Ob er nun ein Teufelchen oder Engelchen auf der Schulter sitzen hat oder gleich beide – die Augen von Guide Novlin Kalelis strahlen vor diebischer Vorfreude. »Die Flut bringt klares Wasser, und der Vollmond erledigt den Rest«, verspricht der 24-Jährige und deutet auf die kräuselnde Wasseroberfläche. »Heute verdient der Nunukan Express seinen Namen!« Dass die Ruhe jenseits der Riffkrone im vollendet schönen Korallengarten trügt, kündigt schon die flatternde rote Gorgonie als Startflagge an.
Rasender Tauchgang
Kaum ist die Pole-Position erreicht, beginnt das Rennen in Richtung Südwesten: Nicht nur der standorttreue Schwarm Großaugen-Makrelen und Schulen von Doktorfischen und Füsilieren überholen uns vor der Steilwand mühelos. Gegen Boliden wie die beiden Grauen Riffhaie und kleinere Thunfische hat der vom Kameragehäuse gebremste Autor trotz Apnoeflossen-Antrieb keine Chance.
Doch zumindest der dicke Federschwanz-Stachelrochen lässt sich mit einem gewagten Sturzflugmanöver auf 40 Meter Tiefe einholen. Ein Glücksfall, denn auf der Zielgeraden im Blau und selbst beim Boxenstopp an der Putzerstation halten die Favoriten der Hai-, Rochen- und Büffelkopf-Papageienfisch-Klasse mehr Abstand als die Kollegen in anderen Gefilden. Asiatische Höflichkeit? Als wir zwei Kilometer und drei Tauchplätze weiter wieder im lieblichen Korallenhain aussteigen, ist das Abklatschen an der Oberfläche vorprogrammiert. Der Parcours war schließlich kein Seeberg im Nirgendwo, sondern … das Hausriff.
Riff mit vielen Gesichtern
Klar, dass selbst erfahrene Tauchertandems nicht ohne Boot einfach vom Steg aus ins Wasser dürfen, wenn der für indonesische Verhältnisse gewaltige Tidenhub von bis zu drei Metern unerwartete Strömungen begünstigt, und die Gezeiten stetigen Wandel bringen.
Stunden später ist das Tauchen an gleicher Stelle kinderleicht, das Wasser völlig strömungsfrei, aber trüb genug, um den Fokus von Leopardenhai und Adlerrochen auf Schaukelfisch, Sternschnecke und Orang-Utan-Krabbe zu verschieben.
Das vier Kilometer lange Hausriff, das die Extra Divers-Resortinseln Nunukan und Virgin Cocoa miteinander verbindet und darüber hinausragt, punktet aber nicht nur mit dicken Fischen, Krabbeltierchen und teils spektakulärer Flachwasserzone.
Herausragend ist vor allem die topografische Vielfalt, die mit Wänden, Canyons, Gorgonien-Inseln auf dem Tiefplateau, kleinen Höhlen, Weichkorallen, versandeten Partien und von tellerförmigen Rotalgen geprägten Arealen so ziemlich alle Lebensräume vereinigt, die ein tropisches Außenriff bieten kann.
Nicht zu vergessen Schildkröten, und zwar viele. Das Maratua-Atoll, an dessen Südrand Nunukan liegt, gilt als wichtigstes Eiablagegebiet Grüner Schildkröten in Indonesien und als zweitgrößtes weltweit.
Naturschutz als Konzept
Der Schildkrötenreichtum – zehn oft etwas schreckhafte Panzerträger pro Tauchgang sind je nach Ort nicht ungewöhnlich – ist durchaus auch hausgemacht, berichtet Beat Waefler, der als Manager, Tauchbasenleiter, Hausmeister und Tüftler in Personalunion seit elf Jahren die Insel hegt und pflegt: »Unser Nachtwächter Papa Turtle verlegt während der Saison alle am Strand abgelegten Eier in unseren vor Fressfeinden geschützten Brut-Sandkasten und entlässt so jährlich über tausend Babyschildkröten in die Freiheit.«
Die Naturliebe beschränkt sich nicht nur auf Schildis. Lange vor der Eröffnung des Resorts am 8.8.2008 stand fest, dass der urwüchsige Charakter der vier Hektar kleinen Insel erhalten bleiben soll. Die 22 freistehenden und klimatisierten Designer-Bungalows mit üppiger Veranda erstrecken sich zwischen Kokospalmen entlang der Lagunenseite am flach abfallenden Sandstrand.
Doch gefällt wurde dafür kein Baum. Spätestens nach Sonnenuntergang verdeutlicht die Tierwelt auf und rings um den Plankenweg zwischen Unterkünften und dem Aufenthaltsbereich mit Freiluft-Restaurant und Bar, Tauchbasis und Kameraraum, wer auf Nunukan so den Ton angibt: Das Klappern der Strandkrabben auf dem Holz, Kriechspuren von Seeschlangen im Sand, vorbeihuschende Echsen, das Gezeter der Flughunde und kapitale Kokosnusskrabben gehören ebenso dazu wie gut ein Meter große Bindenwarane, die gern Küchenabfälle stibitzen.
Das Personal hilft allerdings gern bei der Entsorgung: Müll wird vor Ort getrennt, und auf Plastik-Strohhalme verzichtet man ebenso wie auf -flaschen. Dabei zählt die Insel östlich von Kalimantan, dem indonesischen Teil Borneos, zu jenen Gebieten, die vom Tauchtourismus profitiert haben.
Seitdem es rund um die Hauptinsel Maratua mehrere Tauchresorts gibt, in denen Einheimische ihre Brötchen verdienen, lässt man zumindest an den regelmäßig angefahrenen Plätzen die Finger von Dynamit, Haiflossen und Napoleonfisch. Hier und da kann es freilich passieren, dass auf ein Bilderbuchriff, das so unberührt wie einen Tag nach der Schöpfung anmutet, eine Schotterhalde folgt.
Dennoch hat Fachautor Helmut Debelius, dessen »Riff- und Fischführer« in kaum einer Tauchbasis zwischen Rotem Meer und Ostasien fehlen, keineswegs übertrieben, als er in den frühen 2000er Jahren Extra Divers-Chef Walter Harscher vom »sagenhaften Tauchrevier« Maratua vorschwärmte und so den Stein ins Rollen brachte.
Nicht weniger als 872 Fischarten, 507 Arten von Korallen und Wirbellosen leben zwischen den 31 Inseln, Sandbänken, Seebergen und Außenriffen, die unmittelbar in die tiefe Sulawesi-See stürzen
53 Stufen hoch, 56 runter
Relikte aus dem Holozän, als der Meeresspiegel gegenüber heute 35 Meter höher lag, sind die beiden Quallenseen im Atoll. Der berühmteste »Jellyfish Lake« Indonesiens auf der eine Bootsstunde entfernten Insel Kakaban ist ganze 17 Meter tief und mit fünf Hektar Fläche so groß, dass er das Eiland selbst zu einem schmalen Ring aus Dschungelhügeln zwischen Ozean und See degradiert.
Gleich vier Arten Medusen treten im badewannenwarmen Wasser in Massen auf: Die aus Europa bekannten Ohrenquallen, winzige Würfel-, fotogene Papua-Schirmquallen und die stets auf dem Schirm liegende Mangrovenqualle am Seegrund sind völlig harmlos, da ihre Nesselzellen während des Anpassungsprozesses an das über Jahrtausende vom Regen verbrackte Wasser verkümmert sind.
Den Wandel der Zeit haben auch Grundeln, Seesterne und die farbenprächtigen Schwämme an den Mangrovenwurzeln entlang des Ufers überstanden, sodass der obligatorische Schnorchelausflug in dieser fremden Welt beim Halbtagestrip ab Nunukan ebenso eindrücklich ist wie der erste Höhlentauchgang.
Neben dem nötigen T-Shirt oder Lycra-Anzug – die Tropensonne nimmt auch bei geschlossener Wolkendecke keine Gefangene – haben wenig glibberaffine Besucher entweder Füßlinge im Gepäck oder dürfen sich dank des Flossenverbots nach einer Stunde Schnorchelei zwischen gummiartigen Häubchen und Tentakeln als geheilt von der Quallen-Phobie betrachten.
Frühaufsteher können sich vor der Steilwand Kelapa Dua obendrein auf durchreisende Fuchshaie, Thunfische und Grauhaie freuen. »Wir tun unser Bestes, jedem Gast, der eine Woche bei uns ist, eine Tour nach Kakaban und zu unseren anderen Specials zu ermöglichen«, verspricht Beat.
Noch mehr »des Guten«
Mit »anderen Specials« meint er Halbtages-Ausflüge ins größtenteils unerforschte Atoll Karang Muaras mit tollen Wänden und Großfisch, zu den plüschigen, mit Makromotiven gespickten Weichkorallenwiesen von South Maratua und zum Partner-Resort Nabucco.
»Big Fish Country«, der hiesige Topspot in der Mündung eines Riffkanals, ist die Wahlheimat eines gewaltigen Barrakuda-Schwarms, der mit geschätzten 50.000 Fischen wie eine lebende Mauer daherkommt und als einer der drei größten in ganz Asien gilt.
Wie üblich im Korallendreieck platzt das Füllhorn ebenso aus allen Nähten, wenn es um Kleingetier geht. Wer aber Anglerfische, Shaun the Sheep-Nacktschnecken und andere Makro-Spezialitäten von der Wunschliste auf Zuruf erwartet, wird in Lembeh oder Ambon glücklicher.
»Insgesamt können wir 70 Tauchplätze anfahren. Da findet sich schon irgendwo dein Pygmäenseepferdchen«, frotzelt Beat, der als gelernter Metallbauer praktisch im Alleingang ein System aus Regenrinnen, Filtern und Auffangbehältern installiert hat, das dem Resort bis zu 70 Tonnen Brauchwasser für die Leitungen spendiert. Nur beim Blick über die bei Ebbe völlig trocken gefallene Lagune gibt sich der Schweizer aus dem Berner Land geschlagen: »Das mit dem Schwimmen kann auch bei Flut mit einem guten Meter Tiefe schwierig werden, oder?«
REISEINFO: NUNUKAN
Anreise
Langstreckenflug mit Singapore Airlines bis Singapur, Weiterflug nach Balikpapan und dann nach Berau. Ab Berau erfolgt ein zirka dreistündiger Bootstransfer zur Insel. Alternativ Anreise nach Jakarta, beispielsweise mit Qatar Airways, und Direktflug von Jakarta nach Berau.
Nunukan Island Resort
Die 22 Einzelbungalows mit Doppel- oder Einzelbetten (auf Wunsch auch Zustellbett) liegen direkt am Strand und sind mit Klimaanlage, Safe, Minibar, Moskitonetz, Bad mit Regenwasserdusche und Terrasse mit Liegefläche ausgestattet.
Neben der offenen Bar über der Küste befindet sich das Restaurant, in dem landestypische und internationale Küche als Halbpension (A-la-carte Frühstück und abends vier Gänge) oder Vollpension (mit Drei-Gänge-Menü am Mittag) serviert werden. Neben dem Souvenirshop gibt es eine Couchecke mit WiFi. Als Zahlungsmittel werden Rupiah, Euro, US-Dollar sowie Online-Direktüberweisung (nur ohne TAN-Code via Handy) akzeptiert
Tauchen mit Extra Divers
Täglich werden zwei Bootstauchgänge vormittags und ein weiterer Bootstauchgang am Nachmittag angeboten, sofern keine Halbtagestour nach Muaras, South Maratua, Big Fish Country oder Tagestour nach Kakaban oder Sangalaki auf dem Programm stehen.
Das Hausrifftauchen erfolgt nach Absprache mit Bootsunterstützung. Auch Early Morning Dives und Nachttauchgänge sind möglich. Nitrox steht gegen Aufpreis zur Verfügung, ebenso Sauerstoff für Notfälle (Erstversorgung im drei Stunden entfernten Berau). Die geräumige Tauchbasis verfügt über einen benachbarten Kameraraum. Die Ausrüstung wird vom Personal zum Boot und zurück transportiert
KombiTipp
Bei einem längeren Aufenthalt im Maratua-Atoll bietet sich die Kombination zweier Inseln an. Die ebenfalls unter dem Management von Extra Divers stehende Taucherinsel Nabucco kann ganz einfach mit einem Aufenthalt in Nunukan kombiniert werden. Für alle, die es exklusiver mögen, bietet sich die Nachbarinsel Virgin Cocoa als luxuriöser Abschluss an.
Preisbeispiel
16 Nächte im Seafront Room mit Halbpension (je sieben Nächte Nabucco und sechs Nächte Nunukan) inklusive Flüge und Transfers ab 3099 Euro pro Person. Der Übernachtungspreis beider Inseln ist gleich.
5 Tage Tauchen inklusive Flasche, Blei und Boot: Nunukan 390 Euro p. P., Nabucco 470 Euro p. P.
Visum bei Ankunft: 35 US-Dollar(Stand 9/2023).
Weitere Infos und Buchung:
www.rcf-tauchreisen.de
[email protected]
www.extradivers-wordwide.com