Reiseberichte

Tauchen in Westaustralien: Das ganz große Abenteuer wartet!

Bei Broome findet man einsame Strände mit bizarren Sandsteinformationen.

Rowley Shoals: Die neue Oberklasse

Lange Jahre war das abgelegene Seegebiet der Rowley Shoals allein unter Hochseefischern eine bekannte Landmarke im Blau. Kurzum: Vorhang auf für eines der aufregendsten Tauchgebiete Australiens!

Sei nicht enttäuscht, das war doch nur der Checktauchgang“, sagt Trippy Tucker. Wenn die blickdichten Wände von Glasfischen vor gelben, orangen, pinken und feuerroten Weichkorallen und die Weißspitzenriffhaie, die so zahlreich auf dem Sandboden der „Blauen Lagune“ im Clerke-Atoll dösen, für ihn nur einen schnöden Badewannen-Tauchgang hergeben, wie mag es dann erst am Außenriff zugehen?

Eine Stunde später folgt die Antwort: Noch bevor die letzten Safari-Gäste zum großen Schritt vom Heck ansetzen, gleitet eine massive Silhouette über das flache Riffdach in die Tiefe. „Hmm, die Schwanzflosse kommt hin, aber war das wirklich …?“, meldet sich das Unterbewusstsein zu Wort, „eigentlich unmöglich in so flachem Wasser am helllichten Tag.“ Mit einer urplötzlichen Wende blitzt die gestreifte Flanke auf und spätestens der Quadratschädel entlarvt das U-Boot als Tigerhai. Jetzt oder nie. Ganz ohne aufputschende Fischköder und deshalb absolut natürlich bahnt sich die Neugierde zwischen Mensch und Raubfisch ihren Weg, bis die persönliche Komfortzone ausgereizt ist und der Spuk wieder als Silhouette verschwindet. Sekunden für ein ganzes Taucherleben. Erst jetzt bekommen sie die Aufmerksamkeit, die sie eigentlich verdienen: eine monströs große Sepia, die Karettschildkröte, die von Füsilieren umschwärmten Riesenfächer und die Wolken violetter Fahnenbarsche, welche im Takt der Strömung tanzen, wenn nicht gerade mal wieder ein vorwitziger kleiner Weißspitzenriffhai ein Fenster im Schwarm öffnet. Schweren Herzens an Bord geklettert, ist es wieder Trippy, der abwiegelt, als sei das eben banaler Standard gewesen: „Ach, du hattest einen Tiger? Wir hatten eben drei beim Angeln, die haben ganz schön genervt“, meint er schulterzuckend. „Gewöhn‘ dich daran, so was passiert hier draußen an den Rowley Shoals häufiger.“

Achtung: Emus und Kängurus haben auf den Straßen Vorfahrt! Foto: Daniel Brinckmann
Achtung: Emus und Kängurus haben auf den Straßen Vorfahrt! Foto: Daniel Brinckmann

Er muss es wissen, schließlich haben ihn die 250 Kilometer nordwestlich von der Perlentaucher-Stadt Broome gelegenen Korallenbänke schon in den späten 1980er in ihren Bann gezogen. Was Trippy, der eigentlich Christopher Tucker heißt, beim Feierabendbier auftischt, klingt nach Goldgräber-Abenteuer und Crocodile Dundee. Jahrelange Langusten-Fischerei und Arbeit auf Perlenfarmen brachte genug Geld zusammen, um das erste kleine Kreuzfahrtschiff vom Stapel laufen zu lassen. Als die Zeit reif war, mit einem größeren Schiff das nächste Level anzupeilen, stieß Bruder Jeremy, kurz „Jezzer“, dazu. Heraus kam dabei vor neun Jahren das unangefochtene Flaggschiff unter den Tauchkreuzfahrtschiffen Westaustraliens: die „Great Escape“. Auf 26 Metern Länge und zehn Metern Breite vereinbart der hochseetaugliche Katamaran Luxus und Funktionalität. Im Heck befindet sich nicht nur das Tauchdeck, sondern auch der Essbereich mit Grill und benachbarter offener Küche. Beide Bauer-Kompressoren und zwei Beiboote sind auf dem hinteren Zwischendeck untergebracht, während der Bugbereich mit einem kleinen Spa-Bereich und Jacuzzi als Sonnendeck dient. Selbst Satelliten-Internet steht mit Aufpreis zur Verfügung. Wer jetzt Allüren und Kapitänsdinner mit Kleidervorschrift befürchtet, darf aufatmen – die Atmosphäre an Bord ist sehr bodenständig und familiär.

Großfisch-Paradies Rowley Shoals: Tigerhaie gehen auf Tuchfühlung!
Großfisch-Paradies Rowley Shoals: Tigerhaie gehen auf Tuchfühlung! Foto: Daniel Brinckmann

Flucht ins Paradies

Der Name „Great Escape“ ist allerdings Programm, denn geflüchtet wird auf den edlen Planken allein in die beiden spektakulärsten Ecken der Region: Da wären einerseits die Kimberleys, jene sagenumwobene, wildromantische Küstenlandschaft im Norden, in der die „Sea People“ unter den Aboriginals entlang von Wasserfällen, Stromschnellen und von Salzwasserkrokodilen und Bullenhaien wimmelnden Fjorden leben. Die Trips sind über Jahre im Voraus ausverkauft. Ähnliches dürfte auch den Rowley-Shoals-Touren blühen sobald das Revier außerhalb Australiens bekannt wird. Ursprünglich im 18. und 19. Jahrhundert von Kartierern und Navigatoren entdeckt, liegen die drei jeweils etwa 80 Quadratkilometer großen Atolle Clerke, Imperieuse und Mermaid im offenen Westpazifik. Trotz ihrer isolierten Lage weit vor dem Kontinentalabhang, beherbergen die Shoals 688 Fischarten und 233 Korallensorten und präsentieren sich vielfältiger als weite Teile des Großen Barriereriffs. Verantwortlich dafür ist die starke Cromwell-Strömung. Weil das Seegebiet zudem bereits 1990 zum Marinepark erklärt wurde, lassen sich die Faktoren ganz einfach auf eine Gleichung runterbrechen: In einer unberührten Umgebung treffen die bunten Weichkorallen Indonesiens auf den Großfisch Australiens. Die Gezeitenunterschiede sind mit bis zu acht Metern Tidenhub kaum weniger extrem als in der Bretagne. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass jeder Tauchgang und Schnorchelausflug in den breiten Kanälen zwischen Außenriff und Lagune wundervollen Achterbahnfahrten gleicht, während denen man mit drei, vier Stundenkilometern Geschwindigkeit über kerngesunde, bestechend schöne Natursteingärten saust. Und wenn in diesen Fischkinderstuben nicht gerade Schildkröten, Zackenbarsche, Ammen-, Zebra- oder Tigerhaie alle Augenpaare auf sich ziehen, dann berauschen sich selbst Meeresbiologie-Muffel an einer filigranen Hügellandschaft aus nicht weniger als 28 Arten von pastell- und lilafarbenen Geweihkorallen, denen nichts und niemand je einen Zacken aus der Krone gebrochen hat.

Hübsche Flanken: Die Riffe fallen auf hunderte Meter Tiefe ab. Hier gedeihen prachtvolle Gorgonien.
Hübsche Flanken: Die Riffe fallen auf hunderte Meter Tiefe ab. Hier gedeihen prachtvolle Gorgonien. Foto: Daniel Brinckmann

Nächstes Ziel: China

Genauso strömungsreich geht es zu am Spot Jimmy Goes to China – ein kleiner australischer Seitenhieb auf einen Tauchguide, den ein Ausflug ins Freiwasser vorübergehend in Richtung Indonesien befördert hatte. Auch heute fegt der Unterwasserwind so heftig, dass Fotos bestenfalls im Vorbeiflug möglich sind. So bleibt der halbwüchsige Walhai eine Randnotiz in der Ferne, doch wuchern blaue und purpurfarbene Weichkorallen so großzügig von der Steilwand hinab, dass man ebenso gut von den Hängenden Gärten von Rowley sprechen könnte.
Nach dem Kraftakt ist jeder glücklich, dass abends das Picknick auf Bedwell Island ansteht. Für tausende von Zugvögeln ist die Sandbank in der Lagune des Clerke-Atolls der letzte Ruheposten auf dem Weg nach Norden. Köstliche Pizzen werden am Strand serviert, ebenso wie eisgekühlter Champagner. Über den Sternenhimmel nebst Milchstraße muss man keine Worte verlieren.
Bei Sonnenaufgang setzt die „Great Escape“ bereits unter voller Motorkraft zum Mermaid-Atoll über, als der Ruf „Delfine“ vom Bug erschallt. „Die haben sich dieses Mal aber wirklich Zeit gelassen“, kommentiert Jezzer, der seinen trockenen Humor mit seinem Bruder Trippy teilt. Dabei schwärmt er, wie viel mehr Großfisch es im Mermaid-Atoll gäbe. Gut, auf der Suche nach Nacktschnecken ist hier wohl niemand.
Von den angedeuteten Großen Hammerhaien lässt sich am North Wall zwar keiner blicken, doch entschädigt die gigantische Szenerie spielend für den kleinen Dämpfer. Die frisch zur Eiger-Nordwand umgetaufte Mega-Schlucht schrumpft Tauchergruppen im kristallklaren Wasser zu Zwergen-Banden zusammen. Selbst die kapitalen Hundezahn-Thunfische weit draußen im Blau wirken wie mickrige Sardinen. Dass es die Schiffseigner sind, die nörgeln und zur „Entschädigung“ spontan einen Blauwassertauchgang mit „Musik“ aus der eifrig zum Knirschen gebrachten Plastikflasche anberaumen, um noch ein paar neugierige Silberspitzenhaie aus der Reserve zu locken, spricht für sich.
Nötig gewesen wäre es nicht, denn die letzten beiden Tauchgänge am Cod Hole stimmen mehr als nur versöhnlich. Im direkten Vergleich zum bekannteren Namensvetter vor dem Großen Barriereriff rücken einem zwar weniger zahme Kartoffel-Zackenbarsche auf die Pelle, dafür geben sich in dem natürlichen Amphitheater Grauhaie, Barrakuda-Schulen, Makrelen-Schwärme, Thunfische, Büffelkopf-Papageifische und Stachelrochen die sprichwörtliche Klinke in die Hand – und das auf weniger als hundert Quadratmetern Fläche.
Spätestens als das tropfende Neopren für die Rückfahrt verstaut ist, liegt der süße Duft von Meuterei in der Luft: „Am liebsten würde ich ja die Motoren sabotieren“, raunt IT-Spezialist Jamie Bright seiner Frau zu. „No worries, den Vorschlag höre ich nicht zum ersten Mal“, klinkt sich Trippy ins Gespräch ein. „Dabei war das nur eine Sechs von Zehn auf der Rowley-Skala.“
Bescheidenheit mag ja eine wunderbare Tugend sein, doch spricht sein Lächeln Bände: Er weiß, die beiden kommen wieder!