Reise Reportage

Wo die grauen Riesen wohnen – Grauwale in Baja California

In Baja California gibt es besondere Momente zu erleben, die man nie wieder vergisst. Hautnahe Begegnungen mit Grauwalen sind in mehrfacher Hinsicht »berührend«.

Shutterstock (Titel)
David Serradell
The Malibu Artist

TEXT: Frank Buderus

Pachico Mayoral war dem Teufel begegnet. Auf seinem Boot an der Küste im mexikanischen Nirgendwo reckte dieser den Kopf aus dem Wasser, schien Gefallen an dem Fischer zu finden und begleitete seither das Leben des Don Pachico und seiner Familie. So erzählte es uns sein Sohn Jesus bei einem Glas Rotwein, und wir glaubten ihm.

Denn auch wir hatten gerade ein Treffen mit diesem Teufel hinter uns. Aber beginnen wir besser von vorne. Für uns vier Abenteurer ging es Anfang April zur Baja California, dem langen Finger, mit dem sich Mexiko ein Stück vom Pazifik abzweigt. In einer kleinen Cessna verließen wir das mondäne San José del Cabo im Süden der Halbinsel, flogen über Wüsten, Kakteenfelder und Berglandschaften in die grandiose Einsamkeit der Westküste.

Per Flugzeug geht es ins nahezu unbewohnte Gebiet der riesigen Lagune von San Ignacio. Vor der Lagune liegt der »Wal-Kreißsaal«

Unser Ziel war das Whale Watching-Camp von Baja Expedition an der Lagune von San Ignacio, denn dort liegen die Wintergründe der Pazifischen Grauwale. Im Camp erfahren wir, was uns die nächsten Tage erwartet – wenn wir viel Glück haben. Wie sehr Fortuna uns gewogen sein wird, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Pame und Ranulfo, unsere beiden mexikanischen Guides, erklären: »Die Wale sind noch da, draußen am Ausgang der Bucht zum offenen Pazifik – aber schon bereit für die lange Reise zurück ins arktische Sommerquartier. Nicht mehr lange, und sie sind weg.«

Völlig »natürlich« sind auch die Zeltunterkünfte mitten in der Wüste und nahe dem Meer (unten).

Erste Berührung

Der Tag ist noch jung, und wir machen uns – ausgestattet mit Windbreakern und Gummistiefeln – in kleinen Pangas auf den Weg quer durch die Bucht. Unser Kapitän ist konzentriert, hält Ausschau nach einer Fluke und dem typischen Blas, den die Tiere während des Auftauchens ausstoßen. Die See ist rau, eine frische Brise weht vom Pazifik herein und wirft Gischt längsseits ins Boot.

Es ist eine Suche, die uns durchaus Geduld und Seefestigkeit abverlangt. »Whale, whale … 2 o’clock … whale!« Nun sehen wir eine erste Fontäne. Wir rufen, wir gestikulieren, wir spritzen mit Wasser – wir tun alles, um aufzufallen. Und haben Erfolg damit. Eine Grauwal-Mutter und ihr Baby, vielleicht wenige Wochen alt, kommen an unser Boot. Das Kleine bis auf wenige Zentimeter. Ein-, zweimal streckt der Nachwuchs die Nase aus dem Wasser, beäugt uns neugierig und taucht wieder ab. Das alles unter den Augen der Mutter, die währenddessen am Boot verharrt.

Aus ehemaligen Fischern wurden Whale-Watching-Anbieter, die Touristen zu den Grauwalen bringen. Umweltschutz und Tourismus haben es geschafft, dass die Walpopulation wieder wächst.

Seemannsgarn vom Teufelsfisch

Zeit aufzubrechen, zurück zum Camp. Eine 40-minütige Fahrt mit Zeit, das Erlebte Revue passieren zu lassen. Später spinnen wir unter den Sternen Seemannsgarn. Doppelt so groß wie die Boote! Das Kleine nahm Blickkontakt mit mir auf! Die schiere Größe dieser sanften und intelligenten Tiere macht eine Begegnung mit ihnen so bewegend. Wir sind nicht die ersten, die sich zu wilden Geschichten hinreißen lassen. Als man Mitte des 19. Jahrhunderts die Wale in den Buchten der Baja California entdeckte, und die Gier des Menschen die Grauwale beinahe ausrottete, sprach man weniger friedvoll. Denn die Tiere kämpften um ihre Jungen und sich selbst – seither war es der berüchtigte Teufelsfisch.

»Die Tiere bestimmen den Kontakt«, so das Motto der Whale-Watching-Touren.

Mittendrin

Über Nacht hat sich der Wind gelegt. Die Bucht zeigt sich heute versöhnlich, und unter dem gläsernen Morgenhimmel machen wir uns wieder auf ins Beobachtungsgebiet. Nur etwa ein Drittel der Bucht dürfen die Menschen besuchen. Der Rest gehört den Grauwalen, um dort ungestört zu kalben und sich zu paaren. Plötzlich wirbeln die Ansagen durch die Luft: »Blow 11 o’clock, whale at 5 o’clock, whale there at 1 o’clock!« Tonnenschwere Körper schwimmen aus diversen Richtungen auf uns zu und tauchen unter dem Boot hindurch.

Darunter mehrere ausgewachsene Exemplare und zwei oder drei Jungtiere, die sich verspielt rollen und uns interessiert mustern.
Zum Verhaltenscodex der Expeditionen gehört, dass die Tiere den Kontakt bestimmen, nie der Mensch. An diesem Vormittag verlieren sie all ihre Scheu. Die Walbabys schwimmen von einem Besucher zum nächsten, lassen sich kurz streicheln, bespritzen uns mit ihrem Blas. Keiner bleibt trocken. Wir sind glücklich – und vermuten, dass es den Riesen auch so geht.

Don Pachicos Vermächtnis

Und nun sitzen wir hier und hören über Don Pachico und seine erste Begegnung, deren Sanftmut alles verändern sollte. Wie er weit draußen in der Bucht die Leinen auswarf, voller Hoffnung auf einen guten Fang. Wie einer der »Teufel der Meere« ihn und sein Boot bedrängte, nicht ablassen wollte. Und wie die Neugier endlich über die alte Furcht siegte, und er den Koloss berührte, kraulte, und der Wal nicht genug bekam. Niemand im Dorf wollte ihm glauben. Viele hielten ihn für verrückt. Aber andere erfuhren davon, sie kamen auf Schotterpisten durch die Wüste und begegneten mit Don Pachico den zärtlichen Giganten.

Es waren Wissenschaftler und Abenteurer wie Capt‘n Mike Lever von der Nautilus Fleet. Sie setzten sich fortan für den Schutz der Wale ein. 1988 wurde die San Ignacio Lagoon zusammen mit der Magdalena Bay als Schutzraum für die Grauwale eingerichtet. 20.000 Kalifornische Grauwale soll es heute wieder geben. Der Mensch ist ihr Gast. Und wird von ihnen reich beschenkt. Wir genießen ein letztes Glas Rotwein, lauschen noch eine Weile Jesus Erzählungen über das Gestern, die Familie und wofür die Bucht der sanften Riesen heute steht, über das, was er, sein Vater und all die Helfer erreicht haben. Eine berührende Geschichte über zwei erbitterte Feinde, die zu Freunden wurden.

Kontaktbedürfnis: Man kann von solchen Szenen halten, was man will. Ist der Moment da, kann sich kaum ein Gast zurückhalten. Die Tiere »spielen« mit.

Grauwale

Der Grauwal (Eschrichtius robustus) gehört zur Familie der Glattwale. Bei einer durchschnittlichen Länge von 13 bis 15 Metern und einem Gewicht von etwa 30 bis 40 Tonnen zählen sie zu den größten Walen. Grauwale haben eine charakteristische graue Farbe, die ihnen ihren deutschen Namen gibt. Die Wale leben in den nördlichen Gewässern des Pazifiks und unternehmen jährliche Wanderungen von nahrungsreichen Sommergebieten in den Arktischen Gewässern in Überwinterungsgebiete in die Baja California in Mexiko. Dabei legen sie Strecken von bis zu 20.000 Kilometern zurück, was zu den längsten Migrationsrouten aller Säugetiere gehört. Diese Wanderung spielt u.a. eine Schlüsselrolle im maritimen Ökosystem, da die Tiere so zur Nährstoffverteilung beitragen. Ihre Nahrung besteht v.a. aus Krebstierchen wie Krill und Amphipoden. Mit ihren bürstenartigen Barten filtern sie diese aus dem Wasser. Grauwale zählen zu den Akrobaten und Sängern unter den Walen: Sie springen und schlagen mit ihren Flossen auf das Wasser und »unterhalten« sich mittels minutenlanger Gesänge. Dank internationaler Schutzmaßnahmen hat sich ihre Population, die kurz vor der Ausrottung stand, in den letzten Jahrzehnten erholt

REISEINFO

Die Lagune von San Ignacio in der mexikanischen Baja California ist eines der letzten zwei geschützten Rückzugsgebiete für Grauwale. Hier bringt die Nordpazifische Population, die letzten ihrer Art weltweit, ihre Jungen zur Welt und »sorgt für zukünftige Babys«. Es heißt, alle jüngeren Grauwale sind Mexikaner.
Anreise: Mit KLM, AA oder UA über Mexico City oder USA nach San José del Cabo. Flugzeit ab 15 Stunden. Weiter mit privatem Charterflug (wird vom Veranstalter organisiert) nach San Ignacio. Flugzeit knapp drei Stunden. Achtung: Eine Übernachtung in San José ist nötig.
Saison: Januar bis April
Preise: Vier Tage Glamping inklusive Charterflug ab/bis San José, Verpflegung, GrauwalTouren ab 2400 Euro pro Person (abhängig von Wechselkursschwankungen).
Empfehlung: mit Socorro-Tauchsafari auf der Nautilus Fleet kombinieren.
Infos & Buchung:
Scuba Native Tauchreisen, [email protected], scuba-native.de
Tel.: 09281-8601862