Horst Dederichs lehnt an seinem schwarzen Pick–Up-Truck, blickt über das glitzernde Wasser. Eine ganze Weile. Dann stemmt er seinen Arm in die Seite und sagt: „Das ist der Blausteinsee“, dreht sich lächelnd dabei um. Aber man hätte es sich auch irgendwie denken können bei dem Gewässer, das das einzige hier weit und breit ist. Er fingert einen Geldschein aus seiner hellen Jeansjacke, reicht sie dem älteren Herren, der sich von der Seite nähert. „Kostet das Wetter heute extra?“, fragt er dann. Der Mann schüttelt den Kopf und zwinkert: „Nur das Parken kostet. Aber wer weiß, wenn es so bleibt, vielleicht ändern wir das dann.“
Horst Dederichs ist ein Denkmal. Nur nicht so alt. Er hat das Tech-Tauchen zwar nicht erfunden, aber so viele Fachbücher darüber geschrieben, dass er vermutlich auch beim Frühstück berechnet, wie lange das Ei auf dem Grund des Topfes liegenbleiben darf. Und wenn man Horst mit einem Wort beschreiben müsste, dann wäre das einfach nur cool. Der Vater, den man haben möchte oder der Instruktor für den nächsten Kurs. Er weiß das nicht, und deshalb kann es ihm auch nicht zu Kopf steigen.
Ein See und die leere „Wie gesagt, das ist er“, wiederholt Horst und hievt die Kisten und Säcke mit dem Tauchgepäck auf eine kleine Holzbank, die am Ufer steht. Im Hintergrund stemmt sich ein Kraftwerk wie ein dampfender Felsen aus dem Wald. Eine Bühne führt über das Wasser, einen langen Steg hinab. Einige Aufbauten mit Sitzstufen, eine kleine Halle, die heimlich auf Helene Fischer wartet, und ein kleiner Kiosk, der verschlossen ist. Lange Parkplätze ziehen sich am Wasser entlang wie Beete in einem Schrebergarten.
Der Blausteinsee wurde künstlich angelegt, eine Braunkohlegrube des ehemaligen Braunkohletagebaus im Rheinischen Braunkohlerevier, das unweit der Stadtgrenze von Eschweiler liegt. Namensgeber war wohl die alte Gemarkung „Am blauen Stein“ nördlich von Dürwiß, und als im Frühjahr 1994 der letzte Riesenbagger den Tagebau verlassen hatte, begann am 5. Oktober 1994, Wasser in die Grube zu laufen. Die erste Fontäne, die etwa in der Mitte des Sees gelegen haben soll, spritzte damals mit etwa 210 Litern Wasser pro Sekunde 40 Meter in die Höhe. Einige Tafeln an den Ufern und Wanderwegen erinnern noch heute an die alte Landschaft und Orte, die einst dem See hatten Platz machen müssen. Langendorf, Langweiler, Laurenzberg, Lürken, Obermerz und das Rittergut Hausen. Vor knapp 20 Jahren, als der See entstand, begann auch Horst Dederichs persönliche Tauchgeschichte, genauer: im Jahr 1992, knapp zwei Jahre vor der Flutung in Dürwiß.
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Sie beginnt mit seinem besten Freund Dietmar Noack, der heute in Solingen wohnt, und streng genommen beginnt sie sogar vorher in einem Schwimmbad in der Nähe von Mönchengladbach. Immer, wenn die Schwimmer im Schwimmbad Feierabend machten, kamen die Taucher und bauten ihre Geräte auf. Dederichs muss das damals schon als Junge fasziniert haben – er beschloss sofort, Taucher zu werden. Weil das Vereinstauchen vom Start bis zur fertigen Ausbildung aber eine halbe Ewigkeit dauerte, und weil Horst als Student auch später fast nie Geld hatte, legte er sein Vorhaben zunächst auf Eis. Bis Thomas Kromp anrief, 1992 war das, und sagte: „Eine Basis in Safaga sucht Leute. Du musst aber in zehn Tagen dort sein.“ Für Horst kein Problem: Er besaß eigentlich nichts, was er mitnehmen konnte, und seine Studentenbude war damit schnell ausgeräumt. Zusammen mit Dietmar machte er sich kurzerhand auf den Weg nach Ägypten, sah zum ersten Mal das Rote Meer, und wenig später hatten beide ihren Instruktor abgeschlossen. Und sich ins Rote Meer verguckt. 1000 Tauchgänge folgten. Dietmar blieb ein Dreivierteljahr, Horst 15 Monate. traum und träumer
Wenn Horst spricht, macht er kleine Pausen, als ob er nochmal nachdenken wolle, bevor er redet. Es wirkt verträumt, aber auch sehr bedacht – und manchmal hält er den Kopf schräg. Dann kommt in ihm der Technik-Freak und Instruktor hervor. „Bist du schon mal Kreisel getaucht?“, fragt er und streicht über die beiden Kreislaufgeräte – seine „Rebbies“, wie er sie liebevoll nennt. „Nein“, sage ich. „Aber ich wollte immer.“ Er nickt. Kann ich verstehen, heißt das wohl. Dann sagt er: „Ist gar nicht schwer“, wie in einem Wort, und erklärt das Prinzip. Es sind seine eigenen Geräte: Er hat sie erträumt, entworfen und gebaut. Das Geschäft läuft gut. „Wir werden da unten, auch wenn wir nicht sehr tief gehen, keine gute Sicht haben“, sagt Horst. „Aber mich interessieren die Sicht, Fische und Korallen eh nicht. Schön für Leute, die sich das angucken möchten. Ich mag eher Industrieaufbauten, tiefes Blau und die Ruhe, das Schweben.“ Er nickt, als wolle er eine Bestätigung haben. Will er aber nicht. Als Horst aus Safaga wiederkommt, hat er eine Reihe riskanter Tauchgänge im Gepäck. Und er hat sich verändert.
Er und Dietmar waren zweifellos etwas verwegen gewesen, Horst jedenfalls merkt man diese Seite heute noch an. Einige seiner Tauchgänge führen ihn so weit an den Rand des Risikos, dass man von echter Gefahr sprechen muss: Das merkt Horst erst so richtig, als er das erste Mal mit den Berufstauchern in Berührung kommt, die sich mit dem Tauchen mit alternativen Gasen beschäftigen. Das sei eine völlig neue Welt für ihn gewesen, sagt er. Er hatte eigentlich gedacht mit ein paar 100-Meter-Tauchgängen im Gepäck wisse er doch, „wie der Hase läuft“. Aber die Cracks öffneten ihm die Augen, zeigten ihm, wie Gase die Tauchgangsplanung verändern und vor allem die Risiken des Tauchens in großer Tiefe minimieren können. Und Horst verschlang alles zu dem Thema – wie ein Besessener. Im braunen Wasser liegt der Kreisel-Instruktor wie ein regungsloser Gegenstand neben mir, einer langer Stock, den jemand vor Ewigkeiten dort vergessen hat. Ein recht fürsorglicher Stock, der einen die ganze Zeit fragt, wie es geht und was die Luft macht.
„Heute meide ich das Risiko“, sagt Horst, als wir nach 40 Minuten wieder das Land erreichen und die Kopfhauben abziehen. „Als Familienvater wird man auch etwas ruhiger, glaube ich.“ Sein Sohn, sagt er, habe keine große Affinität zum Tauchen entwickelt, weil das Thema immer präsent und „Papa dauernd am See“ war. Also ließ Horst auch einen Teil von sich zurück – das wilde Leben, das riskante Leben vielleicht. Und widmete sich dem, was wichtig ist: seiner Familie. Und seiner Firma natürlich, Dive2gether, mit der er heute all das vertreibt, was er sich früher selbst niemals hätte leisten können. Horst Dederichs ist ein Mensch, der wohl heimlich gerne mit dem Zelt unterwegs wäre, seinen Kaffee mit dem Gaskocher macht und sich freut, wenn ein Elch vorbeizieht: „Wenn du keine Fische magst und keine Korallen: Was macht Tauchen für dich aus?“, frage ich. Er überlegt. „Dieses Gefühl danach.“ – „Und was macht das mit dir?“, hake ich nach, aber Horst blickt nur auf die Straße. Doch sein Gesicht spricht. Es sagt: Halt jetzt die Klappe und genieße – das Leben ist so unheimlich schön.
Von Alexander Krützfeldt, 2014
ZUR PERSON
Horst Dederichs, geb. 1969, Vater von zwei Kindern, ist einer der wichtigsten Fachbuchautoren im Bereich des Tech-Tauchens, eine absolute Koryphäe auf diesem Gebiet – auch wenn er das so nie über sich selbst sagen würde. Und ein begnadeter Instruktor ist er zudem. Aber: „Da gibt es ganz andere Leute“, sagt Horst und macht eine abwehrende Handbewegung. Klar, gibt es andere Leute. Aber diese anderen Leute würden auch sagen, dass es da andere Leute gibt – Leute wie Horst Dederichs nämlich.
In diesem kleinen Kasten stellen wir die Ausrüstung vor, die der Taucher in unseren Porträt und während der Tauchgänge trägt – und warum. Die folgenden Schilderungen sind die Meinung von Horst Dederichs – ungefiltert und (fast) ungekürzt.
Scubaforce „Vision“
Hat letztes Jahr die „Look“ von Aqua Lung von meinem Gesicht verdrängt: kleines Innenvolumen und eine top Passform!
Scubaforce „SF2 ECCR“
Dieser Rebreather ist einer der Gründe, warum ich nur noch wenige und zumeist graue Haare auf dem Kopf habe: Entwicklung und Zertifizierung haben viel Zeit und Kraft gekostet. Er ist sehr kompakt gebaut, durch seinen simplen Aufbau sehr ausfallsicher und einfach zu händeln und pflegen. Für mich einer der besten Rebreather überhaupt!
Scubaforce „Trilex HD“
Ist ein Maßanzug, damit er auf meine seltsame Figur passt. Ganz leichter Anzug mit hoher Bewegungsfreiheit. Und trotzdem sehr robust – dank Kevlar-Verstärkungen!
OMS „Slipstream“
Wird nicht mehr ausgeliefert. Die Flosse ist nicht ganz so schwer wie „Turtles“ oder „Jetstreams“, dafür aber etwas härter. Guter Vor- und Abtrieb!
https://tauchen.de/hefte/tauchen-januar-2020-kaltwasser-special