Eingepackt in einen silbernen Kettenanzug steht Cristina Zenato aufrecht auf dem weißen Sandboden des Atlantiks. Unweit vor der Küste von Grand Bahama begrüßt die Italienerin „ihre Babys“. Um sie herum zieht ein Dutzend Karibischer Riffhaie seine Bahnen. Die Tiere schwirren um sie herum wie ein Rudel aufgeregter Hunde. Aus einem schwarzen Tubus füttert Cristina die Haie mit Fischen. Jedes Mal, wenn eines ihrer „Babys“ sich einen Leckerbissen schnappt, streichelt sie ihm über den Kopf. Die Vertrautheit zwischen Mensch und Tier ist offensichtlich. Es ist nicht nur das Futter, das die Haie zu Cristina zieht. Die eleganten Raubfische kennen die blonde Taucherin gut: Sie kennen ihre Bewegungen, wissen, wie sie atmet. Als Cristina irgendwann den Tubus zur Seite legt und sich in den weichen Sand kniet, dauert es nicht lange, bis einer ihrer Lieblinge auf ihrem Schoss liegt, um sich ein paar Streicheleinheiten abzuholen. Ganz ohne Zwang gelingt es ihr, die Haie in einen so entspannten Zustand zu versetzen, dass sie sich sogar Angelhaken aus ihrem Maul entfernen lassen.
Du bist die erste Frau überhaupt, der es gelang, Haie in „Tonische Immobilität“ zu versetzen. Wie hast du das gelernt?
Ich fing an, diese Fähigkeit unter Anleitung meines Mentors Ben Rose zu trainieren. Er war der Erste, der herausfand, dass Haie gerne berührt werden. Genau genommen mache ich gar keine Tonische Immobilität, kurz TI. TI ist eine natürliche Reaktion der Tiere auf eine Bedrohung oder Stress. Das Verhalten wurde auch bei der Paarung beobachtet. Früher wurden Haie damit in eine Starre versetzt, um sie mit Sendern auszustatten. Ich mache etwas anderes: Ich stelle eine Verbindung zu den Tieren her, sie werden zu nichts gezwungen und ich versetze sie nicht in Trance. Meine Interaktion verläuft ohne Zwang. Die Haie sind oft über zwei Meter lang, und man bräuchte sehr viel Kraft, um sie in TI zu zwingen. Ich habe mir mit meinen Babys eine Beziehung aufgebaut. Zwischen uns gibt es keine Bedrohung, keinen Stress, sondern nur sanfte Berührungen. Ich streichle ihren Kopf und ihren Körper und ihnen scheint das zu gefallen. Manchmal kommen die Haie zu mir und ruhen sich auf meinem Bein aus. Sie bleiben dann ein paar Minuten, manchmal sogar 40 oder 45 Minuten bei mir liegen. Sie pumpen dabei Wasser durch ihre Kiemen und können so weiteratmen, aber sie bleiben ganz ruhig auf meinem Schoß liegen und ich kann sie streicheln.
Hat es lange gedauert, dieses Vertrauen aufzubauen?
Ich arbeite schon sehr lange und sehr konsequent mit den Tieren und ich bin meinen Tauchplätzen treu. Jeden Tag bin ich mehrere Stunden präsent und interagiere mit den Haien. Unsere Beziehung beruht darauf, dass ich die gleiche Routine immer wiederhole.
Erkennen dich die Haie wieder?
Meine Crew ist überzeugt, dass sie es tun. Aber erkennen sie mich, wenn sie mich sehen? Oder ist es eine Mischung daraus, wie ich mich bewege, wie ich mich verhalte und wie ich atme? Vermutlich eine Mischung aus allem.
Man sagt von dir, dass du „Hai“ sprichst. Wie gut verstehst du die großen Fische wirklich?
Ich verstehe meine Haie sehr gut. Aber ich verstehe auch andere Haie. Wie andere Tiere auch kommunizieren sie auf ihre ganz eigene Art, man muss nur genau zuhören und sie beobachten, um sie zu verstehen. An der Art wie sie schwimmen und sich mir nähern erkenne ich, ob sie unruhig sind. Ob vielleicht jemand in der Nähe fischen war und sie das aufgeregt hat. Ich erkenne, wenn sie Schmerzen haben und wenn es ihnen gut geht. Wenn sie entspannt sind oder unruhig.
Ist es richtig, dass sich die Haie von dir sogar ins Maul fassen lassen – ohne zuzuschnappen?
Immer wenn ich einen Hai mit einem Angelhaken sehe, versuche ich, ihn davon zu befreien. Das sind ganz besondere Momente für mich. Oft bemerke ich dabei, dass immer mehr Haie auftauchen, sobald ich dabei bin, einem Tier einen Haken zu entfernen. Ich bin überzeugt, dass die Tiere untereinander kommunizieren und sich gegenseitig Bescheid sagen, wenn die „Zahnärztin“ mal wieder da ist.
Du bezeichnest diese großen Raubfische als „deine Babys“ und schmust mit ihnen – trotzdem trägst du einen dicken Kettenanzug. Ist das kein Widerspruch?
Damit die Haie mir so nah kommen, werden sie mit Futter konditioniert. Es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass ich aus Versehen gebissen werde – darum trage ich einen Schutzanzug. Doch ein hohes Risiko besteht nur dann, wenn man nicht versucht, die Tiere zu verstehen. Wenn man ihnen ein bestimmtes Verhalten aufzwingt und sie in Stress versetzt.
Hast du je eine gefährliche Situationen mit Haien erlebt oder beobachtet?
Ganz ehrlich? Niemals!
Welches Fehlverhalten zeigen Taucher, die mit dir ins Wasser gehen?
Dass sie nicht richtig zuhören und sich nicht zu Herzen nehmen, was ihnen vorher gesagt wurde. Sobald die Taucher im Wasser sind, ist alles wie ausgelöscht. Niedlich finde ich immer wieder, wenn ich den Tauchern sage, dass sie die Tiere nicht anfassen sollen. Aber sobald die Haie dann dicht an ihnen vorbeischwimmen, wollen sie nichts anders, als sie anzufassen.
Du bist Tauchlehrerin und hast für PADI verschiedene Hai-Specialtys entwickelt. Jedes Jahr ermöglichst du bis zu 1800 Tauchern Begegnungen mit Haien. Um die Tiere anzulocken, verwendest du Köder – eine umstrittene Methode. Wie stehst du zum Anfüttern von Haien?
Ich verwende nicht bei allen Tauchgängen Köder. Wir haben feste Termine für die Tauchgänge, auf denen die Haie gefüttert werden. Das Futter ist dabei in einem Container. Die Fische werden damit gezielt gefüttert. Derjenige, der den Container führt, bestimmt, wann er das Futter ausgibt. Ich glaube, dass das Anfüttern und die interaktiven Tauchgänge sehr wichtig sind. Zum einen für die Menschen, die diese wunderschönen Tiere ganz nah erleben können, aber auch für die Haie.
Inwiefern?
Ich lebe und arbeite auf den Bahamas, einem Land, das Haitauchen als Tourismus-Einnahmequelle für sich entdeckt hat. Der Haitourismus ist für die Einheimischen eine wichtige Einnahmequelle geworden. Es ist für sie wichtig, dass die Haie gesund sind und am Leben bleiben, und darum setzen sie sich gegen den Haifang und das Finning ein. Wenn gefütterte Haitauchgänge verantwortungsvoll durchgeführt werden, mit Regeln und Sicherheitsvorkehrungen, können sie den Schutz der Tiere immens vorantreiben. Dazu fördern sie die lokale Wirtschaft und räumen mit falschen Mythen auf. Natürlich gibt es auch schwarze Schafe, schlechte Tauchlehrer – aber so etwas gibt es leider überall.
Es gibt nur wenige Orte auf der Welt, wo Taucher noch mit Garantie Haien begegnen können. Die Bahamas sind so ein Ort. Seit 2011 stehen die Haie in den 629 367 Quadratkilometern rund um die Inseln unter Schutz. Dass das so ist, haben die Haie dir zu verdanken. Wie hast du das geschafft?
Es fing mit einer Petition an. Ich wollte, dass die Regierung der Bahamas ein Gesetz unterstützt, dass die Haie schützt und den Im- und Export mit Haiprodukten verbietet. Ich hatte sehr schnell über 25 000 Unterschriften zusammen. Dann baten mich der PEW Charitable und der Bahamas National Trust, meine Petition zu unterstützen und setzten ihre Logos drauf. Wir organisierten gemeinsam eine Kampagne, die dazu führte, dass 2011 ein Gesetz verabschiedet wurde, dass den Import, Export und sogar die Durchfuhr von Haiprodukten über die Bahamas verbietet.
Woher kommt deine Leidenschaft für Haie?
Ich bin im im Kongo aufgewachsen und entwickelte schon früh eine große Liebe zur Natur. Von den Einheimischen habe ich gelernt, dass jedes Tier eine Aufgabe erfüllt und dass es kein Lebewesen gibt, das man zerstören darf. Meine Familie stammt aus Italien, von ihnen habe ich die Leidenschaft für das Meer geerbt. Haie haben mich schon immer fasziniert. Als ich älter war und mehr über die Tiere lernte, erkannte ich, dass sie unsere Hilfe brauchen.
Warum ist die Arbeit mit den Haien so wichtig?
Haie spielen eine wichtige Rolle innerhalb des Ökosystems. Sie vernichten die Toten, Schwachen und Kranken. Unglücklicherweise haben sie zu Unrecht einen schlechten Ruf. Es ist schwieriger, den Leuten klarzumachen, dass große Fleischfresser wie sie Schutz brauchen. Also habe ich beschlossen, über die Tiere aufzuklären. Ich versuche zu zeigen, wie Haie wirklich sind. Verglichen mit anderen Raubtieren, wie zum Beispiel Löwen, sind sie uns Menschen gegenüber sehr tolerant und es ist sehr viel sicherer in ihrer Gegenwart.
Was für Vorurteile haben denn die meisten Menschen?
Einige der häufigsten Irrtümer sind, dass Haie Menschen fressen. Dass Haie von Blut angelockt werden und die Spur so lange verfolgen, bis sie ihr Opfer verschlingen können. Falsch ist auch, dass Haie böse sind. Es stimmt auch nicht, dass Haie immer in Bewegung sein müssen, um atmen zu können, und dass sie schlecht sehen können.
Worauf sollte man beim Haitauchen achten?
Man sollte immer wissen, mit was für Haien man tauchen wird. Es ist gut zu wissen, was für ein Verhalten man zu erwarten hat und ob es besser ist, mit ihnen zu tauchen oder vielleicht zu schnorcheln. Es gibt über 500 verschiedene Spezies, und es macht einen Unterschied, mit welcher man im Wasser ist. Ich empfehle Tauchern immer, sich vorab über die Art zu informieren und Bescheid zu wissen, wie man mit ihnen umgehen sollte.
Du engagierst dich auch außerhalb des Wassers für den Schutz der Tiere. Stimmt es, dass du ein Nachwuchsprogramm finanzierst?
Vor etwa 20 Jahren habe ich ein Schulprojekt an einer Schule auf Grand Bahama ins Leben gerufen. Die Schüler können während ihrer Schulzeit umsonst den OWD-, AOWD- und den Rescue-Diver-Tauchschein absolvieren. Wenn die Kinder ihren Abschluss machen, können sie bei uns im Tauchladen arbeiten und ihre Ausbildung zum Dive Master und Instructor fortsetzen. So können wir die Jugendlichen zu Hai-Botschaftern ausbilden und ihnen beibringen, wie wertvoll der Ozean und die Riffe sind. Ich glaube fest an die Macht des Wissens und an gute Ausbildung.
Das Interview führte Bianca Klement