Text: Barbara und Wolfgang Poelzer
Der Sudan lässt Taucheraugen glänzen. Dort, wo einst Jacques-Yves Cousteau und Hans Hass Geschichte geschrieben haben, scheint die Zeit nahezu stehen geblieben. Die Royal Evolution hat als einziges Tauchsafarischiff die Lizenz, ihren Gästen Tauchgänge im Sudan grenzüberschreitend von Ägypten aus anzubieten.
Nach kurzem Transfer vom Flughafen Marsa Alam zur schmucken Marina Port Ghalib geht es los. Dort, wo auch all die anderen großen und teils luxuriösen Tauchsafarischiffe zu den bekannten Inseln und Riffen im Süden von Ägypten starten, legen wir ab. Doch es gibt einen kleinen Unterschied mit großer Wirkung: Wir befinden uns an Bord des einzigen Tauchsafarischiffs in Ägypten mit »IMO«-Nummer. Das bedeutet: Das Wasserfahrzeug entspricht den hohen Anforderungen der International Maritime Organization (IMO) als Passagierschiff. Hat somit die Lizenz, grenzüberschreitend zu operieren, wie uns Schiffseigner Yasser Elmoafi nicht ohne Stolz erklärt. Genau darauf hat der sympathische Ägypter und leidenschaftliche Taucher jahrelang hingearbeitet. Seine M/V Royal Evolution gemäß den gesetzlichen Bestimmungen exakt so gebaut, dass er offiziell den gesamten Sudan (weitere Berichte über Tauchen im Sudan) von Ägypten aus befahren und betauchen darf. Damit spart man sich als Gast nicht nur mühsame Einreisebestimmungen und Formalitäten, sondern auch einen Flug in Ägyptens südliches Nachbarland. Positiver Nebeneffekt des geräumigen Stahlschiffs mit all seinen nur erdenklichen Sicherheitsausstattungen: Fixe Stabilisatoren schaffen eine Top-Wasserlage und lassen so auch lange Strecken zur gemütlichen Reise über‘s Meer werden.
Der Weg ist das (Teil-)Ziel
Besonders lang sind die ersten Fahrstrecken der Royal Evolution nicht, denn nach einem Eingewöhnungstauchgang vor Abu Dabbab geht’s vorerst nur bis Elphinstone. Die fantastischen Steilwände und strömungsreichen Plateaus dieses der Küste rund neun Kilometer vorgelagerten Riffs haben nichts von ihrem Reiz verloren. Die fast regelmäßigen Zaungäste nahe der Wasseroberfläche haben es den meisten Tauchern jedoch deutlich mehr angetan. Zumindest ein Weißspitzen-Hochseehai – oft nur nach seinem wissenschaftlichen Artnamen »Longimanus« genannt – gibt uns die Ehre direkt unter dem Schiffsrumpf. Neugierig umkreist er die Royal Evolution mit seiner Gefolgschaft aus Pilotfischen. Bevor er nach einigen Minuten das Interesse verliert und im weiten Blau des Roten Meeres entschwindet. Auch für uns heißt es bald: »Leinen los und Meilen machen«. Auf dem Weg Richtung Sudan besuchen wir die St. Johns-Riffe mit ihren spektakulären Steilwänden voll bunter Weichkorallen. Barrakudas und Unmengen von Füsilieren mit hinter ihnen her jagenden Pferdemakrelen bei teils satter Strömung lassen Begeisterung aufkommen. Aber auch toll bewachsene Steinkorallengärten mit kleinen Türmen, bunten Überhängen, unzähligen Clownfischen in knallroten Anemonen und dichte Wolken von Anthias-Barschen vermitteln »Aquarium-Feeling« pur.
Ziel erreicht
Die Nacht über wird durchgefahren. Am folgenden Morgen geht es dann mit Rolle rückwärts am Elba-Riff ins Wasser. Satte zwei Grad wärmer ist das Wasser. Das große Elba-Riff-System besteht aus einer ganzen Reihe von Riffen und Untiefen im Grenzgebiet zwischen Ägypten und dem Sudan. Das Tolle daran: Als Gäste des einzigen Schiffs weit und breit können wir hier nach Herzenslust und natürlich Wetterbedingungen tauchen. Nachdem die M/V Royal Evolution den Sudan schon seit Dezember 2006 befährt, sind auch jede Menge Kenntnisse über das großflächige Tauchgebiet bei der Crew vorhanden. Der Morgentauchgang im Blauwasser vor dem Nordplateau beschert uns trotz fehlender Strömung eine kurze Begegnung mit einem Silberspitzenhai im 35-Meter-Bereich. Dem scheuen Hochseebewohner folgen eine Schule Barrakudas, flink umhersausende Regenbogenmakrelen sowie Schildkröte, Napoleon und Co. zurück zum wunderbar bewachsenen Riff. Die andere Tauchgruppe hat sogar einen juvenilen Walhai gesichtet.
Besuch bei einem 100-Jährigen
Der Wind steht günstig für die Royal Evolution. So können wir nach ausgiebigem Frühstück und kurzer Ruhepause wenige hundert Meter entfernt direkt vom Tauchdeck aus zu einem wenig betauchten Wrack absteigen. Der »SS Levanzo« kam hier vor mittlerweile genau 100 Jahren das Riff in die Quere. Glücklicherweise konnte die Mannschaft und ein Teil der Ladung des 113 Meter langen Cargoschiffs gerettet werden. Zwei Wochen später verschwand es für immer von der Wasseroberfläche. Heute liegt das Stahl-Dampfschiff mit dem Bug voran schräg nach unten auf der Steuerbordseite in seinem nassen Grab. Daher Schritt nach vorn. Luft raus. Und schon sinken wir auf das Heck der »Levanzo« zu, das mit seiner eindrucksvollen Schiffsschraube in 20 Meter Tiefe den höchsten Punkt markiert. Nach all den Jahrzehnten wunderschön bewachsen, schweben wir entlang des Rumpfs an dem künstlichen Riff weiter in die Tiefe. Genau in 40 Meter ist die Abbruchkante, wo der einstige Stahlkoloss in zwei Teile zerbrach. Schornstein, Reling, Bordwand – alles ist mit einer dicken Schicht aus Schwämmen, Kalkrotalgen, Muscheln und Weichkorallen überzogen. Trotz hervorragender Sichtweite lässt sich der Bug in rund 70 Meter Tiefe von hier aus nur erahnen.
Abwechslung unter der Royal Evolution
In etwas flacherem Bereich wagen wir einen Abstecher in einen der hinteren Laderäume. Fässer voll Salz und Kisten mit Chianti-Weinflaschen waren damals ein Teil der Ladung der »Levanzo« auf ihrem Weg vom italienischen Genua nach Durban in Südafrika. Leere Flaschen, Kisten und Fässer finden sich auch heute noch in großer Zahl tief im Schiffsbauch. Beim Blick nach draußen ziehen Schwärme von Doktorfischen und Makrelen vorüber. Und ein neugieriger Riffhai stattet uns sogar einen kleinen Besuch ab. Zurück an der bunt bewachsenen Schiffsschraube wird noch schnell ein Foto gemacht, bevor Luft und Nullzeit endgültig ausgereizt sind. Die kaum betauchte »Levanzo« ist wirklich ein Leckerbissen. Nicht nur für eingefleischte Wrackfans!
Tauchsafari mit Verwöhnfaktor
Schlag auf Schlag geht’s weiter. Der Nachmittagstauchgang über einem breiten Korallenplateau in 25 Meter Tiefe beschert uns einen gigantischen Barrakudaschwarm. Weit über tausend der silbrig-glitzernden Pfeilhechte locken uns ins Freiwasser hinaus, lassen uns in ihre Mitte und umkreisen uns. Umgeben von Fischleibern werden wir in den Schwarm integriert, genießen das Schauspiel und können uns gar nicht satt sehen. Einzig die Vernunft und der Blick auf den Tauchcomputer mahnen uns, die Wand aus Fischen zu durchbrechen und den Weg zurück Richtung Riff einzuschlagen.
Doch der Tag ist noch nicht zu Ende. Im Südosten des Elba-Riffs finden wir ein ruhiges Plätzchen, das sich hervorragend für einen Nachttauchgang eignet. Keine Strömung, klares Wasser und beim Auftauchen ein fantastischer Sternenhimmel. Dazwischen schlafende Papageifische in ihrem Kokon, drollig anzusehende Grundeln auf Peitschenkorallen und der wunderbare Auftritt einer leuchtend roten Spanischen Tänzerin. Ein weiterer Tag im Elba-Riffsystem lässt uns zwischen gigantischen Gorgonien, durch wunderbare Weichkorallenwälder und ein Labyrinth aus Canyons, Höhlen und Durchbrüchen schweben. Und zwischen den Tauchgängen lassen wir uns an Bord unseres schwimmenden Hotels von sage und schreibe drei Köchen mit immer neuen, frischen und stets schmackhaften Kreationen verwöhnen und genießen den Komfort und das großzügige Platzangebot auf den vier Schiffsebenen.
Nach knapp drei Tagen im Sudan steuert der Kapitän die Royal Evolution wieder über die Grenze in ägyptische Gewässer. Wetterbedingt müssen wir in Küstennähe bleiben, werden dafür aber am Ende der Tour mit Delfin-Schnorcheln belohnt.
Resümee: Eine einzigartige Möglichkeit, von Ägypten aus taucherisch den Sudan zu erkunden. Das Elba-Riff an der Grenze zwischen beiden Ländern macht Lust auf mehr Entdeckung. Die Zweiwochen-Tour (www.royalevolution.com), die noch weiter südlich in den Sudan führt, steht schon auf unserer Agenda.