. Nach einiger Zeit des Filtrierens schließen sie das Maul und schlucken aktiv ihre Nahrung herunter.