Reise Reiseberichte

Nordisch by nature – die spektakuläre Tierwelt der norwegischen Fjorde

In den Gewässern der norwegischen Fjorde gedeiht eine ebenso seltene wie spektakuläre Tierwelt. Ein Dorado für Kaltwasser-Taucher, die sich auch in dunklen Tiefen wohlfühlen.

Franco Banfi

TEXT: Sabrina Monella

Reisen auf dem Europäischen Nordmeer, durch die Fjorde und auf den Flüssen waren schon immer ein wichtiger Teil des Lebens in Norwegen. Die Schönheit der Sonnenuntergänge in den Fjorden mit Plätzen in der ersten Reihe oder das Spektakel der Nordlichter, die in dunklen Herbst- und Winternächten tanzen, sind Erlebnisse, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Doch nur wenige haben bisher entdeckt, was in den nordischen Unterwasserwelten unter der dunklen Oberfläche verborgen ist.

Sonnenuntergang über der Insel vor der Bucht. Flatanger, Küstengemeinde in Mittelnorwegen, nördlich des Trondheimfjords, Nordatlantik. Norwegen

Utvorda in Nord-Flatanger

Ich saß auf der Veranda eines typisch norwegischen Holzhauses auf dem Campingplatz Utvorda mit Blick auf‘s Wasser, jede Menge Schären-Inseln und -Inselchen in greifbarer Nähe, und trank mit ein paar Tauchkollegen ein Bier. Einen ganzen Tag waren wir unterwegs gewesen, um Nord-Flatanger zu erreichen – vorbei an Hügeln, Flüssen und Ebenen an der Westküste Mittelnorwegens nördlich des Trondheimfjords, die gerade herrlich von den warmen Farben des Herbstlaubs dekoriert wurden. Skandinavien ist wirklich zu allen Jahreszeiten eine Reise wert!

Stacheliger Seestern (Marthasterias glacialis) auf Wald-Seetang (Laminaria hyperborea). Flatanger, Küstengemeinde in Mittelnorwegen.

Nach einem Zwischenstopp in Kopenhagen waren wir, angekommen in Norwegen am Flughafen von Trondheim, von Anja Dietze und Sven Gust, den Gründern von Northern Explorers Tauchexpeditionen, persönlich abgeholt und in einer etwa dreistündigen Autofahrt nach Utvorda gebracht worden. Die beiden deutschen Tauchexperten führten uns dann eine Woche lang zu fabelhaften Kaltwasser-Tauchrevieren. Der Campingplatz Utvorda war der ideale Ort, um für uns bislang völlig unbekannte Ökosysteme im Namsenfjord sowie an der norwegischen Meeresküste zu entdecken.

Trocknen eines Trockentauchanzugs vor dem Haus vor der Bucht. Flatanger, Küstengemeinde in Mittelnorwegen.

Laternenhai in der Finsternis

Der kleinste in diesem Fjord lebende Hai, der Samtbauch-Laternenhai (Etmopterus spinax), mit einer Länge von maximal 60 cm, fotografiert bei einem Nachttauchgang im Trondheimfjord.

Am Morgen nach unserer Ankunft startete der erste Tauchgang mit dem Boot, das an der Anlegestelle festgemacht war – nur einen kurzen Spaziergang von der Veranda unseres Holzhauses entfernt. Gut so, denn jeder muss hier seine eigene schwere Ausrüstung tragen. Das richtige Timing ist beim Tauchen in Norwegen ganz entscheidend, da die Gezeitenströme auf niemanden warten. Daher ist es auch wichtig, erfahrene und professionelle Tauchanbieter in der Region aufzusuchen.

Wir verließen die Anlegestelle in Richtung Meeresküste auf einer ölig scheinenden, dunklen Wasseroberfläche, die nur von den seitlichen Wellen am Boot gekräuselt wurde. Wir waren ganz allein, weit und breit keine anderen Boote in Sicht. Es war ein angenehm milder Morgen Mitte Oktober, und die Fahrt mit dem Boot dauerte nicht allzu lang. Schon bald erreichten wir den anvisierten Tauchplatz und beeilten uns, um von dem »Flauten-Fenster« zu profitieren.

Dennoch folgte ein akribischer Check an der Wasseroberfläche, bevor wir uns in die ersten, etwas schmutzigeren Meter Wassertiefe fallen ließen. Dunkles, dafür aber deutlich klareres Wasser erreichten wir auf etwa 30 Meter Tiefe. Dort tauchten wir entlang eines Erdrutsches aus Felsen, die teilweise in Geröll versunken waren. Liebhaber bunter, benthischer Lebewesen werden hier nicht glücklich. Aber für unser Team war das hier die erste von diversen erstaunlichen Entdeckungen.

Gerätetaucher und Plumose-Seeanemone (Metridium senile).

Plötzlich wurde das Licht unserer Tauchlampen von einer unscheinbaren Gestalt reflektiert. Sie spähte eine Weile in unser Blickfeld, dann wieder weg. Versteckte sich im dunklen Wasser zwischen den Felsen. Ebenso neugierig wie entschlossen folgten wir dieser Erscheinung und erlangten das Vertrauen eines schönen, aber scheuen Samtbauch-Laternenhais. Ein kleiner Hundshai, der normalerweise in einer Tiefe von 500 bis 750 Meter außerhalb der kontinentalen und insularen Schelfe und oberen Hänge über Schlamm lebt.

Wir waren begeistert, gleich auf unserem ersten Tauchgang ein so seltenes Tier zu Gesicht zu bekommen. Der Samtbauch des Laternenhais ist biolumineszent. Er hat Photophoren, die Lichter aussenden – was es ziemlich schwierig macht, ein anständiges Foto von diesem fabelhaften Unterwasserwesen zu realisieren. Meine Tauchbuddies schalteten daher ihre Lampen aus, und wir beschlossen, uns bei der Beobachtung dieser raren Kreatur abzuwechseln. Die richtige Entscheidung! Denn so konnte jeder ein paar Minuten mit dem Laternenhai genießen, bevor es Zeit war, wieder aufzutauchen.

Tauchlampen bei einem Nachttauchgang im Hafen an der Küste. Ort: Flatanger.

Namsenfjord …

Am Nachmittag fuhren wir zum Namsen­fjord. Ein 42 Kilometer langer Fjord, in dem das Meerwasser auf das Süßwasser des Flusses Namsen trifft, und wo die Gezeiten-Feuchtgebiete oder »Salzwiesen« viel wichtiger sind, als man denkt. Das gilt sowohl für die frühen Lebensstadien der dortigen Meerestiere als auch für die Absorption von Kohlendioxid und dessen Umwandlung in Sauerstoff zum Nutzen aller Lebewesen.

Der Namsenfjord ist ein nationaler Lachsfjord, und der Namsen ein nationaler Lachsfluss. Na, jetzt wissen Sie schon, was uns an diesem Tag zum Abendessen erwartete. Beim Tauchgang richteten wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf die Mündung des Fjords in die offene See und erkundeten in der Dämmerung die Felsküste, die mit üppigen Seetang-Gärten im flachen Wasser, vielen Stachelhäutern und Krebstieren übersät war.

… und Trondheimfjord

Die wunderschöne Hütte direkt am Fjord mit eigenem Steg am Trondheimsfjord, einem der längsten Fjords Norwegens.

Nach ein paar Tauchtagen an verschiedenen Stellen des Namsenfjords verlegten wir unsere Basis und unser Team in ein bezauberndes Ferienhaus am Ufer des Trondheimfjords, das über einen Steg zum Anlegen des Bootes und eine Plattform verfügte, von der aus man bei passender Flut ins Wasser gehen kann. Der Trondheimfjord ist mit 185 Kilometern und einer maximalen Tiefe von 217 Metern der drittlängste Fjord Norwegens und weist die größte biologische Produktion unter den Fjorden dieses skandinavischen Landes auf.

Die Tote Mannshand (Alcyonium digitatum).

Auch weil gleich sechs große Flüsse Süßwasser, Schutt und Geröll einleiten. Durch die Süßwassereinleitung entsteht eine Mündungszirkulation, die eine Schichtung zwischen dem Süßwasser und dem dichteren Meerwasser bewirkt. Wenn Sedimente in den Fjord eindringen, blocken sie das schwache Licht ab, das an die Oberfläche dringt, was dann zu einer noch dunkleren Umgebung im Flachwasserbereich führt und den Effekt der Halokline verstärkt. Ökosysteme und Tiere, die normalerweise nur in großen Tiefen zu finden sind, zeigen sich wegen dieser Besonderheit hier im Flachwasser.

Die Fächergorgonie (Paramuricea placomus) ist eine Tiefsee-Gorgonie, die in größeren Tiefen von bis zu 1600 Metern vorkommt.

Kürzlich wurde in der Region auch das flachste Kalt- und Tiefwasser-Korallenriff der Welt, (Lophelia pertusa) entdeckt, das sich in etwa 40 Meter, also einer für geübte Sporttaucher geeigneten Tiefe erstreckt. Weitere Highlights hier sind Geisterhaie (Chimaera monstros) und Kronenquallen (Periphylla periphylla), leuchtend rotgefärbte Geschöpfe der Tiefsee.

Rote Geschöpfe der Tiefsee

Wieder an Land, bereiteten wir am frühen Nachmittag die Ausrüstung für einen Dämmerungs- und einen Nachttauchgang vor. Und dann hieß es warten auf den Einfall der Dämmerung. Unsere Strategie erwies sich als ausgezeichnet: Beim Tauchgang am späten Nachmittag konzentrierten wir uns auf die mesopelagische Periphylla periphylla. Nach einer kurzen Zodiac-Fahrt kamen wir am Tauchplatz an, wo wir versuchten, so sanft wie möglich ins Wasser zu gleiten.

Mit Trockentauchanzügen und jeder Menge »Gewichten am Mann« keine einfache Übung. Wir flosselten eine Zeitlang über schlammigen Felsgrund, vorbei an Schlangensternen und Seeigeln, farbenfrohen Kaltwasseranemonen und diversen wirbellosen Tieren. In etwa 30 Meter Tiefe waren wir in dem dunklen Wasser dann von Schwebeteilchen umzingelt. Auch Periphylla periphylla, die Kronenqualle, war hier zahlreich vertreten. Sie ernährt sich von Zooplankton, mikroskopisch kleinsten Copepoden. Was es schwierig macht, Rückstreuungseffekte zu vermeiden und halbwegs passable Fotos hinzubekommen.

Die Helmqualle (Periphylla periphylla) ist eine leuchtend rote Tiefseequalle.

Die leuchtenden, im Licht der Tauchlampen rot schimmernden Quallen sehen aus wie überdimensionale Kirschen, vertragen aber kein Licht. Dabei sind sie unglaublich schön, treiben mit ihren zwölf langen Tentakeln träge aus der Tiefsee an die dunkle Wasseroberfläche und pumpen Wasser in ihre großen gallertartigen Schirme. Auf ihre vertikale Wanderung Richtung Wasseroberfläche hin zur Nahrung folgt noch vor der Morgendämmerung – um das Tageslicht zu vermeiden – ihre Rückkehr in Tiefen von 250 Meter. Tagein, tagaus. Man könnte die Uhr danach stellen. Enorm, wie Mutter Natur das so alles hinbekommt.

Die Geisterhaie, die wir riefen

Der Nachttauchgang nach dem Abendessen bescherte uns dann noch etwas schier Unglaubliches! Gehofft hatten wir ja schon, in Norwegen auch mal einen Geisterhai alias Chimaera monstrosa zu erspähen. Er ist ein Knorpelfisch-Verwandter von Haien und Rochen. Bei der Erkundung von Rissen und Spalten im Felsgestein in etwa 35 Meter Tiefe reflektierten plötzlich zwei Augen das Licht unserer Tauchlampen. Behutsam schwebten wir knapp über dem Sandboden und entdeckten diese Augen noch mehrmals in der Dunkelheit. Sie wurden immer größer, je näher sie uns kamen.

Geisterhaie (Chimaera monstrosa) werden auch als Seekatzen oder Seedrachen bezeichnet.

Und dann war er direkt vor uns. Unser erster Geisterhai! Er zeigte sich ein paar Mal mit langsamen Bewegungen, schaute uns an und wieder weg. Aber er schien uns nicht zu trauen und zog sich hurtig in den Schutz der Dunkelheit zurück. Ein weiteres Exemplar, dem wir kurz danach begegneten, wirkte dagegen recht neugierig. Es war ein wunderschönes, erwachsenes Tier, das sich uns in geringerer Tiefe ganz verspielt präsentierte, als es auf der Suche nach Nahrung war.

Die Muscheln auf dem Meeresboden und um einige Felsen herum fand dieser Geisterhai aber offensichtlich weitaus interessanter als uns Taucher und nutzte die Lichtstrahlen unserer Lampen und Videoleuchten auf clevere Art, um seine schmackhafte Beute auszumachen. Wir waren total geflasht! Und mit »unserer Beute« auf unseren Kamera-Speicherchips mehr als zufrieden.

REISEINFOS NAMSENFJORD & TRONDHEIMFJORD

Die Region Nord-Flatanger befindet sich in Mittelnorwegen nördlich des Trondheimfjords und ist per Auto und Flugzeug erreichbar. Der Name Flatanger stammt aus der Wikingerzeit und bedeutet so viel wie mit Schären durchsetzte Bucht/Fjord. Nord-Flatanger grenzt nördlich an die Namsenfjord-Mündung. Der Hafen von Utvorda ist für Erkundungen ein idealer Ausgangspunkt. Mit dem Boot ist man in wenigen Minuten auf dem offenen Meer (Folla), in geschützten Schärengürteln und im Namsenfjord.

An-/Einreise: Per Flugzeug über internationale Drehkreuze wie Oslo, Kopenhagen oder Amsterdam zum Inlandsflughafen von Trondheim (Værnes). Norwegen ist Mitglied der Schengen-Gruppe. Daher benötigen Sie kein Visum. Wenn Sie über Oslo anreisen: Denken Sie daran, dass Sie am Flughafen Oslo die Zollabfertigung (Infos: toll.no) erledigen müssen. Daher entsprechend Transitzeit einplanen. Vom Flughafen Trondheim zu Namsen- und Trondheimfjord benötigen Sie einen Autotransfer.

Unterkunft: Nord-Flatanger Sjøhus befindet sich am Hafen des Küstenorts Utvorda in der mittelnorwegischen Region Trøndelag. Hier stehen zwei geräumige Häuser für große Gruppen sowie zwei neu ausgebaute Apartments und eine Hütte für Gäste zur Verfügung. Alle verfügen über Internet, TV, Grill, Veranda, Badezimmer/WC und gut ausgestattete Küchen. Endreinigung, Bettwäsche und Handtücher sind im Mietpreis enthalten.
Währung: Norwegische Krone (NOK). 1 NOK ist in 100 øre (Cents) unterteilt. Die Preise in Norwegen sind hoch.
Elektrizität: Standardspannung (230 V) und Stecker (Typ C und F).
Wetter/Reisezeit: Aufgrund des Golfstroms herrscht in Norwegen gemäßigtes Klima. Seien Sie aber auf plötzliche Wetterumschwünge vorbereitet. Im Oktober liegen die Temperaturen nachts bei zwei bis sechs Grad und tagsüber bei acht bis 14 Grad. Regen und kalte Winde müssen immer miteinkalkuliert werden.

Tauchen: Im August 2022 betrug der Preis für die im Beitrag beschriebene Tour 2850 Euro pro Person. Darin enthalten sind
Tauchen, Unterkunft in einer Campinghütte (Zweibettzimmer), Frühstück, Snacks, Abendessen, alkoholfreie Getränke und alle Transfers per Van in Norwegen.
Stahlflaschen mit DIN-Doppelventilen (200 bar) und Volumen von 10, 12 oder 15 Litern stehen bereit. Kaltwasser-, Trockentauch- und (nicht technische) Tieftauch-Erfahrung sind für diese Tour nötig.

Veranstalter/Tauchexpeditionen:
Northern Explorers AS
Vedskogmyra 25
7777 Nord-Statland
Norwegen
Web: www.northern-explorers.com
E-Mail: [email protected]
Tel. 0047- 469 37 160 (Sven Gust)
Tel. 0047 – 41 48 53 20 (Anja Dietze)