Tauchen kann mehr sein. „Mindfulness based Scuba Diving“: Taucherlebnisse abseits vom Equipmentwahn. Nik Linder erläutert, wie Apnoe-Tauchen sein Leben verändert hat.
Der Freefall klappt heute perfekt, als ich den Punkt des neutralen Auftriebes überschritten habe, gleite ich nach unten. Ich trage keine Maske, trotzdem fühle ich wo ich bin. Ich passiere verschiedene Sprungschichten, bewegungslos geht es in die dunkle Tiefe. Geräusche nehme ich keine wahr, gelegentlich ein Knacken im Ohr, wenn ich den Druck ausgleiche und das langsamer werdende Schlagen meines Herzens. Die Geräuschlosigkeit und die Dunkelheit, die mich umgeben reduzieren meine Wahrnehmung. Die dominierenden Sinne, wie Hören und Sehen, spielen in der geräuschlosen Dunkelheit keine Rolle mehr. Der Yogi spricht von einer Atempause, die den Blick nach Innen öffnet. Die Herzschlagmeditation auf dem Weg in die dunkle Tiefe, ist eine der beglückendsten Erlebnisse die es gibt. Kein Gedanke, der stört, kein Kopfkino und kein „später“ oder „morgen“. Ich bin im Hier und jetzt und Ruhe in mir selbst. Als ich meine Tauchsession beendet habe begegnet mir auf dem Weg nach draußen eine Frau, die sich mit ihrem Freund streitet. Während ich ohne Tauchgerät abtauche, sind beide „perfekt“ ausgerüstet. Der Baggersee Tauchgang wird mit aufwendigem Equipment begonnen, der Buddy-Check „Taucher brauchen saubere Luft“ absolviert, sie ist aufgeregt, er möchte ins Wasser mit Tauchcomputer, Kompass, Atemregler, Shaker, großem Messer und einem Fotoapparat.
Weniger ist mehr
Während ich mein Minimal- Equipment einpacke und mein Tauchbuddy dasselbe tut, sind wir immer noch in Gedanken. Ich überlege mir, was wäre eigentlich wenn Gerätetaucher auf Ausrüstung verzichten würden. Was wäre, wenn sie die Sprungschicht spüren, wenn sie beim Auftauchen in die Sonne blinzeln. Wenn ich Scuba-Taucher sehe, dann erinnern sie mich an U-Boote oder böse dreinblickende Schildkröten, sie drehen sich selten auf den Rücken, nehmen niemals den Atemregler aus dem Mund um Ringe in Richtung Wasseroberfläche steigen zu lassen. Scheinbar verbringen sie die überwiegende Zeit damit, auf den Tauchcomputer zu schauen, sich gegenseitig das Okay-Zeichen abzufragen und zu fotografieren.
Hindert einen das Equipment, einen Tauchgang bewusst wahr zu nehmen?
In meiner Zeit als Geräte-Tauchlehrer habe ich immer wieder Taucher kennen gelernt, die extrem auf Ausrüstung und Gadgets abgefahren sind. Aber lenken Tauchcomputer, Kamera, Lampe, nicht vom Wesentlichen ab? Vielleicht kann man einen Tauchgang anders erleben? Während im Freediving achtsames Tauchen, das In-seinen-Körper-hinein-hören ein wichtiger Bestandteil des Tauchganges ist, scheint das beim Gerätetauchen keine Rolle zu spielen. Gelehrt wird der Umgang mit der Tauchausrüstung und Notfallszenarien im Falle einer Ohne-Luft-Situation, dem Verlust der Maske, Verlust des Tauchpartners sowie die Bestimmung der richtigen Bleimenge. Gerade Tauchanfänger behalten unterbewusst Luft in der Lunge und werden häufig mit viel Blei beschwert, um abtauchen zu können.
Bleimenge checken!
Das Gefühl für das Tauchen, die Atmung und den Auftrieb begreift man aber besser mit der richtigen Bleimenge. So fühlen sich viele Tauchanfänger eher als Passagier und weniger als Kapitän ihrer Tauchausrüstung. Werbebilder die Lust auf das Tauchen machen sollen, zeigen meist schöne, schlanke Menschen, mit überschaubarem Equipment in wundervollen Destinationen. Fast alle Teilnehmer eines Anfängerkurses sehen zu Beginn eine Diskrepanz zwischen diesem Traum und ihrem ersten Abtauchen im See. In einen 7-mm-Anzug gepellt drücken sie mit dicken Handschuhen den Deflator. Mit einem lauten abblasen und zehn Kilogramm Blei auf der Hüfte zieht es den Taucher nach unten, um zuletzt die weit aufgerissenen Augen in der grünen Tiefe versinken zu lassen. Dabei ist nicht gemeint, dass der See nicht wunderschöne Erlebnisse bereithält. Es geht viel mehr darum, dass es im Beginnerkurs oft darum geht, den Taucher nach unten zu bringen, mit ihm zu arbeiten und ihm das beizubringen, was er laut den Standards der Tauchverbände braucht um unter Wasser zu überleben. Beim Freitauchen muss man mit der richtigen Bleimenge abtauchen, an der Oberfläche hat man dabei Auftrieb. Wer schon einmal versucht hat einen Beginner im Freediving zu überfordern, ihn dazu bringen möchte die geforderte Tiefe nun zu tauchen, der merkt recht schnell, dass er sich ein Eigentor geschossen hat. Jedes negative Gefühl, mit dem der Apnoetaucher ins Wasser geht, führt dazu, dass er sehr viel mehr Zeit braucht, um sich an das Wasser zu gewöhnen.
Es muss erlaubt sein zu fragen, ob nicht mehr Menschen nach Abschluss des Open Water Divers dem Sport treu bleiben würden, wenn auch andere Aspekte in die Ausbildung oder das Tauchen einfließen würden. Seit vielen Jahren gibt es Meditation, Achtsamkeit, Atmung in allen Bereichen des Lebens. Aber gibt es einen Grund, warum es kein achtsamkeitsorientiertes Gerätetauchen gibt ? Sollte es nicht Schnittmengen geben, die in Richtung bewusster Wahrnehmung des Wassers, und Atmung sowie dem Fühlen eines Tauchgangs, gehen?
Bewusste Atmung
Wird die bewusste Atmung als Tool eingesetzt, kann das dazu führen, dass die Teilnehmer nachdem sie die Bauch und Vollatmung gelernt haben, künftig beim Abtauchen tief ausatmen, was die Bleimenge extrem reduzieren würde. Während dem Tauchgang sollte der Taucher, im besten Fall auch mit dem Atemregler im Mund, nicht das Gefühl haben, einmal in der Sekunde atmen zu müssen. Denn dies würde den Atemverbrauch stark senken. Wer eine Sensibilität für den eigenen Körper entwickelt, um einen zu hohen Puls und erhöhte Atemfrequenz bereits vor dem Abtauchen zu registrieren, kann eine Atempause vor dem Abtauchen einlegen um den Tauchgang entspannt zu beginnen. Die ruhige Bauchatmung bei aufkommendem Unwohlsein zu praktizieren, minimiert die Gefahr einer aufkommenden Panik oder ungewollter Hyperventilation.
Die Schwerelosigkeit
Das Erlebnis der Schwerelosigkeit ist ein faszinierender Zustand. Floating, Relaqua, Aerial Yoga, setzen an dieser Stelle an und spielen mit der Wahrnehmung der Schwerelosigkeit. Beim Tauchen erleben wir dieses Gefühl im dreidimensionalen Raum. Wie viel intensiver wird dieses Erlebnis, wenn man es mit leichtem Equipment erlebt? Wenn die Muskulatur entspannt ist und das Blei und die Tauchflasche nicht drückten?
Ruhe erleben
Im Wasser haben wir die Möglichkeit Ruhe zu erleben. Wir nehmen unseren langsamen Herzschlag wahr. Etwas, dass wir im Alltag selten erleben, denn die Sinnreduzierung (Oberflächengeräusche werden kaum noch wahrgenommen) führt dazu, dass wir geistig ganz bei uns und unserer Atmung sind. Wir werden ruhig, wir werden entspannt und genießen diesen Zustand – bis ein „Weihnachtsbaumtaucher“ anfängt mit Shakern, Hammerheads, Hupen und Messern zu klopfen, weil er einen Blaupunktrochen gesehen hat.
Fühlen erlernen
Wenn wir in der Badewanne die Augen schließen, fühlen wir das warme Wasser auf unserer Haut. Wir genießen die Ruhe und fühlen wie gut das unserem Körper tut. Wir spüren die Entspannung der Muskulatur. Ist der Körper relaxt, kann der Geist entspannen. Auch beim Tauchen können wir gelegentlich auf andere Sinne wechseln, als diejenigen, die wir im Alltag meist verwenden, wie Hören und Sehen. Wer die Augen schließt, spürt das Wasser auf seiner Haut und die mit zunehmender Tiefe sich verändernde Temperatur.
Sehen intensivieren
Das Sehen verführt uns dazu immer auf der Suche nach Highlights zu sein. Doch wir können auch in einem Baggersee das Licht der Sonne wahrnehmen, in dem wir uns auf den Rücken legen und die Wasseroberfläche beobachten. Vielleicht sehen wir Bäume durch die Oberfläche schimmern, vielleicht Regentropfen, die darauf plätschern. Claude Monet hat die gleichen Gebäude und Landschaften immer wieder zu unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten gemalt und dabei entdeckt, wie unterschiedlich sie wirken.
Blaue Farbe beruhigt
Es kommt nicht von ungefähr, dass blaue Farbe häufig in Räumen der Entspannung, wie dem Schlafzimmer oder auch Yogaräumen verwendet werden. Blaue Farbe beruhigt und entspannt. Davon kann sich jeder Taucher unter Wasser in den blauen Fluten überzeugen.
Tauchen in Gruppen
Bewusstes Tauchen bedeutet bei sich und im Augenblick zu sein. Es ist schwierig in einer großen Gruppe zu tauchen, oder dem Guide zu folgen und dabei nach Innen zu blicken. Wer pausenlos schauen muss, dass er den Anschluss nicht verliert und nichts verpasst, der kommt nicht zur Ruhe. Auch mit dem Partner muss es passen. Wer achtsam taucht, tut dies langsam.
Das Equipment
Das Equipment muss passen und sollte dem Tauchgang und dem eigenen Erfahrungsstand angemessen sein. Wenn ich die Tarierung noch nicht beherrsche, was die größte Herausforderung als Beginner ist, dann sollte ich mir das Leben nicht noch zusätzlich mit einem Fotoapparat schwer machen. Das Equipment muss passen, denn es nervt wenn es das nicht tut, aber es ist nicht das, worum es beim Tauchen geht.
Vertrauen und
Zuversicht
Setze ich immer auf Notfall-Szenarien und in dem Zusammenhang auf immer mehr Equipment und Versicherungen dann setze ich den immer drohenden Tauchunfall und nicht das wundervolle Erlebnis der Schwerelosigkeit im Wasser in den Mittelpunkt.
Es ist wichtig, dass wir mit einem positiven, entspannten Gefühl ins Wasser gehen. Angst und Panik sind schlechte Begleiter beim Tauchgang.
Was bringt uns achtsames Tauchen und der Verzicht auf unnötiges Equipment? Es ist nicht falsch unter Wasser Bilder zu machen oder zu filmen. Es ist in Ordnung stolz auf seinen Dreigastauchcomputer zu sein, den man am Computer auslesen kann. Es ist legitim lieber zwei Kilo mehr dabei zu haben um Unsicherheiten bei der Tarierung auszugleichen. Redundante Systeme bieten Sicherheit. Selbst im Baggersee kann das vor Überraschungen schützen. Aber jeder Tauchgang kann auch eine Flucht aus dem Alltag sein, eine Zeit die ich mit mir verbringe. In der ich Momente der Ruhe und Harmonie erlebe. Der Tauchgang kann ein Gegenentwurf zum Hamsterrad-Alltag sein, in dem ich fremdbestimmt bin, Ziele erreichen muss, die vielleicht nicht meine sind. Brauche ich Statussymbole, um meinen Stand in der konsumorientierten Gesellschaft zu festigen und den Gewohnheiten zu folgen? Nein! Tauchen kann einfach mehr sein.
Nik Linder aus Freiburg hält fünf Weltrekorde im Streckentauchen unter Eis. Mit Phil Simha hat er das Buch „Apnoe & Meditation“ veröffentlicht. Mit seinem Team, bildet er weltweit nach SSI Freediving und AIDA International aus. www.nikolaylinder.de, www.relaqua.de