Reiseberichte

Graciosa: Kleine Insel mit großem Potential

Arcada – so vielversprechend wie der Name klingt, so geht’s auch gleich los. Kräftig am Ankerseil ziehend und gleichzeitig mit den Flossen paddelnd erreichen wir den Gipfel der Untiefe in neun Metern Tiefe. Satte Strömung drückt die Brille ins Gesicht und die Ausatemluft fast waagerecht nach hinten. Jetzt nur nicht loslassen! Sonst ist der Tauchgang zu Ende, bevor er so richtig begonnen hat. Zwei Meter tiefer erst mal im Strömungsschatten verschnaufen. Unzählige knallbunte Meerpfauen huschen um die Felsspitze. Ungewöhnlich große Schleimfische ducken sich in Spalten, während die grazilen Greifarme der festsitzenden Seepocken rhythmisch nach Plankton fischen. Kaum bewachsen fällt der schroffe Vulkanfels nahezu senkrecht ab. Wir folgen Rolando – dem in Angola geborenen Portugiesen – zügig in die Tiefe. In 25 Metern erwarten uns vier Zackenbarsche. Während die drei kleinen Weibchen zügig in schmalen Spalten verschwinden, schwimmt das über einen Meter lange Männchen gemächlich ums Eck und kuschelt sich hinter einen mannsgroßen Busch Schwarzer Korallen. Hier verbirgt sich eine kleine Höhle voller rot-weiß gestreifter Einhorngarnelen, die in Kombination mit dem Zacki, ein herrliches Fotomotiv abgeben! Rolando drängt zur Eile, denn den namensgebenden Torbogen müssen wir unbedingt sehen.

Gespannt starren wir ins tiefblaue Wasser, suchen nach Dreiecksflossen, einem Schatten. Dann endlich zeigt sich die sehnsüchtig erhoffte Silhouette – ein Blauhai nähert sich dem Boot!

Überraschend fischreich

Fast an der gegenüberliegenden Seite der Untiefe bohrt sich ein Loch ins poröse Vulkangestein und formt eine mehrere Meter breite Arkade. Pinkfarbene Fahnenbarsche umtanzen rötlichbraune Zweige Schwarzer Korallen, eine dunkelgraue Muräne lugt aus ihrem Loch, während ein Trupp Goldstriemen den spärlichen Algenbewuchs nach Fressbarem durchpflügt. Im leuchtend blauen Freiwasser wechseln sich glitzernde Brassenschwärme mit Bonitos und Barrakudas ab.

Das Wrack der „Terceirense“ ist die Heimat etlicher Brauner Zackis. Foto: Wolfgang Pölzer
Das Wrack der „Terceirense“ ist die Heimat etlicher Brauner Zackis. Foto: Wolfgang Pölzer

„Nicht alle Tauchspots hier sind so strömungsreich,“ versichert uns Rolando bei der Rückkehr auf das hochseetaugliche Schlauchboot. Zumindest gibt es keine langen Anfahrten, denn Graciosa ist in weniger als einer Stunde umrundet. Die zweitkleinste Insel des Azoren-Archipels besitzt lediglich rund ein Fünftel der Fläche von München. Gerade mal 5000 Einwohner in vier Gemeinden, ein einziges Hotel und eine Handvoll Apartments prägen die trockenste Insel des Archipels. Wegen ihrer fruchtbaren, flachen Hügellandschaft mit Weizen- und Gerstenanbau auch als „Getreidekammer der Azoren“ bekannt.
Dass Tourismus bislang nur eine geringe Rolle spielt, wird uns beim Mittagessen in einer der beiden Hafenkneipen in Praia bewusst. Problemlos können wir anschreiben. Die Kellnerin fragt nicht mal nach unseren Namen, sondern notiert bloß „die beiden Fremden“ auf ihrem Block – wohlgemerkt Mitte August, zur Hochsaison! Nachmittags geht’s keine 500 Meter raus mit dem Boot. Fast hätte es die „Terceirense“ damals im schweren Sturm 1968 nach Rammen einer Untiefe noch bis in den rettenden Hafen geschafft. Nun liegt der 70 Meter lange Stahlfrachter knapp vor der Hafeneinfahrt auf ebenem Sandgrund in 14 bis 20 Metern Tiefe und verspricht hervorragende Tauchgänge. Von heftigen Winterstürmen und dem Zahn der Zeit stark mitgenommen, erinnert nur mehr das abgerissene Heck an die einstige Form. Unzählige schneeweiße Schraubensabellen überziehen den Schiffsrumpf. Zahlreiche Muränen haben zwischen den Wrackteilen ebenso ihr Zuhause gefunden, wie etwa ein knappes Dutzend Zackenbarsche. Die größten davon zeigen sich alles andere als scheu und posieren bereitwillig vor dem rostenden Stahl. Einzig der riesige Congeraal ist etwas scheu und lässt sich nicht aus seinem dicken Rohr locken. Beim Aufstieg begleiten uns zwei kapitale Bernsteinmakrelen.
Die nächsten Tage führt uns Rolando zu 40 Meter tiefen Unterwasserbergen, spektakulären Steilwänden aber auch strömungsfreien Flachwasserspots mit beeindruckenden Grotten. Die Sichtweiten in Küstennähe schwanken stark und hängen ausschließlich von Wind und Wellen ab. Bei einer der Ausfahrten treffen wir Rolandos größeres Boot, vollbesetzt mit über einem Dutzend Vogelkundler aus aller Welt. Neben den endemischen Sturmschwalben von denen es nur mehr 200 Brutpaare geben soll, machen viele Arten von Zugvögeln Rast auf Graciosa oder kommen zum Brüten. Abseits der Vögel gibt’s auch an Land viel zu entdecken. So hat das als UNESCO-Biosphärenreservat gewürdigte Eiland etwa den höchsten Leuchtturm der Azoren mit fantastischem Ausblick auf das an einen gestrandeten Wal erinnernde Felsinselchen Ilhéu da Baleia. Ein Abstecher ins Thermalbad von Carapacho lohnt ebenso, wie der einzige Sandstrand der Insel im Ortszentrum von Praia. Bekanntestes Highlight ist jedoch die 270 Meter tiefe Caldera ganz im Süden. Für 2,50 Euro kann man in deren Zentrum über 183 Stufen in die Furna do Enxofre, eine gewaltige, fast 200 Meter breite Schwefelgrotte mitsamt Höhlensee und blubbernder Schlammfumarole, hinabsteigen.

Nicht mal 2000 Einwohner leben im Hauptort Santa Cruz da Graciosa. Foto: Wolfgang Pölzer
Nicht mal 2000 Einwohner leben im Hauptort Santa Cruz da Graciosa. Foto: Wolfgang Pölzer

Endlich taucht der Schatten auf!

Krönender Abschluss und taucherischer Höhepunkt ist ein Blauhai-Trip. Dazu düsen wir aufs offene Meer hinaus Richtung der knapp 60 Kilometer entfernten Nachbarinsel Terceira. Auf das Bandscheibentraining im wilden Atlantik folgen zwei weitere Stunden zermürbender Warterei im schaukelnden Boot. Unablässig rührt Rolando in einem Eimer gefrorener Fischköpfe und –innereien und legt mit dem wässrigen Brei eine beständige Duftspur hinter unserem Boot. Rund 300 Meter unter uns erhebt sich eine Untiefe vom weit über 1000 Meter tiefen Meeresgrund. Thunfisch-Fischer haben ihm den Platz im vergangenen Jahr verraten und seine bislang 80-prozentige Erfolgsgarantie spricht für den Blauhaispot. Gespannt starren wir ins tiefblaue Wasser, suchen nach Dreiecksflossen, einer verdächtigen Bewegung oder einem dunklen Schatten. Schon fast bereit zum Aufgeben, zeigt sich letztendlich doch die sehnsüchtig erhoffte Silhouette: Ein Hai umkreist gemächlich unser Boot.

Die quirligen Meerpfauen bringen Farbe ans Riff. Foto: W. Pölzer
Die quirligen Meerpfauen bringen Farbe ans Riff. Foto: W. Pölzer

Betont vorsichtig legen wir die Geräte an, streifen die Flossen über und versuchen möglichst geräuschlos über Bord zu gleiten. Langsam tauchen wir ab, klammern uns ans Ende des gut drei Meter langen Seils, das uns wie eine Nabelschnur mit dem treibenden Schlauchboot verbindet. Es ist tatsächlich ein Blauhai – ein stattliches Exemplar, leicht an den riesigen Brustflossen und der langen Nase erkennbar. Völlig unbekümmert versucht er immer wieder etwas von den Fischköpfen im Köderkanister zu erhaschen, umkreist uns, kommt bis auf Armeslänge heran, gibt ein fantastisches Fotomotiv ab! Vergessen ist die lange Anfahrt, die nervenaufreibende Warterei, der Gestank von altem Fisch – nur das Schauspiel der eleganten, schlanken Räuber direkt vor uns zählt jetzt. Denn mittlerweile hat sich ein weiterer Blauhai eingefunden. Bis zu fünf Stück hat Rolando hier schon gleichzeitig gesichtet. Hai-Garantie könne er keine geben, betont er auf der Rückfahrt. Ein bisschen Expeditionscharakter und Seefestigkeit gehört schon dazu.

Graciosa ist die Kornkammer der Azoren. Überall findet man noch alte Windmühlen.
Graciosa ist die Kornkammer der Azoren. Überall findet man noch alte Windmühlen. Foto: Wolfgang Pölzer

Fazit: Die touristisch kaum erschlossene Azoreninsel Graciosa begeistert mit dem Charme eines ungeschliffenen Diamanten. Tolle Tauchspots, ein buntes marines Leben und elegante Blauhaie.

Reise-Facts Graciosa auf den Azoren

Allgemeine Infos

Sprache: Portugiesisch
Tourist-Info: www.visitazores.com
Anzug: 7-mm-Anzug in der Hauptsaison, Wassertemperaturen schwanken zwischen 16 Grad im Februar bis 24 Grad im August.
Beste Tauchzeit: Die besten Sichtweiten herrschen Mitte Juli bis Mitte September.
Anreise: mit SATA nonstop freitags ab München sowei donnerstags und sonntags ab Frankfurt (www.azoresairlines.pt) nach Ponta Delgada auf Sao Miguel. Airberlin ab Düsseldorf.
Einreise: Reisepass oder Personalausweis
Handy/E-Mail: Deutsche Handys funktionieren tadellos, viele Restaurants bieten kostenloses WLAN
Medizin: Die nächste Druckkammer befindet sich auf der Hauptinsel São Miguel
Strom: 220 Volt, Euro-Steckdosen
Restaurant-Tipps: Das gute und preisgünstige Fischlokal Dolphin mit schöner Aussicht findet man im Ort Carapacho oberhalb der Therme. Traditionelle, reichhaltige Fleischgerichte wie die Cataplana (Eintopf) gibt’s im Quinta das Grotas in Ribeirinha.

Basis und Hotel

Basis: Diving Graciosa im Hafen von Santa Cruz da Graciosa (www.divingraciosa.com)
Tauchen: Es werden zwei Bootstauchgänge täglich sowie Nachttauchgänge angeboten. 40 verschiedene Tauchspots stehen zur Auswahl. Highlight: die sechsstündige Blauhaitour
Boote: ein Schlauchboot für bis zu zehn Taucher sowie für größere Gruppen ein Aluschiff Ausstattung: zwölf komplette Ausrüstungen Flaschen: 12-DIN/INT-Stahl-Flaschen
Preise: Bootsausfahrt mit eigener Ausrüstung kostet 41 Euro, Blauhai-Ausfahrt 150 Euro
Unterkunft: das einzige Hotel der Insel ist Graciosa Resort & Business (www.inatel.pt). Sonst gibt’s noch Apartments in Basisnähe.
Preise: Sieben Nächte im Hotel, mit Frühstück und zehn Tauchgängen ab 600 Euro pro Person. Zehn Nächte im Apartment-Haus mit fünf Doppelzimmern und zehn Tauchgängen ab 500 Euro pro Person. Buchung: www.divingraciosa.com
Infos: www.visitazores.com