TEXT: Franco Banfi
Überall Seelilien! Das gehörte zu den ersten Dingen, die mir bei meinen Tauchgängen in Papua-Neuguinea und insbesondere in den Riffen um Walindi auffielen. Unmengen dieser Tiere, die großen Blumen mit gelben, roten, schwarzen oder gestreiften Blütenkronen ähneln, im Riff verstreut oder an Hartkorallen, Schwämmen und Gorgonien.
Ich beobachtete sie und begann, sie zu fotografieren, fasziniert von einer neuen Farbe oder einer bestimmten Position. Meine Neugierde veranlasste mich, sie genauer zu studieren und die Fortsätze zu untersuchen, mit denen sie sich am Meeresboden festhalten. Beim genauen Hinsehen entdeckte ich eine andere Welt von kleinen Tieren wie Garnelen, Krabben und kleinen Fischen, die im Inneren der Seelilien leben. Diese Gäste sind so klein und tarnen sich so geschickt, dass man sie nur durch langes, aufmerksames Beobachten erkennen kann.
Notfalls Arm ab
Seelilien gehören zum Stamm der Stachelhäuter. Diese große Gruppe ist in zwei Unterklassen unterteilt, die zwar eine ähnliche Anatomie haben, aber biologisch völlig unterschiedlich sind: die Seelilien und die Federsterne. Die Seelilien sind im Wesentlichen Tiefseeformen, die überwiegend in Tiefen von 500 bis 8000 Metern leben.
Anders die Federsterne. Sie leben in Tiefen, die für Sporttaucher besser zugänglich sind. Federsterne hängen an Korallen, Fächern und Schwämmen, die der Strömung ausgesetzt sind, und strecken ihre langen Arme aus, um die mit dem Wasser treibende Nahrung zu fangen.
Wie alle Mitglieder der Familie der Stachelhäuter haben Seelilien eine radiale Symmetrie mit vielen Armen, die von der zentralen Scheibe abzweigen.
Vergleicht man sie mit Seesternen, Seegurken, Seeigeln und Schlangensternen, die alle zum gleichen Stamm gehören, wird ein wesentlicher Unterschied deutlich: ihre Art der Ernährung. Seelilien filtern das Wasser, während die anderen sich vom Meeresboden ernähren.
Die Anzahl der Arme, die zwischen fünf und 200 liegt, variiert je nach Art. Die am häufigsten in den Riffen anzutreffenden Arten haben zwischen zehn und 40 Arme. Auch die Seelilien können, um den wenigen Fressfeinden zu entkommen, einige der Arme verlieren, mit denen sie sich auf dem Wasser bewegen.
Dieses Verhalten ist bei den Stachelhäutern weit verbreitet: Auch Seesterne nutzen diese Technik sehr häufig. Ein Federstern kann vier seiner fünf »Basis-Arme« verlieren, und um die anatomischen Teile zu reproduzieren, benötigt das Tier weniger als 20 Tage. Jeder Arm hat kleine Wimpern, die dem Tier ein federartiges Aussehen verleihen. Die Flimmerhärchen sind mit einer klebrigen Substanz überzogen, die dem Tier hilft, Plankton oder ähnliche Nahrung zu fangen, die dann zum Maul transportiert wird.
Als Delikatesse ungeeignet
Der dichte Riffwald, der von den Armen der Seelilien gebildet wird, bietet anderen kleinen Tieren Unterschlupf: Kleine Krabben, Krebse und Fische fühlen sich zu Recht sicher, denn die Seelilien sind eine der wenigen Tierarten, die keine Fressfeinde haben. Der Grund: Ihr Geschmack scheint so schlecht zu sein, dass die meisten Raubtiere, die sie ins Visier nehmen, sie angewidert wieder ausspucken. Es gibt also nicht viele Angriffe auf Seelilien – und wenn doch, dann beschränkt sich das Resultat meist auf einen abgetrennten Arm, der sich schnell regeneriert.
Und doch gibt es einige Fische, die sich von Seelilien ernähren. In ihren Mägen wurden zumindest Reste von Seelilien gefunden. Dazu gehören einige Lippfische, Schmetterlingsfische und Kugelfische. Aber der Drückerfisch (Balistoides conspicillum) ist wohl der ambitionierteste Seelilien-Jäger.
Der Körper der Seelilien besteht aus einem Kalkskelett, das von einer dünnen Gewebeschicht bedeckt ist. Auch das trägt wohl dazu bei, dass sie relativ selten als Mahlzeit enden. Das Nachtleben der Seelilien wird ebenso als Schutz vor Fressfeinden angesehen. Zudem gibt es nachts mehr Nahrung: Zooplankton steigt an die Wasseroberfläche und bildet einen gedeckten Tisch. Die kleinen Kreaturen, die in den Seelilien leben, nutzen die Gelegenheit, um sich in ihren Armen in Sicherheit zu bringen. Auf den ersten Blick sind diese Tiere schwer zu erkennen, weil sie so klein sind und sich perfekt in die -Farben der Seelilien einfügen.
Untermieter
So lebt beispielsweise der kleine Schmuck-Geisterpfeifenfisch (Solenostomus paradoxus) in völliger Ruhe in einer Seelilie, weil er die gleichen Farben (rot, weiß und schwarz) sowie die gleichen Muster hat. Der Haarstern-Schildbauch (Discotrema chrinophila), der nur zwei bis drei Zentimeter lang ist, benutzt einen Saugnapf unter seinem Bauch, um sich an den Armen des Zentralkörpers der Seelilie festzuhalten.
Garnelen wie die Periclemenes djiboutensis und die Periclemenes tenuis nehmen Nahrung auf, die die Arme der Seelilie durch die Ranken zu ihrem Mund transportieren. Diese kleinen Gäste müssen also nur warten und die Nahrung abfangen, bevor die Seelilie sie verschluckt. Dieser »Mundraub« hat keinen großen Einfluss auf die Essgewohnheiten der Seelilie. Wenn sie nicht genug zu fressen bekommt, geht sie einfach an eine bessere Stelle, wo sie mehr Organismen fangen kann.
Mit etwas Glück kann man sie anmutig zu einem neuen Ankerplatz schwimmen sehen. Einmal tauchte ich in der Nähe einer Gruppe von Seelilien, und ich spürte, wie sie mein Bein und meinen Arm ergriffen. Sie müssen mich wohl mit einem Schwamm oder einem Gorgonienfächer verwechselt haben. In Papua-Neuguinea ist ein solches Ereignis nicht selten. Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie viele Seelilien es dort gibt.
Systematik
Abteilung: Gewebetiere (Eumetazoa)
Unterabteilung: Zweiseitentiere (Bilateria)
Überstamm: Neumünder (Deuterostomia)
Stamm: Stachelhäuter (Echinodermata)
Unterstamm: Pelmatozoen (Pelmatozoa)
Klasse: Seelilien und Haarsterne (Crinoidea)