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Ventotene – Insel der Verbannten im Golf von Neapel

Als eine der kleinsten Pontinischen Inseln träumt Ventotene im Golf von Neapel vor sich hin. In der Region, wo Goethe einst Wein und Landschaft genoss, lässt es sich wunderbar abtauchen.

Franco Banfi

TEXT: Sabrina & Franco Banfi

Ventotene – ursprünglich war diese italienische Insel ein alter Vulkan mit einer Fläche von 300 Quadratkilometern und einer Höhe von über 700 Meter über dem Meeresboden. Heute ist es nur noch ein kleines Stück Land, das die Isola di Ventotene bildet: drei Kilometer lang und weniger als 800 Meter breit. Etwa 1,6 Kilometer von Ventotene entfernt befindet sich eine weitere kleine Insel: Santo Stefano. Die Ruinen eines seitlichen Kegels des ursprünglichen Vulkans, der fast vollständig erodiert ist.

© Franco Banfi – Blick auf die Insel Santo Stefano, dominiert vom alten Gefängnis, vor der Insel Ventotene, Italien, Tyrrhenisches Meer, Mittelmeer

In den Tuffsteinfelsen, die Ventotene schützen, gruben die alten Römer einst den Hafen, der heute noch die Besucher mit farbenfroher Kulisse empfängt. Die Insel ist von einer historischen »Aura der Bestrafung« umgeben. Denn sie war der Verbannungsort der berühmten römischen Zügellosigkeit in Persona von Giulia Maggiore (Tochter von Kaiser Ottaviano Augusto), Agrippina Maggiore (Enkelin von Kaiser Tiberio) und Claudia Ottavia (Tochter von Kaiser Claudius).

Vom Meer aus erscheint Ventotene wie eine kleine Schildkröte aus Vulkangestein, mit Hügeln und steilen, aufrechten Küsten. Das sie umgebende Tyrrhenische Meer ist sehr klar. Und verlockend. Wir haben uns von den Wundern, die die Steilküste von Ventotene über und unter Wasser bietet, verzaubern lassen. Ventotene und Santo Stefano bieten vor allem in der Tiefe viel Abwechslung und Geschichten: sandigen Meeresboden mit ausgedehnten Posidonia Oceanica-Wiesen, Steilwände, Höhlen, Felsbögen, Schluchten.

© Franco Banfi – Parata Grande ist eine Bucht nordöstlich der Insel, Insel Ventotene, Italien

Dazu die archäologischen Funde von gesunkenen Schiffen aus der Römerzeit. Um all das zu erhalten, wurden die beiden Inseln zu Meeresschutzgebieten erklärt. Sie wurden 1997 eingerichtet und sind in drei Zonen mit unterschiedlichen Schutzstufen aufgeteilt. Zone A fällt unter absoluten Schutz. Aber die Schifffahrt und Tauchen zu wissenschaftlichen Zwecken und für Gruppen, die von qualifiziertem, lizenziertem Personal geführt werden, sind erlaubt. Die Zonen B und C sind weniger streng überwacht.

© Franco Banfi – Gerätetaucher mit roter Gorgonie (Paramuricea clavata).

Abgetaucht mit den Pionieren

Die Unterwasserlandschaften sind eine echte Überraschung. Schon in geringer Entfernung von der Küste erreicht der Grund eine Tiefe von mehr als 50 Meter. Dieser Umstand ermöglicht es, pelagische Tiere in Küstennähe anzutreffen. Nicht nur Schwärme kleiner Husarenfische oder winziger Zackenbarsche, sondern auch riesige Zahnbrassen, große Bernsteinmakrelen und dichte Schwärme von Mittelmeer-Barrakudas finden sich im Kanal zwischen den beiden Inseln.

© Franco Banfi – Schwarzer Zackenbarsch, (Ephinepelus marginatus), Status: gefährdet (IUCN)

In den schattigen Bereichen und Höhlen sind die Felsen mit Kolonien bunter Sternkorallen und verschiedenen Arten bunter Krustenalgen bedeckt. In den Posidonia Oceanica-Wiesen kann man leicht junge Exemplare von Meerbarben, Lippfischen, Steinbutten, Eidechsenfischen und Petermänchen erspähen. Wir sind mit Diving World Ventotene auf Erkundung gegangen – die allererste Tauchbasis in Italien, eröffnet 1978.

Im Jahr 2000 wurde die Basis von Valentina Lombardo und Dario Santomauro übernommen. Beide sehr sympathisch und unterstützt von einem Dutzend engagierter PADI-Tauchlehrer. Professionalität und Können dieses Teams sind bewundernswert. Die Tauchbasis befindet sich zentral gelegen in einem der Gebäude des römischen Hafens unter den in den Tuffstein gehauenen Bögen.

Die angefahrenen Tauchplätze liegen überwiegend innerhalb des Meeresschutzgebietes. Es gibt zwei Untiefen, deren Erkundung man nicht verpassen sollte, da sie die besondere vulkanische Morphologie des Ventotene-Archipels widerspiegeln: »Felssplitter«, die plötzlich aus dem Boden ragen. Und »Zinnen«, also unentwirrbare Labyrinthe aus aufgetürmten Felsbrocken, die Schluchten bilden.

Reichlich Fisch!

Ein Topspot ist La Secchitella. Unregelmäßige Felsformationen begrenzen große Flächen aus klarem Sand und Seegras, die das Licht reflektieren und der Umgebung auch in der Tiefe eine besondere Helligkeit verleihen. Die Wände sind mit Schwämmen und Algen diverser Arten bedeckt und erzeugen einen imaginären Regenbogen.

Der obere Teil ist mit Algen besiedelt, der untere mit Kolonien violetter, grauer und orangefarbener Schwämme. In der Sommersaison kann man dort einen großen Schwarm Barrakudas sehen. Auch Zackenbarsche beäugen hier neugierig die Taucher. Große Zahnbrassen patrouillieren am Rand des Sichtfelds. Mit etwas Glück kann man auch Thunfische beobachten, die im Kreis wirbeln. Oder auch die langsam und lautlos jagenden Riesen-Thunfische und Bernsteinmakrelen.

Ein weiterer Topspot ist La Secca di Gaudioso. Aus fotografischer Sicht einer der schönsten Tauchplätze vor Ventotene. Drei riesige, nahe beieinander liegende Felsen bilden einen vertikalen, mehr als zehn Meter aufragenden Abgrund. Der Tauchgang verläuft um diese Felsen herum in einer Tiefe zwischen 35 und 60 Metern. Also recht anspruchsvoll. Jeder der drei Felsen hat unterschiedliche »Eigenschaften«: Auf einem leben zahlreiche rote Gorgonien mit geöffneten Polypen, da sie der Strömung ausgesetzt sind.

Der zweite Fels, der etwas tiefer liegt, ist mit einem Teppich aus gelben Gorgonien dekoriert. An den schattigen Stellen sind Kolonien gelber Schwämme der Gattung Aplysina und violette Haliclona mediterranea zu finden. Um die drei Felsspitzen wirbeln Fischwolken, während man an den Felswänden Hummer, Zackenbarsche und Muränen entdecken kann. An den Zweigen der Gorgonie Paramuricea clavata lebt ein schönes Mittelmeer-Korbstern-Exemplar.

Weitere Tauchplätze

Le Sconciglie: Im nördlichen Teil von Ventone befinden sich zwei Riffe aus Lavagestein. Durch diesen Untergrund gibt es hier viele Höhlen und einen großen Torbogen, wo das natürliche Licht der Sonne Lichtstrahlen erzeugt. Normalerweise gibt es hier viele Fische, kleine Zackenbarsche und eine imposante Barrakuda-Schule.

© Franco Banfi – Taucher am Heck des Wracks der Fähre Santa Lucia.

Wrack der Santa Lucia: ein Dampfer, der am 24. Juli 1943 von den alliierten Streitkräften versenkt wurde. Die britischen Bomber hatten das Ziel, den Zugang zur Insel Ventonene zu verhindern. Aber das Schiff beförderte auf dieser Strecke nur Zivilisten. Das Wrack liegt in 46 Meter Tiefe und ist in zwei Teile geteilt, die komfortable Verstecke für Fische bieten. Das Heck ist kreisförmig und hat noch sein Geländer. Die Schiffsschraube ist auch noch an ihrem Platz. Am Bug befinden sich die Anker. Punta dell‘arco: ausgedehnte Sandbank vor dem ältesten Teil der Insel. Hier findet man mehrere römische archäologische Funde. An diesem Ort entdeckte das Team von Diving World Ventotene das »Dolium« – eine seltene große Amphore, die zum Transport von Wein verwendet wurde.

© Franco Banfi – Taucher und großer Felsen mit roten verkrusteten Steinen (Spirastrella cunctatrix).

Punta Fascone: riesige Felsen, die mit Seerosen und Fischernetzen bedeckt sind, die zur Kinderstube für die Eier von Hundsfischen (Umbra) geworden sind. Zahlreiche Schwämme bilden ein farbenfrohes Panorama, aus dem teilweise gelbe Gorgonien herausragen. Kapitale Zackenbarsche, viele Riffbarsche und Schwärme von gestreiften Brassen sind in diesem fotogenen Gebiet sehr häufig anzutreffen.

La Molara: Der aufregendste Anblick hier ist das Karussell riesiger Schwärme von Mittelmeer-Barrakudas, die um die Felsnadeln herumschwimmen. In diesem Gebiet gibt es auch viele Zackenbarsche, da dieser Spot als Zone A vollständig geschützt ist. Auf dem Meeresgrund befinden sich Fragmente römischer Amphoren. Aufgrund der geringen Tiefe und der fehlenden Strömung bietet La Molara einen der einfachsten Tauchgänge vor Ventonene.

© Franco Banfi

Göttliche Komödie hinter Gittern

Ventotene ist eine überaus interessante archäologische Stätte – sowohl wegen des römischen Hafens als auch wegen der Ruinen der Villa Giulia. Der römische Hafen ist immer noch in Betrieb. Es ist ein wunderbarer Platz mit antiken Pollern und Lagerhäusern, die von Hand in die Tuffsteine gegraben wurden. Hierbei handelt es sich um ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, das den Wellen des Mittelmeers und der Verschlammung bis heute erfolgreich die Stirn geboten hat.

Und auch der Besuch des Nachbar-Eilands Santo Stefano lohnt sich, das 1,6 Kilometer südöstlich von Ventotene liegt. Die Insel besteht aus einem Felsen mit einer Fläche von etwa 27 Hektar und einer Höhe von bis zu 80 Metern über dem Meeresspiegel. Auf diesem Felsen ließ Ferdinand IV., König von Sizilien, im Jahr 1795 ein Hochsicherheitsgefängnis errichten.

Das Gebäude, das um einen kreisförmigen Innenhof errichtet wurde, ahmt die Kreise der Hölle aus Dantes Göttlicher Komödie nach. Ein prominenter Insasse dort war der spätere italienische Staatspräsident Sandro Pertini. 1965 wurde das Gefängnis geschlossen und wirkt heute verlassen. Auf der Rückreise kann man auf dem italienischen Festland noch den Nationalpark de Circeo besuchen, der 1934 gegründet wurde. Das Naturschutzgebiet mit dem Namen »Pantani dell‘Inferno«, Höllenschlucht, ist erkundbar seit 1979. Es ist möglich, den Park zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu besuchen, aber es gibt einige nicht zugängliche Bereiche.

© Franco Banfi – Details der Häuser im alten römischen Hafen der Insel Ventotene.

Neben den »natürlichen Elementen« bietet der Park dem Besucher auch archäologische Stätten wie die Ruinen der Villa von Domiziano und die Quelle von Lucullo. Auch der See von Bolsena ist sehenswert: Es ist der größte Kratersee Italiens. Eine Besonderheit sind seine Schwankungen des Wasserspiegels, die kurzen Gezeiten ähneln. Rund um den See, der reich an Fischen ist, sind die Terrassen mit Wäldern, Weinbergen und Olivenhainen bedeckt. Interessant sind auch »die römischen Schlösser«:

Sie verdanken ihren Namen mittelalterlichen Schlössern und Landsitzen, die in der Vergangenheit von adligen römischen Familien gebaut wurden, die hier ihre Ferien verbrachten. Berühmte Schriftsteller und Dichter wie Goethe, Stendhal und Byron hielten sich gern hier auf und lobten die atemberaubenden Panoramen, kulinarischen Köstlichkeiten und feinen Weine. Der fruchtbare vulkanische Boden und das feuchte Klima ließen Wälder aus Buchen, Kastanien und Eichen entstehen, die den heißen mediterranen Sommer erträglich machen. 

© Franco Banfi – Baden in der Vasca Giulia, einem in den Tuffstein gegrabenen Becken, Insel Santo Stefano.