Am 1. November 2019 brach an Bord der „Red Sea Aggressor 1“ im Roten Meer ein Feuer aus. Das Tauchsafarischiff sank, ein Gast kam dabei ums Leben, alle anderen konnten sich retten. Was genau bei diesem tragischen Unglück passierte, schildert Michael Houben, der in der Unglücksnacht an Bord war.
„Es war am 1. November 2019. Es muss kurz nach ein Uhr Nachts gewesen sein. Ich sprang, bekleidet mit Unterhose und T-Shirt, ins Rote Meer. Als ich wieder über Wasser war, sah ich meinen Freund und Tauchbuddy Helmut als letzten Mann auf dem Bug stehen. Im Pyjama. Er zögerte einen Moment, blickte sich noch einmal um. Vom Wasser aus sah ich das hintere Drittel des Schiffes lichterloh brennen. Dann sprang auch er. Wenig später explodierten am Heck die ersten mit 200 Bar gefüllten Tauchtanks. Doch wir waren am Leben. Erst später wurde klar: Nicht alle Passagiere konnten entkommen. Als die Überlebenden in den folgenden Tagen die Ereignisse rekonstruierten, waren wir in fast allen Punkten einig: die Betreiber des Schiffes hatten in unseren Augen jede nur denkbare Sicherheitsmaßnahme ignoriert. Die Katastrophe wäre vermeidbar gewesen. Der folgende Bericht soll allen Veranstaltern – aber auch ihren Gästen – als Warnung dienen.
Es war purer Zufall, dass Helmut und ich am 26. Oktober auf der „Red Sea Aggressor 1“ an Bord gingen. Als wir beschlossen, gemeinsam die Tauchsafari ‚Brothers-Daedalus-Elphinstone‘ zu buchen, waren an dem einzigen für uns gemeinsam möglichen Termin nur noch wenige Plätze auf wenigen Schiffen frei. Das Schiff hatte auf diversen Internetportalen sehr gute Kritiken. Der Betreiber ‚Aggressor Adventures‘ hatte einen guten Ruf – vor allem für erstklassigen Service. Zitat der Homepage: “… weltklasse, persönliche, kunstvolle Abentauer auf dem Meer.“ Das diese Reise wahrlich ein Abenteuer werden würde, konnten wir nicht ahnen. Doch schon kurz nach Betreten des Schiffes dachten wir: Es war nicht wirklich ‚weltklasse‘. Es schien eher wie ein in die Jahre gekommenes Mittelklasse-Boot am Ende seines Lebenszyklus. Unsere Toilettenspülung musste fast täglich repariert werden, die Klima-Anlage in der Kabine fiel zeitweise aus, die Einrichtung wirkte schon etwas abgewohnt, die Teppiche alt. Eine der beiden Duschen am Tauchdeck ging am zweiten Tag kaputt, die Nitrox-Anlage am dritten Tag. Es gab für die Besatzung immer etwas zu reparieren. Trotzdem beschwerte sich keiner der Gäste – und auch dafür gab es einen Grund.
Die Crew war ohne jede Frage mehr als bemüht, uns Gästen jeden Wunsch von den Augen abzulesen, sie war perfekt darauf trainiert. Das Essen war hervorragend. Man hatte bei Rückkehr vom Tauchgang kaum den Atemregler aus dem Mund genommen, schon drückte der Steward jedem Taucher einen Becher frisch gepressten Saft in die Hand. Man hatte kaum eine Chance, seine Flossen selbst an- und auszuziehen. Auch die Taucheranzüge wurden von helfenden Händen zurechtgezogen und geschlossen. Und wirklich einmalig – ein spezielles Service-Markenzeichen auf den Tauchschiffen der ‚Aggressor Adventures‘: Sowie ein Gast nach dem Tauchgang das Neopren ausgezogen und sich auf dem Tauchdeck abgeduscht hat, dauert es keine fünf Sekunden bis ein Crewmitglied dem Gast ein wohlig vorgewärmtes Handtuch über die Schulter legt. Der Nachschub an warmen Handtüchern versiegte niemals. Sie kamen perfekt getimt aus dem Wäschetrockner. Man konnte zählen: „eins, zwei, drei… Handtuch“. In dieser Beziehung war die Crew extrem gut trainiert. Am vorletzten Tag der Reise erfuhren wir: für lebenswichtige Dinge gab es anscheinend weniger Training.
Wie am Beginn einer Tauchsafari üblich, gab es natürlich ein Sicherheitsbriefing für alle Gäste. Zur Einstimmung eine Video-Grußbotschaft des Präsidenten der Aggressor Group. Den genauen Wortlaut hat keiner von uns mehr im Kopf. Auf der Firmenhomepage lautet die Grußbotschaft des Vorstandsvorsitzenden: „Eine meiner wichtigsten Aufgaben ist es, unsere Reiseziele (=Schiffe) zu besuchen, um die Sicherheit, Qualität und den persönlichen Service zu gewährleisten, auf denen wir unseren Ruf aufgebaut haben.“ Ich frage mich, wann er oder einer seiner Mitarbeiter wohl zuletzt auf der „Red Sea Aggressor 1“ war und was er unternommen hat um die Einhaltung dieses Versprechens zu prüfen. Nach der Grußbotschaft erklärte der erste Tauchguide und ‚Tourdirector‘, das Schiff sei vor gut zwanzig Jahren gebaut, laufe in Ägypten unter dem Namen ‚Suzanna‘ und sei vor vier Jahren für die Aggressor Group aufwändig umgebaut und modernisiert worden. Mein Buddy meinte in diesem Moment zu mir: „Das ist wohl mal wieder fällig“. Danach erklärte der Guide die wesentlichen Sicherheitsmaßnahmen auf dem Schiff: Rettungswesten liegen auf dem obersten Sonnendeck, Rettungsboje und Sammelpunkt im hinteren Teil des Oberdecks, Im Falle eines Feuers gäbe es Rauchmelder. Sobald man die höre, solle man umgehend die Kabine verlassen, sich an Deck sammeln. Für die Mehrzahl der Passagiere, die eine Kabine im Unterdeck haben, führt der Fluchtweg über die einzige Treppe in den hinteren Teil des Haupt-Decks. Falls dieser Fluchtweg versperrt sei, gäbe es eine Notluke im vorderen Bereich, in Kabine 1. Die führt zu einem Mannschaftsraum und von dort mit einer Leiter am Bug des Schiffes nach oben an Deck. Weiter hieß es: Es sei wegen Feuergefahr strikt verboten, elektrische Geräte und insbesondere Ladegeräte für Akkus in den Kabinen zu betreibern, solange man sich nicht selbst in der Kabine aufhält. Auch nachts, falls man schläft, sei der Betrieb elektrischer Geräte wegen Brandgefahr verboten. Ladegeräte dürften nur auf dem dafür eingerichteten Tisch im Heck des Hauptdecks betrieben werden. Direkt neben der Treppe, die vom unteren Deck herauf führt, im sogenannten ‚Salon‘. Dort sei rund um die Uhr jemand anwesend, der Brandwache halte.
Ich kann schwören, dass es keine Brandwache gab. Ich bin ein Nachtmensch, war auf dem Boot meist der letzte Gast, der noch wach war. Meist auf einer Sonnendeckliege noch in die Sterne schauend oder mit meinem E-book-reader lesend. Als ich von dort herunter kam, über das Oberdeck, runter auf das Tauchdeck, durch die Glastür in den Salon, Richtung Unterdeck, fiel mir schon am ersten Abend auf, dass niemand anwesend war. ‚So viel zum Thema Brandwache‘ dachte ich. Der Gedanke kam mir am Abend des 31. Oktober erneut, als ich gegen 23 Uhr wieder als letzter zwischen Kaffeemaschine und Akkuladetisch die Treppe zu den Unterdeckkabinen hinunter ging. Insofern habe ich möglicherweise einen kleinen Teil Mitschuld an der Katastrophe. Ich hätte jemanden von der Crew wecken und auf die fehlende Brandwache hinweisen sollen. Aber das tat – leider dann zu spät – etwa zwei Stunden später ein anderer Gast.
Ich wurde wach, und hörte Schritte, gedämpfte Rufe, ‚Fire, Fire‘! Tatsächlich lag leichter Brandgeruch in der Luft, kein angenehmer Lagerfeuerduft, eher chemisch und fies. Ich fragte meinen in der zweiten Koje liegen Buddy, ob er das auch rieche, er schien zeitgleich wach geworden zu sein und murmelte, ‚ja, irgendwas ist los‘. Als ich den Kopf aus der Kabinentür steckte sah ich deutlich Rauch im Gang, der Geruch war extrem. Ich war leichtsinnig und ging noch einmal zurück in die Kabine. versuchte in dem Fach neben der Koje meine Brille zu finden. Ohne die bin ich blind wie ein Maulwurf. Ich tastete herum, konnte sie nicht erwischen, vielleicht 20, maximal 30 Sekunden lang, das selbe tat mein Buddy, dann meinte ich: ‚Scheiß auf die Brille, wir müssen hier raus‘. Als wir wieder auf den Gang kamen, war der Rauch schon viel massiver. Ich versuchte die Treppe zum Heck, doch schon auf der zweiten oder dritten Stufe wurde die Hitze am Kopf unerträglich, der Rauch extrem beißend und ich hörte fieses Knistern. Also zurück Richtung Bug, zum Notausstieg. Helmut direkt hinter mir, dahinter noch jemand, bis heute wissen wir nicht, wer es war. Wir erreichten die Notluke durch die gerade noch jemand anders kroch. Dann zogen helfende Hände auch mich in den dahinter liegenden Raum. Bei dem rasenden Tempo, in dem sich Rauch und Feuer in diesem Moment bereits ausbreiteten, war klar: Wären wir nur 30 Sekunden später aus der Kabine gekommen, wären auch wir tot gewesen. Ein anderer Gast, von Beruf Ingenieur der sich mit Brandschutz in Industrieanlagen auskennt, erklärte später: Der Rauch hätte den ganz speziellen Geruch von brennendem PVC-Kabel gehabt. Chlorhaltig. In der Industrie nicht mehr benutzt, weil diese Gase besonders gefährlich sind und die Fähigkeit zur Flucht massiv beeinträchtigen.
Eine komplette Rekonstruktion der letzten Minuten ergab sich, als alle Überlebenden später von der Ägyptischen Polizei befragt wurden und viel miteinander sprachen. Ein in der hintersten Kabine, direkt an der Treppe untergebrachter Gast war aufgewacht, Er roch Rauch, weckte seinen Zimmergenossen, Er versuchte – wie ich etwa später – die Treppe zum Heck Er kam noch ein paar Stufen höher als ich und berichtet, er habe durch den dichten Rauch hindurch intensives rotes Glühen gesehen, möglicherweise auf der Seite, auf der die Kaffeemaschine stand, vielleicht aber doch etwas weiter rechts, wo der Ladetisch war. Doch schon für ihn war es unmöglich auf diesem Weg den Ausgang zu erreichen. Er kehrte um und rannte laut ‚Fire-Fire‘ rufend nach vorne. Das muss der Moment gewesen sein, an dem ich langsam erwachte. Am vorderen Ende des Ganges öffnete er die Tür zu Kabine 1, wo sich der Notausgang befand, weckte die dortigen Gäste. Als er versuchte den Notausgang zu öffnen, gelang das nur wenige Zentimeter weit. Etwas blockierte die Luke. Er drückte stärker, rüttelte, …. nach einiger Zeit gelang es ihm, die Luke zu öffnen und er bemerkte die Ursache: Auf der Rückseite lag eine Matratze und darauf ein schlafendes Crew-Mitglied. Es war soweit wir wissen das erste Besatzungsmitglied das wach wurde. Irgendwann zwischen diesem ersten Gast und mir muss auch der Tour-Direktor, der ‚erste Tauchguide‘ wach geworden sein. Er lag in Kabine 2, ebenfalls im Unterdeck, vorne am Bug, nahe dem Notausgang. Keiner erinnert sich, wann er aus der Kabine kam – soweit wir alle wissen auf jeden Fall vor mir und Helmut. Er hätte noch Zeit gehabt, durch den Gang zu rennen, alle Kabinentüren aufzureißen und die Passagiere zu warnen. Zugegeben: auch wir taten das nicht – aber er hätte dafür trainiert sein müssen. Einige von uns erinnern sich immerhin daran, dass ein zweiter dort untergebrachter Tauchguide ihnen bei der Flucht aus dem Unterdeck half. Fast alle Überlebenden machen den einzelnen Crewmitgliedern keinen persönlichen Vorwurf, sie können im Krisenfall nur das leisten, wofür sie trainiert sind. Und in keinem Moment, von der ersten Sekunde des Erwachens, bis keine 15 Minuten später das Boot von Bug bis Heck in Flammen stand, hat auch nur ein einziger Mensch einen einziger Piep aus einem einzigen Rauchmelder gehört.
Ein Mensch starb deshalb. Es war eine US-Amerikanische Regierungsangestellte, Army-Veteranin, die in der hintersten Kabine untergebracht war. Die Unterhosen und Schlafanzüge der anderen Gäste waren noch nicht wirklich trocken, als in amerikanischen Tauchforen erstmals Berichte auftauchten, in denen die heldenhaften Rettungsbemühungen der Crew gelobt – und behauptet wurde, sie sei gestorben weil sie noch einmal in die Kabine zurückgegangen sei, um ihren Laptop zu retten. Soweit wir wissen hatte Sie nicht mal einen Laptop auf dem Schiff. Wir wissen nicht, wer diesen Unsinn in die Welt gesetzt hat. Da soll jeder sich seinen Teil denken. Soweit wir Überlebenden und einzigen Zeugen das rekonstruieren können, ging es ihr und Ihrer Zimmergenossen ähnlich, wie Helmut und mir. Als beide fast zeitgleich wach wurden, versuchten beide noch kurz ein paar Dinge zu erwischen. Sie lagen ohne es zu ahnen noch etwas näher am Brandherd als wir. Eine der beiden Frauen muss der Mensch gewesen sein. der zuletzt direkt hinter Helmut und mir noch aus dem Unterdeck kam. Ihre Zimmergenossin hat soweit wir wissen, nur ein paar Sekunden zu lange gezögert. Wie beschrieben: Es gab ja nicht mal einen Feueralarm.
Am Heck nahm unterdessen die Katastrophe ihren weiteren Lauf. Die wenigen Passagiere, deren Kabine auf Haupt- und Oberdeck lagen, waren ebenfalls wach geworden und über die einzige möglich Treppe hinunter zum Tauchdeck gelangt. Dort sahen sie durch die Fensteer zum Salon nur dicken Rauch und im hinteren Teil intensives rotes Glühen. Kurz nach ihnen trafen die ersten Crew-Mitglieder dort ein, schafften es innerhalb von ein bis zwei Minuten das auf dem Oberdeck am Heck liegende Zodiac (Schlauchboot) zu Wasser zu lassen. Die Gäste, die am Heck standen, sprangen schnell hinein und berichten, dass vermutlich der Bordingenieur noch versuchte, mit Atemmaske und Feuerlöscher bewaffnet die Tür zum Salon zu öffnen. Er konnte es nicht wissen, aber das war ein Fehler. Denn als die Tür aufging, erhielt der Schwelbrand frische Luft und alles stand augenblicklich in lodernden Flammen. Die griffen binnen Sekunden auf die im Heck hingenden Neopren-Anzüge über, die Jackets, den Rest
Etwa zeitgleich müssen Helmut und ich durch den Notausgang und die Leiter am Bug des Schiffes angekommen sein. In solchen Situationen Zeit einzuschätzen ist kaum möglich. Doch es kann nur ein oder zwei Minuten gedauert haben haben, bis die Menschen, die im Schlauchboot am Heck saßen und viel mehr sahen, uns zuriefen. ‚Jump, Jump‘. Ich konnte es kaum fassen und sprang als vorletzter. Wenig später hörte man am Heck die ersten Tauchtanks explodieren. Im Wasser trafen wir ein Crewmitglied. Es war gespenstisch. Er hatte seinen Hartschalenkoffer gerettet, den er mit einer Hand beim Scwimmen hinter sich herzog. Mittlerweile hatte das Feuer rasend schnell den Bug des Schiffes erreicht. Zwischen unserem ersten Erwachen und diesem Moment lagen wohl kaum zehn Minuten.
Zum Glück ankerten wir nahe dess Ufers, es war die letzte Nacht auf See. Hinter uns hatte ein Schiff der ‚Emperor-Flotte‘ festgemacht. Dort muss jemand wach gewesen sein. Als wir von Bord sprangen, hatte man bereit die Leinen gelöst und begann das Schiff aus der Gefahrenzone zu fahren. Dann setzten auch sie ein Zodiac ins Wasser und begannen uns einzusammeln. Im Namen Aller möchte ich hier noch einmal herzlichen Dank an die Emporer-Flotte und speziell diese Crew und ihre Passagiere senden. Als nach und nach alle Überlebenden auf dem Schiff ankamen und durc hgezählt wurde, fiel auf, dass eine Frau fehlte. Die Zodiacs haben noch gut eine halbe Stunde lang das brennende Wrack umkreist und nach Ihr gesucht. Vergeblich. Später hörten wir, die „Red Sea Aggressor 1“ habe bis weit in den Tag hinein gebrannt , sei dabei langsam auf See hinaus getrieben und letztlich auf rund 200 Meter Tiefe gesunken. (Siehe nachträgliche Ergänzung am Ende des Berichts)
Zusammengefasst: Kein einziger Rauchmelder aktiv, eine schlafende Crew, ein versperrter Notausgang. Mehr Fehler kann man kaum machen. Rein juristisch wird man vermutlich argumentieren, dafür sei – wenn überhaupt – der Boots-Eigentümer verantwortlich. Denn obwohl es für die ganze Flotte ein striktes, einheitliches ‚Branding‘ gibt und alle Schiffe von den USA aus vermarktet werden, haben sie weltweit unterschiedliche Eigentümer. Es ist eine Art ‚Franchise-Unternehmen‘. Doch wenn ein solches Unternehmen seine Flotte nach weltweit einheitlichen Standards betreibt – (warme Handtücher) – wenn Sie Firmenlogo und Markennamen auf die Schiffe schreiben und wenn der Vorstandsvorsitzende behauptet, alle angebotenen Ziele (Schiffe) zu besuchen um einheitliche Standards zu garantieren – dann muss er sich nach menschlichem Ermessen auch für offensichtlich fehlende Sicherheitstandards verantwortlich zeigen. Ich habe diesen Berichtert gestern an den ‚Präsidenten‘ und den Vorstandsvorsitzenden von ‚Aggressor‘ geschickt und um Stellungnahme gebeten, Frist bis vor zwei Stunden. Es kam keine Antwort.
Auch die Tage danach waren kein Ruhmesblatt für diese Firma. Auf dem Schiff der Emperor Gruppe, das uns aufsammelte, waren Crew und Gäste extrem freundlich, schenkten einigen von uns T-Shirts, teilweise auch Shorts, reichten heiße Getränke, waren einfach nur nett. Nachdem das Schiff uns noch vor Sonnenaufgang in den Hafen von Marsa Alam gebracht hatte, verbrachten wir einige Stunden mit der geschenkten, teilweise aber auch noch nassen, langsam trocknenden, Wäsche im Büro von Zoll und Hafenpolizei. Irgendwann erschien ein ägyptischer Repräsentant von ‚Aggressor‘. Obwohl es irgendwo in der Nähe eigentlich ein gut gefülltes Wäschelager geben müsste – auf jeder der zwei wöchentlich hier startenden Touren werden mit Markenlogo gebrandete Kleidungsstücke als Souvenir verkauft – hatte er nicht an trocikene Kleidung gedacht. Immerhin verfrachtete er uns in ein nahegelegenes Hotel. Dort schenkte der Betreiber des Hotel-Shops uns T-Shirts und Shorts. Erst am Abend des zweiten Tages nach der Katastrophe bekamen wir langsam das Gefühl, die weltweite tätige ‚Aggressor-Group‘, würde sich systematisch um uns kümmern. Im Reisebus brachte man uns nach Kairo zu den Botschaften, wo wir neue Papiere und Visa erhielten, kümmerte sich um Rückflüge, versprach unsere materiellen Verluste durch die Versicherung begleichen zu lassen. Erstattung des Reisepreises und – man glaubt es kaum – einen Gutschein für eine weitere Aggressor-Abenteuer-Reise.
Der aus den USA eingereiste Repräsentant schien uns tatsächlich sehr effektiv zu arbeiten. Er stellte sich als David vor, Marketing-Direktor der Firma. Auf der Firmenhomepage konnte ich ihn heute in der Rubrik ‚Mitarbeiter‘ nicht finden. Doch viele Überlebende versuchten, ihm zu erzählen, was auf dem Boot wirklich passiert war. Alle berichten, das er dies energisch abgeblock hat. Am letzten Abend in Kairo gelang es mir schließlich, diesem David eine Kurzfassung des hier vorliegenden Berichtes zu schildern. Er schien fassungslos. Trotzdem hat keiner der Überlebenden bis heute eine wirkliche Entschuldigung enthalten. Man entschuldigt sich allein für die ‚tragische‘ Katastrophe, aber mit keinem Wort für das von allen Überlebenden einhellig geschilderte Versagen der Verantwortlichen. Statt dessen kam inzwischen der Gutschein für eine weitere Tauchreise mit ‚Aggressor‘.
Lehren, die man daraus ziehen sollte – als Bootsbetreiber und Kunde: Funktionieren die Rauchmelder? Ist auch Nachts auf See und vor Anker mindestens ein Besatzungsmitglied wach? Sind die Notausgänge frei und schnell passierbar? Nicht glauben! Selber prüfen! Im Zweifelsfall die Crew auf Sicherheitsmängel aufmerksam machen! Und last but not least: Immer ein wasserdichter Beutel mit Reisepass, Kreditkarte, Smartphone und ggf. Brille, direkt griffbereit neben dem Bett! Ein mobiler, für Reisen tauglicher Rauchmelder kann auch nicht schaden.
In Absprache mit den anderen Überlebenden schreibe ich diesen Bericht, der in die Sprachen der Betroffenen überetzt und weltweit verteilt werden soll, nach bestem Wissen und Gewissen. Tippfehler bitte ich zu entschuldigen, meine Ersatzbrille enspricht nicht meiner aktuellen Sehstärke. Jedes Detail ist durch Zeugenaussagen belegt und kann bei Bedarf beeidigt werden. Der Text darf, solange er nicht verändert wird, – frei von Copyright – weitergeleitet und in nichtkommerziellen Medien weltweit veröffentlich werden. Falls er in weitere Sprachen übersetzt wird, bin ich für Übersetzungsfehler nicht haftbar. Für ausschnittweise Zitate oder Veröffentlichung durch kommerzielle Medien ist meine Einwilligung zwingend erforderlich.
Michael Houben am 05.11.2019 (geringfügig modifiziert am 06.11.2019) [email protected]
(1) Nachtrag vom 06.11.2019. Mittlerweile wurde ich von einem Taucher kontaktiert, der bis zum 3.11. noch nichts von diesem Unglück wusste und zwei Tauchgänge auf einem Tagesboot gebucht hatte. Sie tauchten just an der Stelle, an der unser Boot brannte. Ich glaube ihm, dass er nichts ahnte. Doch er hielt sich mit seinem Buddy abseits der anderen Taucher, erkundete das Riff und fand ein Wrack. Zumindest Teile davon, weithin verteilt, wie nach einer Explosion. Und absolut frisch. Als er Teile anfasste hatte er Ruß an der Hand. Er fand auch geplatzte Tauchflaschen. Mir liegt ein Foto vor. Die Red Sea Aggressor liegt nicht – wie berichtet wurde – in 200 Meter Tiefe, sondern kann von Polizei und FBI jederzeit besichtigt werden. Das FBI hat bereits in Cairo mit Ermittlungen begonnen und dort die amerikanischen und einige weitere Überlebende berfragt. Es scheint, als ob diese Geschichte noch nicht zu Ende ist.