Reportage Wissen

»Mount Everest« unter der Erde – Höhlentauchexpedition in Nordspanien

Die Pozo Azul im Norden Spaniens zählt zu den weltweit größten Herausforderungen für Höhlentaucher. 2022 Jahr hat der Extremtaucher Pedro Balordi versucht, weiter in die Höhle vorzudringen als je ein Taucher vor ihm – und scheiterte nur knapp.

Peter Goossens
Pedro Balordi

TEXT: Jolanda Spronck
(Dieser Artikel erschien in der TAUCHEN-Ausgabe 04/23.)

Erstmals stieß Pedro Balordi 2017 tief in die Pozo Azul-Höhle vor. Damals, als René Houben im sechsten Siphon 200 Meter weit und 40 Meter tief tauchte. Eine weitere Exploration erwies sich mit der damaligen Ausrüstung als allzu gewagt.
2022 sahen die Voraussetzungen besser aus: Pedro Balordi und Günter Faul konnten auf modernstes Equipment zurückgreifen. Ihre Unterwasser-Scooter sind kleiner und leichter, ihre Reichweite größer. Außerdem sind sie schneller – was den Vorteil mit sich bringt, dass es die Tauchzeiten erheblich verkürzt.

Umfangreiche Vorbereitungen: Pedro Balordi präpariert Reels und Führungsleinen. Versehen mit Richtungspfeilen, sind diese für Höhlentaucher eine Nabelschnur zur Außenwelt und eine wirksame Vorbeugung gegen Orientierungsverlust.

Enorme Risiken

Im August 2022 ist es soweit. Kurz vor der Abreise nach Spanien erreicht das Team aber eine Hiobsbotschaft. Günther leidet unter einer ernsthaften Corona-Infektion. Sein Tauchpartner Pedro muss seine Pläne überdenken. Wird er allein tauchen? Er war schon einmal im hinteren Teil dieser Höhle – aber nicht allein.
Einen Tag vor der geplanten Abreise beschließt er, das Wagnis einzugehen. Die lange Vorbereitung soll nicht umsonst gewesen sein. Vor Ort wird er von einer internationalen Gruppe von drei Niederländern, mehreren Deutschen, einem Österreicher und einem Belgier unterstützt.

Diese erfahrene Truppe hilft dem Explorationstaucher dabei, seine schwere Ausrüstung zum Eingangsbecken zu tragen, taucht durch den ersten Siphon und schleppt das Equipment durch die Burbuja-Galerie. Vor Ort beschließt einer dieser Unterstützungstaucher, auch den zweiten Siphon mit Pedro zu durchtauchen. An dessen Ende kann er ihm helfen, die 390 Kilo schwere Ausrüstung durch den Trockenraum namens »Tipperary« zu tragen.

Größtenteils wird das Equipment in sogenannten Drytubes verstaut – hohle Röhren, in denen Dinge wie Biwak- und Notfallausrüstung, Ersatzteile und Lebensmittel für zwei Wochen trocken durch die Siphons transportiert werden können. Der Taucher zieht diese Trockenröhren beim Tauchen hinter sich her. Sie sind so konstruiert, dass sie dem Wasserdruck standhalten und neutral im Wasser schweben.

Im Vorfeld hat sich das Team regelmäßig über die Risiken dieses extrem langen Tauchgangs ausgetauscht – schließlich geht es hier um einen Weltrekord. Für Pedro besteht das größte Risiko nicht im Betauchen der zwei extrem langen Siphons, einer 5160, der andere 3275 Meter lang. Die Razor-Passage nach diesen langen Siphons macht ihm mehr Sorgen.

Dabei handelt es sich um eine enge Passage mit schnell fließendem Wasser, die man mal hoch über dem Wasser, mal am Boden durch das Wasser durchqueren muss. Da bislang nur wenige Menschen hier gewesen sind (bislang sind mehr Menschen auf dem Mond gelandet als durch die Razor Passage geklettert), gibt es viele hervorstehende Kanten, die messerscharf sind und leicht abbrechen.

Noch mal kurz das Sonnenlicht genießen: Pedro Balordi im Quelltopf am Höhleneingang. Im Inneren des Berges werden scheinbar endlose Unterwasser-Tunnel nur durch kurze »trockene« Abschnitte unterbrochen. Der längste bekannte Siphon ist über fünf Kilometer lang (siehe Skizze oben).

Ein realistisches Szenario: Die Taucher klettern mehrere Meter über dem Wasser, setzen ihren Fuß auf eine Kante – worauf diese abbricht, und der »Eindringling« mitsamt seiner schweren Ausrüstung in das zehn Grad kalte Wasser fällt. Auch dann, wenn er sich dabei nicht irgendwelche Knochen bricht, können die Folgen dramatisch sein. Und es steht keineswegs fest, dass man dann überhaupt noch aus dem Wasser kommt.

Selbst wenn das gelingt und das Biwak erreicht wird, müsste der Verletzte dort tagelang warten. Schließlich wird der Taucher erst nach fünf Tagen wieder draußen erwartet. Was bedeutet, dass ein Alarm erst dann ausgelöst wird, wenn der Taucher am fünften Tag nicht nach draußen gekommen ist.
Gut möglich aber, dass es der Verunglückte nicht aus der Höhle hinaus schafft.

Ein Wechselbad der Gefühle: Dem kristallklaren, sonnendurchfluteten Quelltopf am Eingang der Höhle folgen die langen, dunklen Tunneletappen unter Wasser und teils waghalsige Klettereien an den Überwasser-Abschnitten.

Wie realistisch wäre dann eine Rettung aus dieser Entfernung? Nur die früheren Explorationstaucher würden da in Frage kommen. Sie müssten zuerst nach Spanien reisen, um dann nach tagelangen Vorbereitung tauchen zu können.
Ergo: Pedro rechnet damit, dass es nach einer Alarmierung am fünften Tag mindestens weitere sechs bis acht Tage dauern würde, bis jemand zu ihm vordringen könnte. Die Chancen, dass er diese Zeit überlebt, sind gering – mit Verletzungen, mehr als zehn Kilometer vom Eingang entfernt, in Dunkelheit, Kälte und Nässe.

Massive Probleme – schon beim Supporttaucher

Schon beim Rücktauchgang des Supporttauchers wird schnell klar, wie viel bei diesem Unternehmen schief gehen kann. Auf dem Weg zurück tut sich ein Problem nach dem anderen auf: Die UW-Scooter fallen einer nach dem anderen aus. Nach einem Neustart funktionieren sie kurz, dann tritt die nächste Störung auf. Das Ganze führt dazu, dass der Supporttaucher immer schneller atmet, was zu einer Fehlfunktion seines Kreislaufgeräts führt.

Dekompression

Die Dekompression erfolgte teilweise an einem sogenannten Habitat. Dabei handelt es sich um einen umgedrehten Behälter, der mit Luft gefüllt werden kann, so dass ein Taucher seinen Dekostopp teilweise außerhalb des Wassers absolvieren kann. Dies ist besonders wichtig, wenn Probleme aufgetreten sind, beispielsweise ein undichter Trockentauchanzug. Der Umstand, dass der Taucher dann zumindest teilweise aus dem zehn Grad kalten Wasser ragt, kann einen großen Unterschied machen. Zudem kann sich der Taucher auf diese Weise auch besser mit einem Hilfstaucher verständigen und etwas zu essen und zu trinken bekommen.

Also muss sich der Supporttaucher erstmal beruhigen. Er benutzt jetzt seinen kleinen Ersatzscooter – weiß aber, dass er ihn sehr sparsam einsetzen muss. Schließlich dient dieser Scooter auch als Batterie für seine Anzugheizung. Und da er in seinem Trockentauchanzug schon längst nicht mehr trocken ist, braucht er die Heizung während des langen Dekompressionsstopps. Sein Tauchgang zurück dauert fast zwei Stunden länger als der Hinweg. Aber er schafft es!

Am Anfang hat Pedro Balordi noch Unterstützung: Ein Team erfahrener Höhlentaucher begleitet ihn durch den ersten Siphon und schleppt das Equipment durch den Trockenabschnitt der Burbuja-Galerie. Im zweiten Siphon ist nur noch ein Unterstützungstaucher dabei – danach ist Pedro Balordi auf sich allein gestellt.

Das Aus – wegen eines kleinen Defekts

Draußen wartet das ganze Team jetzt auf Pedro, der erst in vier Tagen zurück erwartet wird. Bis dahin ist keine Kommunikation möglich. Nachdem der Supporttaucher den Rückweg angetreten hat, kann Pedro den mehr als drei Kilometer langen dritten Siphon problemlos durchtauchen. Anschließend biwakiert er am Anfang der gefährlichen Razor-Passage.

Dort bereitet er sich auf den weiteren Verlauf der Exploration vor. Dafür hat er einen kompakten »Chest mounted Rebreather« mitgebracht und prüft die Elektronik, um zu sehen, ob alles noch in Ordnung ist. Dieses Kreislaufgerät möchte er für die weitere Erkundung verwenden, da es kleiner und leichter ist als ein konventioneller »Back mounted rebreather«. Außerdem zieht Pedro einen Fünf-Millimeter-Neoprenanzug an – ein Riss im Trockentauchanzug wäre verhängnisvoll. Zunächst geht alles gut: Nachdem er viermal äußerst vorsichtig durch die Razor-Passage geklettert ist, hat er seine Tauchausrüstung erfolgreich zum Start von Siphon 4 gebracht.

Dann holt er den Chest-Rebreather aus der Tasche. Und spürt, dass etwas nicht stimmt. Das Gerät ist viel zu schwer. Das elektronische Display funktioniert nicht. Aber Pedro hat noch Hoffnung und taucht einen Meter tief ins Wasser. Statt Luft kommt Wasser aus dem Kreislaufgerät.

Eine mögliche Erklärung: Beim Transport durch die Razor-Passage wurde vermutlich das Ventil gedrückt, so dass Wasser eindringen konnte. Die Elektronik funktioniert nicht mehr, das Kreislaufgerät ist unbrauchbar.
Die ganze Vorbereitung. All die harte Arbeit. Die Strapazen der über zehn Kilometer langen Penetration. In diesem Moment wird Pedro klar, dass das alles vergeblich war – wegen eines kleinen, aber entscheidenden technischen Defekts. Also kehrt Pedro in sein Biwak zurück. Am folgenden Tag taucht er nach draußen. Schwer enttäuscht, aber um eine Erfahrung reicher. Die könnte sich beim nächsten Versuch auszahlen. 

Die taucherischen Schwierigkeiten beim Passieren der langen Siphons bilden bei solchen Explorations-Tauchgängen eine riesige Herausforderung – aber beileibe nicht die einzige. Ausgedehnte Erkundungen, wie die in der Pozo Azul, machen ein Biwakieren im Höhleninneren unumgänglich. Die umfangreiche Ausrüstung beinhaltet neben dem Tauchequipment unter anderem Biwak- und Notfallausrüstung, Ersatzteile und Lebensmittel für zwei Wochen.

Die Höhle

Die Pozo Azul ist eine der längsten bekannten, größtenteils mit Wasser gefüllten Höhlen. Sie befindet sich im nordspanischen Bezirk Burgos. Im Quelltopf entspringt ein kleiner Fluss, der nach kurzem Lauf in den Río
Rudrón mündet. Im Höhleninneren wechseln sich mehrere Siphons (der längste ist über fünf Kilometer lang) mit kurzen Überwasserpassagen ab. Bislang gelang es nur zwei Tauchern, in den sechsten Siphon vorzudringen.
Im September 2023 gelang es einem englisch-niederländischen Explorationsteam um den Höhlentaucher Jason Mallinson weiter in das Höhlensystem vorzudringen, als jemals irgendein Mensch vor ihnen. Sie legten eine Tauchstrecke von 8825 Metern zurück und gelangten 9195 Meter (inklusive der trockenen Sektionen) weit in die Höhle hinein. Diese Expedition hat ebenfalls noch nicht das Ende des Höhlensystems Pozo Azul entdeckt, konnte jedoch den Weltrekord für die längste kummulierte Tauchstrecke innerhalb einer Höhle für sich verbuchen.
Weitere Infos:
www.pozoazul-cavediving.org