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NEMO im Klimastress – wie Anemonenfische unter bleichen Wirten leiden

Geht es dem Wirt schlecht, so leidet auch sein Gast. Wie wichtig die Gesundheit unserer Korallengärten für deren Bewohner ist, zeigt sich unter anderem am Beispiel der Seeanemone und des Anemonenfischs.

TEXT & FOTOS Thomas Kuhn

Anemonenfische bilden eine symbiotische Beziehung mit Seeanemonen und verbringen den größten Teil ihres Lebens in enger Verbindung mit ihrer Wirtsanemone. 29 Arten sind bekannt. Anemonenfische sind auf den Schutz der nässelnden, giftigen Seeanemonen angewiesen, um sich vor Räubern zu schützen, insbesondere im Jugendstadium. Gegen das Nesselgift sind sie immun. Sie bedecken sich mit einem Schleim, der von der Anemone abgegeben wird.

Als schlechter Schwimmer hat der Anemonenfisch hier Schutz vor Fressfeinden. Aber auch die Seeanemone zieht einen Vorteil aus dieser Partnerschaft: Die Anemonenfische sind ausgezeichnete Wächter und halten die Fressfeinde der Anemone ab und schützen die Anemone vor Parasiten.

Seltene grüne Farbvariante der Blasenanemone (Entacmaea quadricolor) – ein Generalist, der mit elf verschiedenen Anemonenfisch-Arten zusammenleben kann.

Seeanemonen

Seeanemonen gehören wie die Steinkorallen zu den sechsstrahligen Blumentieren (Hexakorallen). Es gibt über 1200 Arten. Sie sind Polypen, die vom Körperbau Ähnlichkeit mit den Steinkorallen-Polypen aufweisen. Allerdings ziehen Steinkorallen ihr Polypen-Gewebe in ein festes Kalkskelett zurück.

Dagegen verzichten Seeanemonen auf diesen Schutz. Neben dem Planktonfang haben einige Seeanemonen, wie viele Steinkorallen-Arten auch, eine weitere Ernährungsweise entwickelt: eine Symbiose mit kleinen einzelligen Algen, sogenannten Zooxanthellen. Diese geben den Seeanemonen ihre individuelle Färbung.

Diese Symbiosealgen (Pflanzen!) verbrauchen Kohlendioxid, bauen Zucker auf und geben Sauerstoff ab. Die Polypen (Tiere!) verbrauchen Sauerstoff und Zucker und geben Kohlendioxid ab – eine Kreislaufwirtschaft zwischen Pflanze und Tier, von der beide Seiten profitieren.

Anemonenfische und Seeanemonen

Anemonenfische gehen mit zehn verschiedenen Seeanemonen-Arten eine Symbiose ein. Sie können im Allgemeinen nicht ohne Seeanemonen in freier Wildbahn überleben. Die Wirtsspezifität variiert zwischen den Anemonenfischen, wobei es Generalisten gibt, die mit mehreren Seeanemonen-Arten assoziieren und andere, die das nur mit einer einzelnen Wirtsanemone tun.

Korallenbleiche und Seeanemonenbleiche

Das Bleichen von Korallen ist eine allgemeine Stressreaktion, die durch eine Erhöhung der Meerestemperatur ausgelöst wird und eine Reihe von Organismen am Korallenriff betrifft – unter anderem Korallen, Seeanemonen und Muscheln. Das Bleichen der Seeanemonen bewirkt, ähnlich wie bei den Steinkorallen, die Einstellung der Symbiose zwischen dem tierischen Wirt, der Seeanemone, und seinen einzelligen Algensymbionten.

Die Temperatur-Erhöhung bewirkt, dass die Symbiosealgen Giftstoffe ausscheiden, und der Polyp die Algen ausstößt. Das Ergebnis ist eine blasse oder völlig weiße Seeanemone. Der Zusammenbruch dieser Beziehung hat Auswirkungen auf die Gesundheit des Wirts, da die Algen für die Photosynthese verantwortlich sind, die zur Deckung einer Reihe von Stoffwechselbedürfnissen dient.

Wenn diese Stressoren extrem sind oder über einen längeren Zeitraum andauern, stirbt die Seeanemone ab. Wenn die Erwärmung jedoch weniger schwerwiegend ist oder nur für einen kürzeren Zeitraum besteht, kann die Seeanemone vorübergehend bleichen, am Leben bleiben und eine gesunde Symbiosealgen-Population wiedererlangen.

Anemonenfische unter Stress

Anemonenfische können durch ihren Geruchssinn zwischen ungebleichten und gebleichten Wirts-Seeanemonen unterscheiden. Werden gebleichte Wirts-Seeanemonen von Anemonenfischen ausgewählt, liegt es daran, dass keine spezifischen ungebleichten Exemplare zur Verfügung stehen.

Der Bedarf an artspezifischen Wirten während der Besiedlung ist somit stärker als die Gesundheit des Lebensraums. Während des Erwärmungsereignisses erfahren Anemonenfische in gebleichten Seeanemonen einen erheblichen Anstieg ihres Plasma-Cortisolspiegels (ein Stresshormon). Anemonenfische, die in gebleichten Anemonen leben, sind somit chronisch gestresst!

Die Stress-Achse zielt darauf ab, die Stabilität (Homöostase) trotz sich ändernder Bedingungen aufrechtzuerhalten, sodass wiederkehrende Erhöhungen zu einer chronisch erhöhten Stress-Achse führen, die das Überleben, allerdings auf Kosten der Fortpflanzung, fördern. Die Ansiedlung auf einem Bleichwirt hat also direkte Auswirkungen auf den zukünftigen Fortpflanzungserfolg des Anemonenfischs.

In Studien, die 2017 in Französisch-Polynesien durchgeführt wurden, konnte man folgende Einbußen in der Fortpflanzung der Anemonenfische feststellen: Die Anemonenfische, die mit gebleichten Wirten assoziiert sind, laichen etwa 50 Prozent weniger häufig, legen 65 Prozent weniger Eier, zeigen eine um 40 Prozent höhere Eizellensterblichkeit und produzieren somit 75 Prozent weniger lebensfähige Eier als vor der Bleichperiode.

Minder getarnt: ein Halsband- Anemonenfisch (Amphiprion perideraion) in einer gebleichten Seeanemone.

Solche physiologischen Reaktionen auf das Bleichen spiegeln sich auch in der Stoffwechselrate wieder. In diesem Zusammenhang ergeben sich weitere Lebensverschlechterungen für die Anemonenfische:

• Anemonenfische, die mit gebleichten Seeanemonen assoziiert sind, haben einen energetischen Nachteil und weisen um 70 Prozent niedrigere Wachstumsraten auf.
• Verlust der Tarnung: Anemonenfische sind vor dem weißen Hintergrund einer gebleichten Seeanemone auffälliger, was zu einer erhöhten Gefahr gegenüber Räu­bern führt.
• Die Seeanemonen schrumpfen während des Bleichereignisses. Der damit verbundene verkleinerte Schutzraum sowie eine verringerte Neurotoxizität (also die Eigenschaft einer Substanz, schädigend auf Nervengewebe zu wirken) des Nesselgifts erhöhen ebenfalls das Risiko, von Räubern gefressen zu werden.
• Durch eine weitere Erhöhung des Kohlendioxidgehalts (Versauerung der Ozeane) wird ein weiterer zusätzlicher Stressor hinzugefügt.

Akklimatisierung

Da sich die vom Menschen verursachten Stressfaktoren sowie die Änderung der Umwelt- und Klimabedingungen in den kommenden Jahrzehnten voraussichtlich vervielfachen werden, bleibt zu hoffen, dass sich die Populationen in ihrer Physiologie und ihrem Verhalten schnell genug anpassen können. Korallenriff-Fische zeigen sowohl bei der Stoffwechselrate als auch bei der Fortpflanzung bei moderat erhöhten Temperaturen eine akklimatisierte und generationsübergreifende Anpassung an sich verändernde Umweltfaktoren. 

QUELLEN:

Aus folgenden beiden Studien wurden ausgewählte Fakten entnommen:
• Cascading effects of thermally-induced anemone bleaching on associated anemonefish hormonal stress response and reproduction. Ricardo Beldade, Agathe Blandin, Rory O’Donnell & Suzanne C. Mills. Published: Nature Communications volume 8, Article number: 716 (2017)
• Anemone bleaching increases the metabolic demands of symbiont anemonefish. Tommy Norin,Suzanne C. Mills, Amélie Crespel , Daphne Cortese , Shaun S. Killen and Ricardo Beldade – Published:11 April 2018 by the Royal Society (Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences).