TEXT & FOTO: Barbara und Wolfgang Pölzer
Ach, nehmen wir doch das Zodiac!« ruft uns Karim nach. »Das spart Zeit und Luft«. Und so steigen wir wenige Schritte vom Strand ins Hausriff-Shuttle und genießen die Zwei-Minuten-Ausfahrt. Darauf folgt Rolle rückwärts und ab ins kristallklare warme Wasser. Karim, der Sohn von Langzeit-Basisleiter Mohamed, führt uns zu einem Korallenblock in Einfamilienhaus-Größe.
Ein dichter Pulk an Fischen umschwirrt das Riff mit seinen überwiegend intakten Steinkorallen wie ein hungriger Bienenschwarm. Wir sehen Barrakudas, Stachelmakrelen, Meerbarben, Kaiser- und Falterfische und jede Menge Riffbarsche – doch alle im Miniaturformat! Eine Kinderstube in den buntesten Farben tut sich vor uns auf. Lediglich ein Pärchen gut fingerlanger Clownfische wirkt ausgewachsen.
Begeistert umrunden wir den Korallenblock gleich mehrfach, bevor uns Karim signalisiert, ihm in die Sandwüste zu folgen. Dort entdecken wir bei näherem Hinsehen winzige Algenblättchen, die mit steigender Entfernung vom Riff an Größe gewinnen und zunehmend von kleinem Seegras durchsetzt werden. Karim inspiziert Blatt für Blatt und winkt uns nach wenigen Minuten aufgeregt zu sich.
Auf einer dreieckigen, vielleicht zwei mal drei Zentimeter großen, tiefgrünen Alge scheint etwas ganz Besonderes obenauf zu sitzen. Wir flosseln näher ran und versuchen, auf die anhaftenden Sandkörner zu fokussieren, bis wir endlich einen winzigen Farbklecks entdecken. Doch der Aha-Effekt kommt erst ein paar Flossenschläge später, als uns Karim den gleichen Farbklecks »in Monstergröße« präsentiert: Eine blaugelbe Nacktschnecke mit stattlichen vier Millimetern Länge kriecht dicht vor unseren Tauchmasken über ein grünes Algenblatt.
Die zur Familie der berühmten »Shaun-The-Sheep«-Schnecken zählende Art ist bei ausgesprochenen Makrospezialisten sehr beliebt und als Fotomotiv heiß begehrt. Ach, hätten wir doch ein Mikroskop mitgebracht, schießt es mir durch den Kopf, und ich muss meine Maske nur wenig später von dem vom Lachen eingedrungenen Wasser ausblasen. Wir lassen uns jedoch nichts anmerken, freuen uns mit Karim über die gefundenen Raritäten, und ein paar brauchbare Fotos gelingen uns auch.
Dann werden wir von einer Schildkröte jäh aus der Mikrowelt gerissen. Eine willkommene Abwechslung, und endlich Arbeit für meine Weitwinkelkamera. Entspannt lässt sich die Schildkröte beim Verschlingen der stärkehaltigen Seegras-Rhizome beobachten, bis uns Karim erneut von weitem aufgeregt winkt. Keine Minischnecke diesmal, sondern viel besser. Ich traue meinen Augen kaum: Ein mittelgroßer Mimic Oktopus hockt da vor uns im Sand!
Den uns an sich nur aus dem Korallendreieck bekannten, faszinierenden Kopffüßer hätten wir hier im Roten Meer vor Marsa Alam nicht erwartet. Dem gut handflächengroßen Tarnkünstler scheint es ähnlich zu gehen. Verzweifelt versucht er, seine Wohnhöhle im Sand zu finden. Nur wenige Sekunden bleiben mir, um zumindest ein Beweisfoto zu schießen, bevor der Oktopus wortwörtlich wie vom Sandboden verschluckt und unwiderbringlich verschwunden ist.
Die Suche nach der Kuh
Wow! Dieses Hausriff birgt wirklich Überraschungen. Wir sind immer noch ganz begeistert, als wir später vor der gemütlichen Tauchbasis mit Mohamed plaudern. »Ja, ab und an sehen wir einen Mimic Oktopus – aber zugegeben, doch sehr selten. Aber die »Shaun-The-Sheep«-Schnecken haben wir ganzjährig hier«, fährt der begeisterte Unterwasser-Fotograf triumphierend fort.
Am späten Nachmittag begeben wir uns dann auf die Suche nach der Kuh. Die Rotmeerregion um Marsa Alam ist mit ihren weitläufigen Seegrasbeständen schon seit Jahren für ihre große Chance auf Seekuh-Begegnungen bekannt. Mindestens drei dieser Tiere wurde hier und in der benachbarten Bucht von Abu Dabbab gesehen. Erzwingen kann man eine Begegnung mit den zwar standorttreuen, aber oft weit herumschwimmenden submarinen Kühen jedoch nicht.
Etwas Glück ist immer vonnöten. Nachdem die wasserlebenden Säugetiere hier aber schon seit Tagen nicht mehr gesichtet wurden, rechnen wir uns keine allzu großen Chancen aus. Dennoch paddeln wir brav unserem Diveguide »JaJa« nach. Zügig geht es im Zickzackkurs parallel zur Küste Richtung Norden.
Riff, Sandgrund und Seegraswiese wechseln sich auf unserem Tauchgang kontinuierlich ab. Unzählige Barben, mehrere Blaupunktrochen und einen Krokodilsfisch lassen wir links liegen. Denn heute geht es um die Kuh! Alles oder nichts lautet unsere Devise. Die Minuten verrinnen, unsere Tauchflaschen werden immer leerer. Nach mehr als einer halben Stunde hat »JaJa« schon einen beachtlichen Vorsprung und scheint nochmals zuzulegen, als er plötzlich – gerade noch in Sichtweite – einen Haken schlägt.
Hat er tatsächlich etwas gesehen? Wir treten gehörig in die Flossen, holen auf und sehen, wie er uns aufgeregt winkt. Noch ein paar Meter, und eine dunkle Silhouette in der Ferne wird sichtbar. »JaJa« hat tatsächlich eine Seekuh erspäht! Schwer atmend, doch voller Freude versuche ich, das gemächlich grasende Tier in weitem Bogen zu überholen.
Völlig unbeeindruckt von meinem Manöver durchpflügt der Dugong, wie Gabelschwanz-Seekühe auch genannt werden, die Seegraswiese. Das Tier lässt sich auch nicht im Geringsten stören, als es sich, ohne Ende Schlamm aufwirbelnd, bis auf wenige Zentimeter frontal direkt auf meine Kamera zufrisst. Im letzten Moment trete ich den Rückzug an, um das Abendmahl der Seekuh nicht zu stören.
Noch ein ganzes Weilchen können wir das gut und gerne taucherlange Tier mit seinen winzigen Knopfaugen und dem charakteristischen breiten Rüssel aus der Nähe beobachten, bevor es mehr oder weniger elegant Richtung Wasseroberfläche zum Atmen entschwindet. Wir klatschen uns vor Begeisterung ab und treten bestens gelaunt den Rückweg zum Hausriff an. Kuh im Kasten! Was kann jetzt noch schiefgehen?
Raus ans Riff
Am folgenden Morgen klingelt der Wecker ganz früh. Ein Early Morning Dive ist angesagt. Schon um 6:30 Uhr sitzen wir in Neopren gehüllt im Schnellboot und düsen über das spiegelglatte Rote Meer der Sonne entgegen. Lohn der Mühe? Kaum 20 Minuten später treffen wir am legendärsten Tauchspot der Region ein, der sonst meist nur Safarischiffen vorbehalten bleibt. Elphinstone!
Ein Name, der Taucheraugen zum Strahlen bringt. Etwa zwölf Kilometer fast gerade aus, nur leicht südlich vor unserer Küste gelegen, erfüllt das 600 Meter lange und schmale Riff alle Kriterien eines Hochsee-Divespots. Spektakuläre, bis über 100 Meter abfallende Steilwände und stufenförmig abfallende Plateaus an beiden Schmalseiten in Sporttauchtiefen schaffen bei teils kräftiger Strömung Lebensraum für eine prächtige Hart- und Weichkorallen-Welt sowie unzählige Fische.
Vor allem aber locken sie Großfisch wie Thunas, Makrelen, Barrakudas und Haie an, allen voran den beliebt-berüchtigten Weißspitzen-Hochseehai Longimanus. In größerer Tiefe werden am Elphinstone-Riff regelmäßig auch Hammerhaie, Graue Riffhaie und ab und zu auch mal ein Fuchshai gesichtet.
Wo ist Fortuna?
Grund genug, hier möglichst früh am Morgen zu sein, um nicht gleichzeitig mit einer Horde an Safarischiff-Tauchern auf Großfischpirsch zu gehen. Das Glück ist uns insoweit hold, dass unsere überschaubare Schnellboot-Tauchtruppe das Südplateau erst mal allein für sich hat. Aber das war es dann leider auch schon. Nahezu ohne jegliche Strömung bei fantastischer Sicht in gut 30 Meter Tiefe weit vorne über der Elphinstone-Riff-Südspitze zu schweben ist zwar ein tolles Gefühl.
Es löst aber völlig haifrei keinen Adrenalinschub aus. Selbst der fantastische Korallenbewuchs, die Stachelmakrelen, die Schildkröte und die Unmengen an Fahnenbarschen im Flachwasser sind keine Entschädigung für das Aufstehen im Morgengrau und die hohen Erwartungen.
Etwas enttäuscht flosseln wir nach unserem Sicherheitsstopp zurück zu dem Safariboot, an dem unser Offshore-Schlauchboot vertaut ist. Knapp vor dem Boot, kurz vor dem finalen Auftauchen, fällt mein Blick nochmal schräg nach rechts unter das Safarischiff. Ich glaube meinen Augen nicht zu trauen: Wenige Meter neben uns schält sich die Gestalt eines Longimanus aus dem Bootsschatten.Hurra!
Das Glück hat uns doch nicht verlassen. Eingehüllt in eine Wolke schwarz-weiß gestreifter Pilotfische nimmt der große Raubfisch Kurs auf mich. Zielstrebig, aber dennoch gemächlich gleitet er wie auf Schienen, kommt bis auf Armlänge heran, beäugt mich oder vermutlich eher meine hochfrequenzgeladenen Elektronen-Blitzgeräte, dreht ab und entschwindet im tiefen Blau.
Welch krönender Elphinstone-Abschluss!
Und unser Gesamtfazit? Auch ohne Seekuh- und Hai-Sichtungen ist das Equinox Resort in Marsa Alam mit seiner großen Hausriff-Bucht auf jeden Fall eine Tauchreise wert. Mit Kuh und mit Hai aber wird der Aufenthalt dort sogar zum Adrenalinkick.
Reiseinfo: Marsa Alam / Ägypten
Extra Divers Equinox
Ausbildung: nach SSI und PADI von OWD bis Divemaster. Kindertauchen ab acht Jahren, Nitrox 32 for free.
Tauchbestimmungen: Vorlage von Brevet, Logbuch und Tauchtauglichkeitsattest sowie obligatorischer Checkdive.
Tauchen: bei bis zu 25 geloggten Tauchgängen nur mit Diveguide, danach selbständig im Buddyteam. Neben dem weiträumigen Hausriff – das mit einem eigenen Zodiac erweitert werden kann – werden Schnellboot-Tauchen zu umliegenden Riffen, Tagesschiff-Tauchen sowie Halb- und Ganztagesfahrten mit Kleinbussen angeboten. Insgesamt stehen rund 20 verschiedene Tauchspots in fünf bis 60 Minuten Entfernung auf dem Programm. Zudem wird Delfinschnorcheln mittels Tagesboot ab Marsa Alam angeboten.
Boote: vier Schnellboote für je maximal acht Taucher, ein Hausriff-Zodiac für maximal fünf Taucher, ein eigenes Extra Divers-Tagesboot für bis zu 25 Taucher am hoteleigenen Bootssteg.
Preise: Eine Schnellboot-Ausfahrt (inklusive Flasche und Blei) kostet 44 Euro, ein 10er Paket Bootstauchen 357 Euro. Das Hauriff-Zodiac ist kostenfrei. Aufpreis für Nachttauchgang: 15 Euro. OWD-Kurs (inklusive Brevetierung): 447 Euro
Beste Tauchzeit/Saison: ganzjährig. Die tiefsten Wassertemperaturen herrschen zwischen Januar und März mit 22 Grad Celsius, die höchsten zwischen Juli und September mit bis über 30 Grad.
Anzug: 3 mm im Sommer, 5-7 mm im Winter.
Three Corners Equinox
Das zu einer belgischen Hotelkette gehörende Vier-Sterne-Beach Resort verfügt über 216 Zimmer in drei Kategorien in einem Haupt- und mehreren Nebengebäuden. Die Zimmer sind nicht neu, aber geräumig, sauber und zweckmäßig ausgestattet mit Klimaanlage, Minibar, Fernseher, Safe, Balkon oder Terrasse sowie Bad/WC. Neben der weitläufigen Gartenanlage mit zwei Swimmingpools besticht vor allem die große Badebucht mit eigenem Bootssteg.
Kontakt & Infos:
www.extradivers-worldwide.com
Anreise: per Direktflug von Deutschland nach Hurghada oder Marsa Alam. Der Autotransfer vom Flughafen Marsa Alam dauert lediglich 15 Minuten, von Hurghada gute 2,5 Stunden.
Buchung & Preise
Veranstalter: Reisecenter Federsee
Tel. 07582-932 07 90, www.rcf-tauchreisen.de
Preisbeispiel (von Reisecenter Federsee):
Sieben Nächte im Vier-Sterne Three Corners Equinox Beach Resort im Doppelzimmer, All inclusive, Direktflug ab/bis Deutschland nach Marsa Alam, Transfers, sechs Tauchgänge am Hausriff mit Zodiac oder Minibus (inklusive Flasche und Blei) ab 1080 Euro pro Person.