TEXT – Barbara und Wolfgang Pölzer –
Dichtes Schneetreiben. Man sieht kaum die Hand vor Augen. Unaufhörlich fallen große, schwere Flocken vom Himmel, bleiben liegen, stapeln sich Schicht um Schicht und hüllen bald die ganze Landschaft in ein weißes Kleid.
Wir stapfen tapfer weiter, stemmen uns gegen den Wind, bleiben unserem Vordermann dicht auf den Fersen und hoffen, dass er die Orientierung nicht verliert. Dann endlich, dunkle Umrisse werden sichtbar, Stimmen sind zu hören – wir sind da.
Ein großes, dunkles Loch klafft vor uns auf. Nahezu perfekt dreieckig aus dem gut 30 Zentimeter dicken Eis geschnitten. Geschäftiges Treiben, schwere Ausrüstung wird herumgeschleppt, Flossen bereitgelegt, dicke Nylonseile mit Eisschrauben verankert.
Mit vereinten Kräften schälen wir uns in unser Equipment, schwere Karabiner fixieren die Leinen an unseren Jackets. Wir sind bereit. Die Gruppe lässt uns Fotografen den Vortritt, stellt sogar den Leinenmann – was für eine nette Geste. Ein letzter Blick nach oben. Zustimmendes OK-Zeichen – und endlich sind wir dem Schneetreiben entkommen!
Märchenhafte Szenerie
Unser Eisloch ist das Tor in eine andere Welt. Nur langsam gewöhnen sich unsere Augen an das Dämmerlicht. Dickes Eis und die dünne Neuschneedecke lassen vom eigentlich hellen Morgenlicht kaum etwas zu uns durch.
Langsam schweben wir weg vom grell erleuchteten Loch, beobachten unsere Luftblasen, die, unter der Eisdecke gefangen, riesigen Tropfen geschmolzenen Quecksilbers gleichen. Ein ständiges Spiel aus sich vereinigenden, platt gedrückten Blasen, das doch irgendwie Ruhe ausstrahlt.
Erst jetzt fällt uns die tolle Sichtweite auf. Zum Greifen nah erscheint der helle Seegrund etwa zehn Meter unter unseren Flossen. Auch das gut und gern doppelt so weit entfernte Ufer ist tadellos erkennbar. Wir bleiben knapp unter dem Eis und folgen dem langsam ansteigenden Bodengrund.
Immer näher kommen wir dem dichten Gewirr aus mikadoartig ineinander steckenden Baumstämmen. Eine gewaltige Lawine muss sie schon vor Jahrzehnten in den See gerissen haben. Ganz behutsam schweben wir knapp über dem versunkenen Wald und saugen die märchenhafte Szenerie in uns auf.
Da! Ein goldener Schimmer reflektiert plötzlich den Strahl unserer Tauchlampen. Weder ein Schatz, noch ein Kobold! Ein mittelgroßer Hecht hat sich in einer Astgabel zur Ruhe gebettet. Mit winzigen Flossenschlägen pirschen wir uns vorsichtig an, um den Schuppenträger nicht bei seiner Winterruhe zu stören.
Eine panikartige Flucht könnte zu viel Energie verbrauchen und ihn im schlimmsten Fall das Frühjahr nicht erleben lassen. Alles geht gut – zwei Fotos sind im Kasten, und wir wieder auf Sicherheitsabstand. Fast hätte das Seil nicht gereicht, denn unser verfügbarer Radius ist aus Sicherheitsgründen auf 30 Meter beschränkt.
Innerlich in der tollen Stimmung versunken, haben wir die Distanz zum Eisloch kaum bemerkt. Der Blick auf den Tauchcomputer holt uns in die Realität zurück. Nicht die Tiefe ist der limitierende Faktor beim Eistauchen, sondern die Zeit. Nach 40 Minuten fröstelt es einen auch im Trocki.
Wie ein Fjord
Also zurück durch unser Tor in die Überwasserwelt. Hier stellen wir fest, dass sich der Schneesturm verzogen hat. Beim Rückweg zur Tauchbasis wird uns wieder richtig warm. Trotzdem tun heißer Tee und Leckeres vom Grill jetzt sehr gut.
Mimi und Basti, die beiden jungen Basenbesitzer, verwöhnen ihre Gäste nicht nur an den Eistauch-Wochenenden. Sie machen auch sonst einen tollen Job, der ihre Vorbesitzer stolz machen würde. Eistauchen hat hier am Ostufer des Weissensees in Kärnten nämlich bald 20-jährige Tradition!
Professionelles Management, abwechslungsreiche Tauchspots unter den verschiedenen Eislöchern und natürlich die traumhafte Lage am Ende eines kaum besiedelten Tals. Der an einen norwegischen Fjord erinnernde, im Schnitt kaum 500 Meter breite, aber nahezu zwölf Kilometer lange See windet sich durch die malerische Bergwelt der Drautaler Alpen und läuft hier an seinem Ostende zur Hochform auf.
Natur pur, soweit das Auge reicht. Kein Wunder, dass die idyllische Landschaft um den knapp 100 Meter tiefen See schon seit langem zum Naturschutzgebiet erklärt worden ist. Höchstens ein paar heimische Schlittschuhläufer und Eisstockschützen bekommt man als Eistaucher zu sehen. Die eissichere Lage auf über 900 Meter Seehöhe tut ihr Übriges, um der Klimaerwärmung (hoffentlich) noch ein Weilchen zu trotzen.
Madonna unter Eis
Die Schneewolken verschwinden vollends, und nach dem Mittagessen strahlt die Sonne vom tiefblauen Himmel. Also nichts wie wieder rein in den Trocki, die frisch gefüllten Flaschen auf den Plastikschlitten gepackt, und los zu einem neuen Eisloch!
Wir beeilen uns und können tatsächlich noch die spotartig ins Wasser stechenden Sonnenstrahlen von unten bewundern. Eine völlig andere Stimmung als beim ersten Eistauchgang. Alles ist hell erleuchtet und vom flachen, gelblich wirkenden Seegrund reflektiert.
Hier sind deutlich weniger versunkene Bäume. Eine Unterwasserwelt wie eine Mondlandschaft mit irren Sichtweiten von weit über 20 Meter. Ebenso faszinierend wie vorhin, aber anders. Beim Versuch, auf keinen Fall Sediment aufzuwirbeln, kriechen wir mit aufgeblasenen Jackets fast wie Spiderman auf der Unterseite der Eisfläche – sicher nur deutlich plumper.
Wieder weg vom anstrengenden Flachwasser, erkunden wir noch den abfallenden Hang und statten der geweihten Madonnenstatue im Zehn-Meter-Bereich einen Besuch ab. Ein tolles Fotomotiv mit winzig erscheinendem Eisloch im Hintergrund!
Für einen Nichttaucher völlig unverständlich, steigen wir hochzufrieden, begeistert und mit einem Lächeln im Gesicht nach einer knappen Stunde aus dem Eiswasser.
Das Glück bleibt uns weiter hold, und so können wir sogar noch den frühen Sonnenuntergang im Liegestuhl vor der Tauchbasis mit einem wärmenden Becher Glühwein genießen. Ja, Eistauchen kann auch richtig gemütlich sein.
REISEINFOS: EISTAUCHEN im WEISSENSEE in ÖSTERREICH
Der Weissensee liegt im österreichischen Bundesland Kärnten. Er gliedert sich in drei Seebecken. Neben einem ganz flachen (fünf Meter) und einem mitteltiefen Becken (46 Meter) geht es erst in der Osthälfte bis zu 99 Meter runter.
Geologisch gesehen ist der Weissensee durch eine Gletscherausschürfung während der letzten Eiszeit entstanden. Namensgebend ist übrigens die weiße Seekreide: feinste Kalkpartikel, die sich an den Abbruchkanten und schmalen Flachwasserbereichen abgelagert haben.
Sie reflektieren das Sonnenlicht und führen zu ungewöhnlicher Helligkeit auch in größeren Tiefen. Durch das Fehlen größerer Zuflüsse wird der See vor allem durch unterirdische Quellen gespeist und hat Trinkwasserqualität.
Das im Sommer bis zu 25 Grad warme Gewässer begeistert dann neben seinen spektakulären Steilwänden vor allem durch zahlreiche versunkene Bäume und den großen Fischreichtum, vorwiegend Hechte, Barsche, Zander und Karpfen.
TAUCHBASIS:
Michaela Trum und Sebastian Feigl haben im Jahr 2018 die alteingesessene Tauchbasis von Jutta und Mario Hofer am Ostufer des Weissensees übernommen. Sie befindet sich in wunderschöner Lage direkt im neu und großzügig errichteten Gebäude des Strandbads Stockenboi. Natürlich ist sie nicht nur zum Eistauchen geöffnet, sondern auch von Mitte Mai bis Mitte September sowie auf Anfrage.
Ausbildung erfolgt nach SSI von OWD bis Divemaster. Highlight sind neben dem tollen Hausriff die Elektro-Bootsausfahrten zu den besten Tauchspots im Weissensee. Ein Eistauch-Wochenende kostet 359 Euro pro Taucher und 249 Euro für den Nichttaucher.
Das Wochenende inklusive SSI-Eistauchkurs beläuft sich auf 499 Euro. Neben dem Tauchprogramm werden Kanus und SUPs vermietet. So kann man den See in den Tauchpausen auf eigene Faust erkunden. Weitere Infos: Tel. +43 (0)676 6 51 71 78, www.diving-weissensee.at
EISTAUCH-WOCHENENDEN 2024:
Sechs Eistauch-Wochenenden stehen im kommenden Jahr auf dem Programm. Die Termine: 26. bis 28. Januar; 2. bis 4. Februar; 9. bis 11. Februar; 16. bis 18. Februar; 23. bis 25. Februar; 1. bis 3. März.
UNTERKUNFT:
Zum Eistauchen, aber auch im Sommer ist man bestens im nur wenige Autominuten entfernten Gasthof Pension Wassermann aufgehoben. Der ganzjährig geöffnete Familienbetrieb besticht mit hervorragender traditioneller Küche sowie mit »Urlaub am Bauernhof« und Streichelzoo für Kinder. Insgesamt stehen 60 Betten in 25 beheizten Zimmern mit Dusche und WC zur Verfügung. Optimal für Gruppen und im Winter zum Eistauchen!
Weitere Infos: Tel. +43 (0)4761 2 80,
www.wassermann.vacations