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Für ein bisschen Gold – Die Goldtaucher von den Phillippinen

Sein Job ist lebensgefährlich, extrem gesundheitsschädlich und illegal. An all dem darf sich Severimo Mojar nicht stören. Er ist ein philippinischer Kompressortaucher und er muss irgendwie seine Familie durchbringen. Das ist die philippinische Lebensrealität hier draußen in dem ländlichen und armen Southern Leyte. Es ist nicht so, dass es auf den Philippinen nichts zu tun gibt, aber Arbeit wird kaum honoriert, das ist das allgegenwärtige Problem. Gold zu suchen, das klingt irgendwie romantisch, ist es aber nicht. Jeden Morgen kommt Severimo Mojar an den Strand von Pinot An in der Nähe von San Ricardo und trifft sich dort mit seiner Crew. Sie sind ein eingeschworenes Team und arbeiten schon fünf Jahre zusammen. Ich lerne seine Kumpanen Vincente Monteros und Betol Cadamo kennen. Die beiden anderen Kompressortaucher aus seinem Team werde ich erst später sehen, sie schuften schon am Meeresgrund. Auch vor Severimo Mojar liegt eine zehn Stunden dauernde Schicht, unterbrochen von einer kurzen Mittagspause mit Reis und Fisch.

EIN SPIEL MIT DEM LEBEN

Ich möchte mit den Goldsuchern tauchen gehen und ernte ungläubiges Kopfschütteln. Diesen Wunsch hatte wohl noch keine „Langnase“ vor mir geäußert. Doch Severimo willigt ein und ich kann mir die Luftversorgung der Kompressortaucher ansehen.
In den baufälligen Hütten am Strand stehen keine Atemluft-Kompressoren, die über Systeme zur Entölung und Entfeuchtung der Atemluft verfügen, sondern Geräte, mit denen man normalerweise Farbe spritzt oder Luft in Autoreifen füllt. Sämtliche Kompressoren sind völlig verrostet und eigentlich schrottreif. Dementsprechend häufig fallen sie aus. Während man beim Füllen von Autoreifen oder beim Lackieren noch darauf achtet, dass nicht zu viel Öl in die Luft gelangt, belastet man sich hier mit solchen Bedenken nicht. Die Luft wird so ölig, wie sie aus dem Zylinder kommt, in Verteilerschläuche aus Plastik geleitet. Das sind Schläuche, wie Aquarianer sie kennen. Sie sind fest unter Wasser verlegt, der Kompressortaucher stöpselt sich mit seiner eigenen, rund 15 Meter langen Schlauchleitung vor Ort ein. Das Schlauchende wird einfach in den Mund genommen. Manche Taucher lassen sich sogar einen Schneidezahn entfernen, um den Schlauch sicherer im Mund festklemmen zu können. Um zu atmen werden einfach die Lippen verschlossen. Dann bläst einen der Kompressor auf. Sind die Lungen gefüllt, öffnet man die Lippen wieder und lässt überschüssige Luft abströmen. Jetzt kann man auch ausatmen und das Spiel beginnt wieder von vorn. Die Masken sehen aus wie Modelle aus den 1950er-Jahren, ohne Nasenerker, aus brüchigem Gummi und mit Blechrahmen versehen. Für den Druckausgleich muss von diesen Tauchern sowieso keiner mehr die Nase zuhalten. Das macht die tägliche Routine. Die Flossen haben eine Weiterentwicklung erfahren. Habe ich bei Schwammtauchern vor ein paar Jahren noch Holzplatten an den Füßen gesehen, sind es jetzt aus Ölkanistern geschnittene Plastikstreifen, die mit Gummiteilen zu einer Art Flosse zusammengefügt werden. Das funktioniert überraschend gut!

Jetzt wird es ernst für mich und meine Kamera. Ich soll schon mal nach dem Plastikschlauch neben meinem Kopf greifen und ihm bis ans Ende folgen. Severimo käme gleich nach. Der Schlauch ist mit seinem unteren Ende an einem Felsen befestigt. Ich kann das allerdings alles nur ertasten, denn die Sicht ist fast null. Endlich kommt Severimo bei mir an, aber aus der entgegengesetzten Richtung. Er trägt seinen Plastikschlauch lässig um die Hüfte geschlungen und seine selbst gebauten Flossen scheint er jeden Augenblick zu verlieren. Wir schwimmen und schwimmen, sein Atemschlauch muss doch irgendwann zu Ende sein? Er hat mich offenbar, während ich auf ihn wartete, im Trüben überholt und seinen Atemschlauch weiter draußen eingestöpselt.

WAS FÜR EIN KNOCHENJOB!

Irgendetwas hämmert hier. Unter zwei mächtigen Felsbrocken kauert ein Kompressortaucher und schlägt Gesteinsbrocken heraus. Diese werden mit einer kurzstieligen Schaufel in einen Reissack geschaufelt. Immer wenn die Sicht für Sekunden etwas aufhellt, versuche ich, ein paar Fotos zu machen. Severimo gibt mir Zeichen, ihm weiter durch die „Mondlandschaft“ zu folgen. Er ist mit seinen selbstgebauten Flossen trotz des hinderlichen Plastikschlauchs verdammt schnell, und ich muss mich bemühen, ihn in dem trüben Wasser nicht aus den Augen zu verlieren. Wir gelangen an einen Reissack-Sammelplatz, an dem alle mit goldverdächtigem Gestein gefüllten Säcke abgestellt werden. Von hier aus tragen andere Kompressortaucher die Säcke an den Strand und kippen den Inhalt direkt auf die Sluice Boxes, die Holzgestelle, die hier überall am Strand herumstehen. Jeder dieser Säcke wiegt deutlich über 50 Kilo!

Weiter geht es zu einer Art riesigem Hinkelstein und Severimo verschwindet mit seinem Oberkörper und seiner kleinen Handschaufel darunter. Einen kurzen Moment später ist er wieder draußen und zeigt mir triumphierend einen Stein. Er dreht ihn ein wenig in der Hand und tatsächlich: Das Ding glitzert an ein paar Stellen golden. Severimo drängt mich weiter, will mir unbedingt noch etwas zeigen.

Vor uns liegt ein Schacht. Er ist senkrecht hinab ins Bodenlose abgeteuft, ich kann ein paar Meter unter mir sogar einen seitlichen Abzweig erkennen. Oben ist der Schacht mit massiven Stämmen perfekt abgestützt, weiter unten überhaupt nicht. Severimo deutet hinunter, aber mein Mut ist an dieser Stelle zu Ende – da tauche ich nicht hinein! Das letzte, was ich von Severimo sehe, sind seine Flossen, ein paar Luftblasen und dann laufen scheinbar endlose Meter Plastikschlauch in das viereckige Loch im Meeresboden. Ich leuchte mit meiner wirklich starken LED-Lampe hinterher, aber ihr scharf gebündelter Lichtstrahl endet in der Schwärze des Schachtes. Severimo muss tief unten irgendwo abgebogen sein, denn es kommen keine Luftblasen mehr oben an. Langsam werde ich unruhig. Er wird doch nicht irgendwo steckengeblieben sein? Na, wenigstens kann ihm nicht die Luft ausgehen, vorausgesetzt der Kompressor bleibt nicht stehen und der Luftschlauch reißt nicht ab. In meinem Kopfkino laufen schlimme Szenen ab. Ich könnte nicht so einfach zu ihm hinunter, mit dem Tauchgerät auf dem Rücken bin ich zu groß. Ich müsste es abnehmen und vor mir herschieben. Doch endlich trifft mein Lichtstrahl auf seinen Helm. Er hat tatsächlich da unten gewendet! Severimo kommt aus dem Schacht und hält mir wieder einen Stein vor die Maske, der an ein paar Stellen verdächtig golden glänzt.

Stefan Baehr

DER FLUCH DES GOLDES

Neben Severimo und seinen Jungs arbeiten und leben noch etwa 200 weitere Kompressortaucher an diesem Strand. Sie hausen in kleinen Hütten direkt neben den lärmenden Kompressoren. So ein kleines Team aus fünf Tauchern, wie das von mir begleitete, trotzt dem Meer circa fünf Gramm Gold pro Tag ab. Das goldhaltige Gestein muss aber nicht nur herausgebracht, sondern auch noch zerschlagen, zermahlen und unter Einsatz bedrohlicher Mengen Quecksilber gewaschen werden. Für diese fünf Gramm Gold mussten mehrere Tonnen Gestein bearbeitet werden! Die Arbeiten dauern bis spät in die Nacht. Das Schlimmste ist, dass die primitiven Einrichtungen den Menschen, die hier arbeiten, nicht einmal gehören, sondern irgendwelchen Clanchefs. Die sorgen dafür, dass das illegale Treiben nicht gestoppt wird, indem sie die Bestechungsgelder in die richtigen Kanäle leiten und sacken den Rest ein. Den Leuten, die hier als Tagelöhner schuften und ihr Leben und ihre Gesundheit riskieren, bleiben tatsächlich gerade einmal 100 Peso (etwa zwei Euro) am Tag. Alle haben den Lebenstraum eines ganz großen Goldfundes. „Dann könnte man seine Kinder auf eine vernünftige Schule schicken“, erzählt Severimo. Würde man die Grabungen seitens der Regierung stoppen, hätten sie überhaupt nichts mehr zum Leben. Eine Armutsfalle, aus der es kein Entrinnen gibt.

DAS VORGEHEN HAT LANGE TRADITION

An der Vorgehensweise beim Goldschürfen hat sich seit den Zeiten des Goldrauschs am Klondike so gut wie nichts geändert. Sich mit der Goldwaschpfanne an den Bach zu setzen und abends mit ein paar Nuggets am Lagerfeuer zu hocken, klingt romantisch, hat aber, bis auf ganz wenige Ausnahmefälle, so noch nie funktioniert. An Stellen, an denen es wirklich Gold gibt, muss man graben. Teilweise sehr tief. Meist muss man grobes Gestein zerkleinern, indem man es mit Hämmern zerschlägt. Die Goldsucher von San Ricardo sind auch immer zur Stelle, wenn es in der Nähe einen Felsrutsch gibt. Das Gelände zu betreten ist dann zwar lebensgefährlich, viel gefährlicher als die ganze Kompressortaucherei, aber die dicken Brocken, die dort herumliegen, sind oft goldhaltig.

Der nächste Verarbeitungsschritt findet in der Sluice Box statt. Man kippt das zerkleinerte Material auf das Gestell und trennt „goldverdächtiges“ Material von blindem Gestein. In den Riefen der deshalb auch als Riffle Board bezeichneten Goldwaschanlage bleiben Goldpartikel vermischt mit feinem Gesteinsmehl zurück. Etwas größere Brocken, die mutmaßlich goldhaltig sind, werden in Gesteinsmühlen endgültig zu feinem Staub zermahlen. Um das Gestein über das Riffle Board zu spülen, braucht man Unmengen von Wasser. Gut, wenn ein Fluss oder das Meer in der Nähe sind, sonst müssen die Digger das Wasser mühsam heranschaffen.

Der folgende Arbeitsschritt erinnert wieder an bekannte Filme aus der Welt der Trapper und Goldwäscher – es kommt nämlich immer noch die gute alte Goldwäscherpfanne in Verbindung mit reichlich Wasser zum Einsatz. Diese einfache Pfanne ist immer noch das Mittel der Wahl, wenn es darum geht, das schwere Gold vom leichteren Gesteinsmehl und Sand zu trennen.

Stefan Baehr

Aber auch das Waschen hat seine Grenzen. Überall in der dritten Welt wird daher auch heute noch Quecksilber als „Goldmagnet“ verwendet. Quecksilber hat die von Diggern geschätzte Eigenschaft, mit Gold blitzschnell zu Amalgam zu legieren. Hierzu wird Quecksilber im Verhältnis 1:1 mit dem Goldstaub, der immer noch störendes Gesteinsmehl enthält, vermengt. Dann drückt man die Masse durch ein feinmaschiges Tuch und fängt das unlegierte und daher noch flüssige Quecksilber in einem Gefäß auf (nicht um die Umwelt zu schonen, sondern weil Quecksilber so teuer ist!). In dem Tuch bleiben kleine Amalgamkügelchen zurück. Diese Kügelchen werden erhitzt, bis das Quecksilber verdampft. Dabei entstehen tödlich giftige Dämpfe, aber es bleibt eben auch fast reines Gold zurück. Als Dank für die Führung und die Einblicke ins Gold Mining stecke ich Severimo 500 Peso zu. Das sind umgerechnet zehn Euro. Der vorher so abgeklärt wirkende Severimo läuft mit dem Geld zu seiner Frau, die mit einer Goldwaschschüssel an einem der Becken hantiert und ruft völlig überwältigt: „Look what I have, look what I have!“ Für seine philippinische Familie ist heute ein Freudenfest und ich schaue beschämt auf meine teure Kamera zu meinen Füßen.

EIN KLEINER HOFFNUNGSSCHIMMER

Auf mein Betreiben hin und um den Diggern vom Pinot An ein wenig zu helfen, haben Ralf Jockel vom Pintujan Resort (www.pin-tuyan-dive-resort.com) und Erhard Brucker von Whaleshark Divers (www.whaleshark-divers.com) beschlossen, künftig Tauchgänge bei den Goldsuchern als besonderes Event in ihren Resorts anzubieten. Ich halte das für eine gute Idee, denn so bekommen die Kompressortaucher wenigstens ein wenig mehr Geld in die Finger. Einen Ausweg aus dem Elend bedeutet das aber nicht.