Nur fliegen ist schöner. »Meine Damen und Herren, willkommen am Kandooma Thila«, mimt Marcus Hauck den Airbuspiloten. »Die bewegte Wasseroberfläche verspricht Strömung, und zwar auslaufende. Genauso, wie wir es wollen.« Der Hinweis auf zu schließende Blei- und Bauchgurte bleibt zwar aus, doch was als Sturzflug mit seitlich vorbeifliegenden Luftblasen und an den Haaren zupfenden Doktorfischen beginnt, wandelt sich bei Grundkontakt zum Schonwaschgang.
Aber die Richtungsfindung wird zum Problem: Adlerrochen zur Linken, Schildkröte zur Rechten, Grauhaie am Kanalboden und prächtige Weichkorallen unter jedem Überhang. Wo zum Kuckuck soll man nur hingucken, während einen die Strömung beständig zur »letzten Ausfahrt« treibt? Praktisch, dass der Chef heute mittaucht und den besten Spot zum Einhaken in der Einflugschneise kennt.
Gut zehn Meter vor unserer Parkposition nimmt die Show an der Putzerstation ihren Lauf: Am »Drive In« zur natürlichen Waschstraße reihen sich mehr als 50 Grauhaie in Reih und Glied auf und schwimmen wie in Zeitlupe der Strömung entgegen, darunter winzige Jungtiere und der ein oder andere Artverwandte mit weißen Flossenspitzen. Anderswo auf dem Geröllplateau wuseln Napoleons umher, und auch ein Stachelrochen verschläft dort den Tag.
Der Versuch, der mäßigen Sicht mit langsamem Anpirschen ein Schnippchen zu schlagen, wird zum Fiasko – ein Schwall Luftblasen und die Show verlagert sich. »Tja, hättest Du mal auf mein Kommando gewartet. Dann wären Deine Fotos jetzt im Kasten«, zieht mich Marcus Hauck später, zurück an Bord, auf. »Aber jetzt weißt Du, wieso Guraidhoo mein Rentenplatz ist. Morgens Kandooma Thila, mittags Guraidhoo Corner – und ich bin happy.«
Historischer Boden
Nur eine gute halbe Speedbootstunde trennt Guraidhoo vom Internationalen Flughafen und der Hauptstadt Malé, deren Lichter nachts in der Ferne leuchten. Kaum verwunderlich, dass Guraidhoo zu den ersten Inseln überhaupt zählte, auf denen Malediver die neue Spezies Tourist begrüßten. »Schon vor einem halben Jahrhundert besuchte Personal der britischen Luftwaffenbasis die Insel, weshalb selbst die ältesten Einwohner ein paar Brocken Englisch sprechen«, berichtet DivePoint-Basismanager Jerry Mohammed. »Als der Malediven-Tourismus in den 1990er Jahren an Fahrt aufnahm, kamen von den 13 umliegenden Resort-Inseln täglich zwischen 200 und 300 Gäste nach Guraidhoo, was auch die unzähligen Souvenirshops erklärt.«
Heute ist die Insel auch bei Wochenendgästen aus Malé beliebt. Und bei Tauchern, die die Vorzüge gegenüber einer Resort-Insel verstanden haben. Hochglanz-Domizile mit drei Restaurants gibt es hier nicht. Aber einfachere und dennoch schmucke kleine Gästehäuser mit Pool wie »die Rosy Villa« schonen das Portemonnaie und spendieren Vieltauchern so mehr Ausfahrten und vielleicht auch weitere Urlaubstage. Da sich viele der umliegenden Resort-Inseln über die Jahre von »Taucherinseln« zu Wellnessoasen gewandelt haben, ist es an den Divespots ruhiger geworden, was den Riffen sichtbar gutgetan hat.
Kerngesunder Allrounder
So wuchern am Faana Thila pastellfarbene Tischkorallen über hunderte Meter Distanz bis zur Wasseroberfläche hinauf, als hätte es eine Korallenbleiche nie gegeben. An den Plätzen, wo Strömung und Hai-Karussell ausbleiben, hat man die nötige Ruhe, um den Clownfischen in ihren Anemonen-Teppichen zuzuschauen und überraschend viele Makro-Leckerlis wie schwarze und weiße Geisterpfeifenfische, Schaukelfische, Nacktschnecken und sogar Geistermuränen aufzustöbern.
Innerhalb von einer guten Stunde werden mit dem Dhoni am Nordende des Süd-Male-Atolls gleich 40 Tauchplätze erreicht, wobei neben diversen bekannten Thilas, Giris und Kandus das Kuda Giri-Wrack und von November bis April auch Spinnerdelfine in der Lagune von Rhiveli Taucherherzen höher schlagen lassen. Und wenn Flippers Verwandtschaft im April auf‘s offene Meer zieht, treffen üblicherweise Mantas in Sichtweite der Tauchbasis ein.
Als maledivische Generalvertretung von »Seabob« hält »DivePoint« immer genügend Scooter bereit, um den Tauchbasis-Gästen die hundert Meter zur Putzerstation Emmadi Giri zu erleichtern, wenn das Dhoni gerade anderswo weilt. »Ja, ich weiß, wir haben kein von Land aus zugängliches Hausriff«, feixt Marcus Hauck. Wohlwissend, dass ein Manta Point direkt am Lagunenausgang selbst auf den von Flügelrochen verwöhnten Malediven so gar nicht selbstverständlich ist.
Gelebte Völkerverständigung
Obwohl Marcus selbst sieben Tauchbasen betreibt, spürt man, dass ihm Guraidhoo besonders am Herzen liegt. Auch, weil die Insel Schauplatz einer tiefen maledivisch-deutschen Freundschaft ist: »Vor 16 Jahren lernte ich auf Rannalhi unseren Basisleiter Jerry kennen, der von Guraidhoo stammt. Wir verstanden uns auf Anhieb so blendend, dass ein gemeinsames Unternehmen nur Formsache war«, erinnert sich der Pfälzer beim Boxenstopp im Strandcafé.
Als 2009 mit der Ratifizierung des »Guest House Local Island Act« Übernachtungen auf Einheimischen-Inseln möglich wurden, witterten die beiden Freunde ihre Chance. »Jerrys Vater war sich sicher, dass die Insel »wachsen« würde und stiftete das Grundstück am Hafen, auf dem heute unsere Tauchbasis steht. Wir sind praktisch Familie.« Mittlerweile sind über der geräumigen Basis – übrigens die einzige auf den Malediven mit CO2-Reducer – zwei weitere Etagen im Bau, auf denen sich in Zukunft das Gästehaus erstrecken wird.
All den Aufwand würde niemand betreiben, wenn im Umfeld der Insel nicht einige der besten Tauchspots des Landes zu finden wären: Malediven-Kenner ziehen in Gedanken schon die Flossen an, wenn Namen wie Cocoa Corner, Medhufaru Kandu, Guraidhoo Kandu und Kandooma Thila fallen.
Auf Sand gebaut
Tatsächlich ist Guraidhoo ein Eiland im Umbruch. Wie fast überall in den Zentralatollen fehlt es an Wohnraum, sodass die ursprünglich 21 Hektar große Insel zwischen 2019 und 2021 mittels Saugbagger und Sediment auf 33 Hektar vergrößert wurde (siehe Kasten rechts). Heute erstreckt sich um die deutlich erkennbare Ur-Insel ein breiter Ödland-Streifen, dem ein professioneller Bebauungsplan zugrunde liegt. Bereits umgesetzt ist ein abgeschirmter Touristenstrand, der dem Wunsch nach knappen Badetextilien ebenso Rechnung trägt wie den Gepflogenheiten im muslimischen Land.
Das mag wenig nach Bacardi Feeling- und Die Blaue Lagune-Klischee klingen. Doch wer die Malediven je abseits von Resort-Elfenbeintürmen kennengelernt hat, weiß, dass ein solch respektvoller Kompromiss absolut angebracht ist. Im Gegenzug erlebt man »echte« Malediven mit am Strand herumlaufendem schnatternden Geflügel, Fischrest-Entsorgung an die Rochenmeute ohne Zaungäste, Dhoni-Reparatur und Einheimische »next door«, die unter‘m Bougainvillea-Blätterdach den Vorgarten fegen, dem Ruf des Muezzins folgen oder Bandi Kulhun – dem maledivischen Baseball – frönen.
Ganz normales Inselleben eben. Wenn man einen zeternden Ara namens Tokyo ausklammert, der dann und wann über den Sandboden flattert, um zielsicher auf der Schulter seines rollerfahrenden Herrchens zu landen. Marketing à la Guraidhoo: So lockt man eben auch Touristen in den eigenen Coffeeshop.
Neuland für die Inselnation
Nicht nur in der Hauptstadt Malé, sondern auch auf einem Großteil der Einheimischen-Inseln in den maledivischen Zentralatollen sorgt die Bevölkerungsentwicklung dafür, dass Platz knapp wird. Die mit dem internationalen Flughafen verbundene künstliche Insel Hulhumalé fängt mit mehrstöckigen Bauten die Wohnraumknappheit der Hauptstadt auf und hat der Idee, Inseln einfach aufzuschütten, ebenso Auftrieb gegeben wie die Palmeninseln vor Dubai.
Neuanlagen und Vergrößerungen von Inseln mit beliebiger Erweiterungsmöglichkeit sind in der Peripherie Malés längst üblich und haben sich vervielfacht, seitdem die Maldivian Transport Company nicht länger auf die Kooperation mit einem niederländischen Anbieter angewiesen ist, sondern mit einem eigenen Mega-Saugbagger deutlich günstiger das benötigte Sediment vom Meeresboden fördert.
Seit der Verabschiedung des Dezentralisierungsgesetzes von 2020 können regionale Verwaltungen Anträge zur Inselvergrößerung bei der Regierung einreichen. Die Nachfrage ist riesig und die Aufträge Millionen schwer. Dabei rollt bereits das nächste Pilotprojekt an: In Zukunft soll ein Teil des nationalen Energiebedarfs durch Nutzung der Strömung in den Riffkanälen gedeckt werden.
Reiseinfo: Guraidhoo / Süd-Male-Atoll / Malediven
Anreise: Alle großen Flughäfen bieten Direktflüge (zum Beispiel mit Condor) nach Malé. Alternative: Gabelflüge mit Qatar Airways, Emirates oder Turkish Airlines.
Die Speedboot-Transfers zu der 32 Kilometer vom Velana International Aiport (MLE) entfernten Insel Guraidhoo werden vom Gästehaus organisiert und erfolgen bis zu dreimal täglich.
Tauchbasis DivePoint Guraidhoo:
Die 180 Quadratmeter große Basis mit deutschsprachigem Personal liegt direkt am Hafen und verfügt über 5-, 10-, 12- und 15-Liter-Tanks, 30 Leihausrüstungen von Mares (auch Kindergrößen), Seabob-Scooter, Leihkameras, eine topmoderne Nitrox-Anlage und CO2-Reducer. Ausgebildet wird nach SSI bis zum Instructor. Neben zwei Tauchgängen am Vormittag und einem nachmittags sind auch Nachttauchgänge möglich.
Weitere Infos:
www.divepoint-maldives.com
Unterkunft auf Guraidhoo:
Das gemütliche Boutique-Gästehaus Rosy Villa liegt in einem kleinen tropischen Garten mit Pool, überdachtem Restaurant und Dachterrasse in der Inselmitte. Auf drei Etagen (kein Lift) gibt es Zimmer in vier Kategorien: Standard (30 m²) und Deluxe (40 m²) für Alleinreisende und Paare (gern auch mit Kind), sowie Premium (50 m²) für Familien mit zwei Kindern oder Deluxe Triple (50 m²) für bis zu drei Erwachsene und ein Kind. Alle Zimmer sind modern eingerichtet und verfügen über Badezimmer, TV, Klimaanlage und Minibar. WiFi ist kostenfrei.
Bitte beachten: Wie auf allen Einheimischen-Inseln wird kein Alkohol ausgeschenkt. Aus Respekt vor den landestypischen Sitten sollte außerhalb der Gästehaus-Anlage auf angemessene Bekleidung geachtet werden.
Weitere Infos:
www.rosyvillamaldives.com
Preisangebot:
Beim Tauchreiseveranstalter Absolut Scuba kosten sieben Nächte im Doppelzimmer der Rosy Villa (bei zwei Personen) mit Frühstück sowie Non-Limit-Tauchen (bis zu drei Tauchgänge pro Tag, außer am Abreisetag) mit Tank, Blei, Guide und Bootsfahrten ab 1335 Euro. Flüge auf die Malediven kosten ab etwa 800 Euro.
Kontakt & Buchung:
Absolut Scuba
www.as-tauchreisen.de
[email protected]
Telefon: 02666-4186717