Ökologische Katastrophen kommen nicht immer auf einen Schlag, sondern oft auf leisen Sohlen daher. Als Taucher vor der Küste Floridas in den frühen 1990er-Jahren die ersten Rotfeuerfische vors Maskenglas schwammen, beschäftigte sich die Wissenschaft erst einmal mit der Frage, ob die Tiere aus dem Ballastwasser von Containerschiffen dorthin gelangten, von Aquarianern ausgesetzt wurden oder gar aus einem Aquarium stammen, das von Hurrikan Andrew ins Meer gespült wurde. Anrainer auf den Bahamas mögen es schon vorher geahnt haben, doch ging am Ende mehr als ein Jahrzehnt ins Land, bis sich die Art in der gesamten Karibik verbreitet hatte. Auch Nicht-Biologen wurde klar, dass die schön anzusehenden, neuen Attraktionen eher Invasoren sind, die sich mangels natürlicher Fressfeinde unkontrolliert vermehren, angestammte Arten verdrängen und mit ihrem gewaltigen Appetit Jungfische flächendeckend dezimieren. Regionen mit gähnend leeren Riffen sind dem Konto der Einwanderer zuzuschreiben.
EINWANDERER INS MARE NOSTRUM
Diese tragische Geschichte könnte sich in diesem Moment ausgerechnet im Mittelmeer wiederholen. Noch vor den ersten Sichtungen in der Karibik schwammen 1991 die ersten beiden Indischen Rotfeuerfische (Pterois miles) Berufsfischern vor der israelischen Mittelmeerküste ins Netz. Und ebenso wie vor der Küste Floridas wurde der Fang erst einmal als Kuriosum abgetan. Schließlich stehen rund 800 Arten, die sich als Einwanderer aus dem Roten Meer im Mittelmeer ansiedeln konnten, etlichen Irrgästen gegenüber, die zwar ihren Weg durch den Sueskanal und die Bitterseen bis ins Mittelmeer bewältigt haben, dort aber nie heimisch wurden. Die geringe Individuenzahl und die kühlen Wassertemperaturen im Winter würden das potenzielle Problem schon regeln. Unterschätzt wurde dabei allerdings die „Tropisierung“ des Mittelmeeres: Konstant steigende Wassertemperaturen seit den 1990er-Jahren haben nicht nur dafür gesorgt, dass Tauchgänge vor der israelischen Küste mit Igel- und Flötenfischen, Korallenwelsen und Leoparden- Stechrochen mittlerweile einen ziemlich exotischen Anstrich bekommen haben, sondern auch dafür, dass Fischer ihren Lebensunterhalt in diesen Gewässern zu gleichen Teilen mit Exoten bestreiten wie mit angestammten Arten. 40 Prozent der 130 aus dem Roten Meer eingewanderten Fischarten sind erst ab 2001 beobachtet worden. Kaum bemerkt von der Öffentlichkeit sind auch die Rotfeuerfische in den vergangenen zehn Jahren schleichend über die Levante bis an die südtürkische Küste und nach Rhodos vorgedrungen.
Ähnlich wie in der Karibik wurden die eleganten Tiere auch dort erst einmal freudig begrüßt. „Als wir vor zwei Jahren die ersten Rotfeuerfische gesehen haben, waren wir sehr erfreut über die Begegnung, aber inzwischen sind es so viele, dass wir jetzt bei jedem Tauchgang mehrere sehen“, erinnert sich Mediha Pollmann, die gemeinsam mit Ehemann Holger die Tauchbasis Adrasan bei Antalya an der türkischen Südküste betreibt. Ein Bericht aus dem Wissenschaftsblatt „Marine Diversity Records“ aus dem Sommer 2016 führt an, dass Rotfeuerfische innerhalb eines Jahres die gesamte Südostküste Zyperns kolonisiert haben. Im August dieses Jahres berichtet ein Tauchlehrer, dass sie mittlerweile überall seien, „im Norden, Süden, Westen und Osten von Zypern.“
Mit aktuellen Einzelfängen aus dem Golf von Tunis, den Gewässern um Malta und der Straße von Sizilien liegt der Schluss nahe, dass die Art mittlerweile vor der Schwelle zum westlichen Mittelmeer steht. Auch die italienische Umweltschutzbehörde ISPRA ist alarmiert und ruft mit einer Plakatierungsaktion dazu auf, gefangene oder beobachtete Rotfeuerfische zu melden oder, wenn möglich, die Tiere einzuschicken.
GEDANKEN ÜBER DEZIMIERUNG
Das Ausmaß der Plage scheint erst um fünf nach zwölf bemerkt worden zu sein. Für den Braunschweiger Meeresbiologen und Aquarianer Stephan Moldzio ist „der Drops ziemlich gelutscht“, wie er sagt. Und weiter: „Man kann davon ausgehen, dass sich der Rotfeuerfisch in weiten Teilen des Mittelmeeres ausbreiten wird. Die Dynamik und die regionalen Populationsdichten werden von verschiedenen Faktoren abhängen wie den Wassertemperaturen im Jahresverlauf und dem Vorhandensein möglicher Fressfeinde wie Haie oder Zackenbarsche.“ Wobei offen bleibt, ob Zackis und die auf ein Minimum ihres ursprünglichen Bestands dezimierten Haie im Mittelmeer die fremden Rotfeuerfische als Beute ansehen oder eher ignorieren, wie es in der Karibik häufig der Fall ist.
Im Umkehrschluss könnte das bedeuten, dass in Zukunft auch entlang der Mittelmeerküsten Taucher gefragt sind, wenn es um Schädlingsbekämpfung geht. Seit der großflächigen Ausbreitung der Rotfeuerfische in der Karibik stellen täglich Hunderte Tauchbasis-Angestellte und freiwillige Helfer zwischen den Bahamas und Honduras mit Harpunen den Eindringlingen nach, werfen sie wortwörtlich den Haien zum Fraß vor oder verarbeiten sie an Land zu schmackhaften Ceviche. Aber selbst Kochbücher und Harpunier-Wettbewerbe, die allein auf Rotfeuerfische abzielen, konnten die Verbreitung der aggressiven Invasoren mit der hohen Reproduktionsrate nur örtlich begrenzt eindämmen. Wo Tech-Diving-Infrastruktur vorhanden ist, gehen Taucher sogar mit Trimix im Tank auf die Jagd, denn entgegen seiner üblichen Tiefengrenze im 40-Meter-Bereich ist der Schädling, bedingt durch die auch in der Karibik stetig steigenden Wassertemperaturen, auch in tieferen Regionen des Riffs heimisch geworden. Aktuelle Berichte aus Zypern, denen zufolge während eines einzigen Tauchgangs 18 Tiere beobachtet und sechs zugleich fotografiert wurden, sind außerdem beunruhigend, weil einige Rotfeuerfische ebenfalls in mindestens 40 Metern Tiefe beobachtet wurden, was auf eine gewisse Resistenz gegenüber kühleren Wassertemperaturen schließen lässt. Im Golf von Aqaba, an der Nordgrenze des Roten Meeres, meistern die heimischen Rotfeuerfische auch die Niedrigstmarke von 19 Grad Celsius im März.
GRIFF ZUR HARPUNE
Auch wenn es nicht unbedingt wahrscheinlich ist, dass Rotfeuerfische in jüngerer Zukunft die kühleren Regionen des Mittelmeeres wie etwa die Adria, die Gewässer vor Südfrankreich oder östlich von Gibraltar besiedeln, ist es vermutlich höchste Zeit, ausgerechnet im gebeutelten Mittelmeer zur Harpune zu greifen. Auch wenn es einer Sysiphusaufgabe gleicht, wie Biologe Stephan Moldzio erklärt: „Programme zur Dezimierung der Rotfeuerfische, ähnlich denen in der Karibik, werden die ökologischen Auswirkungen wahrscheinlich etwas lindern, ihre weitere Ausbreitung aber nicht verhindern können.“ Bleibt zu hoffen, dass sich die Geschichte, wie sie in der Karibik verläuft, ausnahmsweise nicht wiederholt.
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https://tauchen.de/news/rotfeuerfische-in-der-karibik-duerfen-taucher-harpunieren/