TEXT: Ingo Oppelt
Das Puttgarden-Riff erstreckt sich mehrere Kilometer weit in Richtung der Schifffahrtsstraße Kiel-Ostsee-Weg. Der Hauptgrund, aus dem in den vergangenen Jahrhunderten auf diesem Sandriff unzählige Schiffe aufgelaufen und gesunken sind, ist die stark veränderliche Tiefe des Meeresbodens. Durch unterschiedlich lang andauernde, windbedingte Strömungen werden in diesem Seegebiet extreme Sandmengen vom Untergrund verlagert.
So kommt es vor, dass sich der sandige Meeresboden von gewöhnlich sechs Meter Tiefe auf weniger als zwei Meter Tiefe auftürmt und damit für einen kurzen Zeitraum von nur einzelnen Tagen bis zu wenigen Wochen eine tückische Untiefe entstehen lässt.
Die klassischen Handelsschiffe der letzten 400 Jahre waren hölzerne Lastensegler mit einer Länge von 15 bis 40 Metern und einem Tiefgang von bis zu vier Metern. Damit konnten die Segelschiffe bei einer gewöhnlichen Wassertiefe von sechs Metern dieses Seegebiet mit einem Abstand von mindestens zwei Kilometern zur Küste problemlos durchfahren. Wenn sich aber alle paar Jahre der sandige Meeresboden deutlich aufgespült hat, sind hier oft Schiffe festgekommen.
Freigezerrt
Meist schlugen die Holzschiffe nach dem Auflaufen jedoch nicht gleich Leck. Einigen Besatzungen gelang es, ihre Schiffe durch geschickte Manöver wieder freizubekommen. Dafür wurden mit dem Beiboot auch sogenannte Warp-Anker ausgebracht, an denen die Havaristen unter Nutzung der Ankerwinsch wieder ins tiefere Wasser gezogen wurden. Oft gelangen diese Manöver auch erst, nachdem ein Teil der Ladung über Bord geworfen wurde, und die Schiffe so wieder Auftrieb bekamen.
Noch heute findet man auf dem Puttgarden-Riff solche Schiffsladungen. Wir haben beim Absuchen des Seegebiets zum Beispiel zwei Steinladungen gefunden, die auf einst festgefahrene Lastensegler hindeuten. Baumaterial war eine der häufigsten Schiffsladungen der Handelssegler, die in der Ostsee unterwegs waren. In sehr vielen Wracks findet man noch heute Ziegelsteine, Schamottesteine, Zementfässer, Kreide und verschiedenste Natursteine in unterschiedlichsten Formen und Größen.
Ab dem 19. Jahrhundert kamen Grundsitzer vom Riff auch zunehmend mit Hilfe von Motorschiffen wieder frei, die mit einer langen Seilverbindung die Havaristen aus sicherer Entfernung vom Riff gezogen haben. Dafür wurden zuvor meist Bergungslöhne vereinbart, die prozentual am Wert des festgefahrenen Schiffs einschließlich seiner Ladung bemessen wurden. Eine auf Fehmarn beheimatete Fischerfamilie hatte sich seinerzeit neben ihrer Haupttätigkeit auf das Freischleppen von festgefahrenen Handelsseglern spezialisiert und sich so ein nicht unerhebliches Nebeneinkommen aus Bergelöhnen verdient.
Für Taucher ein Spaziergang
Wurde ein auf dem Riff festsitzendes Schiff jedoch nicht rechtzeitig wieder flott bekommen, so war es nur eine Frage der Zeit, bis durch zunehmenden Wind und Wellen aus nördlicher Richtung der Grundsitzer Leck schlug und voll Wasser lief. Wenn sich dann der sandige Untergrund wieder zu seiner gewöhnlichen Tiefe von sechs Metern wegspülte, verschwand ein Segelschiff für immer von der Oberfläche.
Noch heute liegen unzählige Wracks und Wrackreste, Schiffsladungen und alte Anker auf dem Puttgarden-Riff.
Auch weiterhin bleibt der sandige Untergrund stark veränderlich. Dies ist gut erkennbar an den Wracks des Granitseglers Arnold, des historischen Einmasters und des Steinseglers: Zeitweise ragen die Lastenkähne so frei aus dem Sandboden heraus, dass sogar die Kielbalken unter den Schiffen sichtbar und die Wracks innen wie ausgefegt sind. Einige Monate später sind die Holzschiffe manchmal unter den aufgespülten Sandmassen vollständig im Meeresboden verschwunden. Diese Situation haben wir zuletzt im Oktober 2022 erlebt, als auf den bekannten Wrackpositionen die Wassertiefe zwei Meter flacher war als gewöhnlich, und selbst hochragende Schiffsspanten und Maststümpfe nicht zu sehen waren.
Für Sporttaucher ist das Puttgarden-Riff vor Fehmarn ein interessantes Tauchgebiet, denn hier kommen mehrere besondere Faktoren zusammen:
- Durch die geringen Wassertiefen von vier bis sieben Meter sind die Tauchgänge sehr einfach. In den Sommermonaten kann man gut mit einem Nassanzug tauchen und benötigt nur ein kleines, handliches Tauchgerät. Zudem ist es in diesen Tiefen so hell, dass eine Tauchlampe überflüssig ist. Die Sichtweiten liegen durch den festen, hellen Sandboden meist bei fünf bis zehn Metern.
- An den Wracks herrscht ein ausgeprägtes maritimes Leben mit angesiedelten Krabben, Klippenbarschen, Plattfischen, Seesternen, Muscheln, verschiedenen Algenarten, gelegentlich Dorschen und im Frühjahr sogar einzelnen Seehasen. Oft begleiten neugierige Jungfischschwärme die Taucher während der gesamten Unterwasser-Erkundung.
- Die Wracks sind etwa 100 bis 200 Jahre alt. An einigen erkennt man noch heute historische schiffbauliche Gegenstände und Ladungsreste in alten Holzfässern.
- Das Puttgarden-Riff ist mit kleinen, trailerbaren Booten von der Bootsrampe am Puttgardener Strandweg in nur wenigen Minuten erreichbar. Die Wracks sind oft schon vom Boot aus erkennbar, sodass sie selbst ohne ein Echolot und nur mit GPS gefunden werden können.
Im aktuellen Buch »Wracktauchen – die schönsten Tauchplätze der Ostsee« (70 Ostseewrack-Beschreibungen von Flensburg bis Rügen, 256 Seiten mit diversen Farbfotos, Hardcover, Wetnotes-Verlag) hat das Puttgarden-Riff sogar einen eigenen Abschnitt erhalten, in dem die sieben interessantesten Wracks mit Zeichnungen, genauen Positionen, Fotos und Text beschrieben werden.
Auch das Archäologisches Landesamt Schleswig-Holstein ist auf die Besonderheit des Puttgarden-Riffs mit seinen zahlreichen historischen Schiffswracks aufmerksam geworden und hat dieses Seegebiet in die Rutilus-Liste aufgenommen. In dieser von Finnland entwickelten Aufstellung werden von allen Ostsee-Anrainerstaaten die jeweils zehn historisch bedeutendsten Gebiete aufgeführt – unter anderem ist auch das Wikingerdorf Haithabu eingetragen.
Das Puttgarden-Riff ist ein bisher noch wenig bekanntes Tauchrevier. Das mag daran liegen, dass von den zahlreichen Wracks dieses Seegebiets bis vor kurzem nur drei bekannt und in den amtlichen Seekarten als »unbekannte Objekte« eingetragen waren. Doch durch das vielfältige maritime Leben und die Menge an historischen und auf etwa sechs Quadratkilometern nahe zusammenliegenden Wracks ist das Puttgarden-Riff ein besonderer Tauchplatz, zu dem man hervorragend mit kleinen Booten fahren kann. Ortsansässige Tauchbasen bieten gelegentlich auch Sonderausfahrten zu dem Riff an.