TEXT: Prof. Dr. med. Claus-Martin Muth & PD Dr. med. Tim Piepho
Dass die mit dem Abtauchen verbundenen Änderungen des Umgebungsdrucks einen unmittelbaren Einfluss auf das Ohr haben, ist bekannt. Betroffen sind hier zunächst die Trommelfelle sowie die dahinter liegenden Paukenhöhlen, sodass ein Druckausgleich notwendig ist, um ein Barotrauma zu verhüten.
Zudem grenzt jeweils an die Paukenhöhle das Innenohr mit der Hörschnecke und den Bogengängen, die das Gleichgewichtsorgan sind. Dieses besteht aus drei gebogenen, mit Flüssigkeit gefüllten Schläuchen, die in den drei Ebenen des Raums angeordnet sind.
Das Gleichgewichtsorgan reagiert auf Beschleunigung bzw. Abbremsung und Drehbewegungen des Kopfs, damit bei Körper- und Kopfbewegungen das Sehfeld stabilisiert wird, und das Gleichgewicht gehalten werden kann.
Diese Informationen werden an das Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet. Dazu kommen noch weitere Informationen von zusätzlichen »Messfühlern«, zum Beispiel in den Muskeln, Sehnen und Gelenken, die Auskunft über die Stellung des jeweiligen Gelenks zum Körper geben. Zusätzlich liefert der Tastsinn Informationen.
Auch die Augen, die die übermittelten Informationen kontrollieren, spielen eine wichtige Rolle. Alles zusammen bildet den Gleichgewichtssinn, und eine Störung oder Fehlinformation einer oder mehrerer dieser Faktoren führt zum Schwindel!
Beim Tauchen führen verschiedene Ursachen zu einem Schwindelgefühl, wobei man zwischen einem kurzen vorübergehenden Schwindel und einem bleibenden Schwindelgefühl unterscheiden muss, weil letzteres immer eine sofortige medizinische Behandlung erfordert.
Häufige Ursachen für ein kurzes vorübergehendes Schwindelgefühl sind beispielsweise plötzliche Temperaturänderungen im Mittelohr auf nur einer Seite, zum Beispiel durch kaltes Wasser in nur einem Gehörgang. Ursache ist die räumliche Nähe der Bogengänge zum Mittelohr und die bei plötzlicher Temperaturänderung stattfindende Reizung. Durch Erwärmung des eingeströmten Wassers verschwinden die Symptome rasch.
Auch Druckunterschiede zwischen den beiden Mittelohren können einen Drehschwindel auslösen. Ursache ist meist ein einseitig verzögerter Druckausgleich, was zu einer ungleichmäßigen Reizung der Innenohren führt. Dies ist beim Auftauchen häufiger, weil der Druckausgleich dann passiv durch die sich ausdehnende Luft im Mittelohr erfolgt, und schon geringe Störungen der Funktion der Eustachischen Röhre als Verbindung zum Rachenraum Beschwerden verursachen können.
Durch den Schwebezustand beim Tauchen kann es zum Schwindel kommen, wenn es bei schlechter Sicht oder beim Tauchen im Freiwasser zusätzlich zum Verlust der Kontrolle durch die Augen kommt. Dieser durch Reizarmut in der Umgebung bedingte Drehschwindel wird behoben, indem man sich mit den Augen einen festen Punkt (zum Beispiel Kompass, Tauchpartner) sucht. In den meisten Fällen werden die Symptome dadurch rasch gemindert.
Ein nach Tauchgangsende andauernder Drehschwindel kann auf ein Innenohr-Barotrauma oder eine Innenohr-Dekompressionskrankheit hinweisen und erfordert sofortige Abklärung und Behandlung. Um ein Innenohr-Barotrauma zu verhindern, darf bei Druckausgleichsproblemen der Druckausgleich nie erzwungen werden!
Seekrankheit
Auch die Seekrankheit, Fachbegriff »Kinetose«, hängt mit dem Innenohr zusammen. Kinetosen sind durch wiederholte Reizung des Gleichgewichtsorgans verursachte Symptome, die mit Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Schweißausbrüchen, Kopfschmerz und niedrigem Blutdruck einher gehen.
Sie können durch Schiffsreisen hervorgerufen werden, aber auch im Auto, Zug oder Flugzeug auftreten. Kennzeichnend ist, dass nicht alle Menschen gleich empfindlich auf die Reizung reagieren, es aber ab einer gewissen Reizintensität (zunächst) jeden trifft.
Wie schon erwähnt, werden Informationen aus dem Gleichgewichtsorgan und anderer Messfühler an das Gehirn weitergeleitet und dort verarbeitet. An Bord eines Schiffs bei der Fahrt durch unruhiges Wasser tritt aber ein Durcheinander von Informationen auf: Der Tastsinn meldet festen Boden unter den Füßen. Die Muskeln und Gelenke jedoch eine ständige Bewegung, die von ihnen ausgeglichen werden muss.
Die Augen wiederum melden den Aufenthalt in einem Raum, wobei die Erfahrung sagt, dass Räume sich nicht bewegen. Gleichzeitig werden aber die Bogengänge im Ohr durch das permanente Schlingern und Auf und Ab ständig gereizt. All diese Faktoren zusammen führen letztendlich zur Überforderung des Systems.
In der Regel, doch leider nicht immer und bei jedem, kommt es durch längeres Andauern der Reize zu einer Abstumpfung: Man wird »seefest«. Die ersten Tage aber können zur Qual werden. Und ist die Seekrankheit mit Übelkeit und Erbrechen einmal da, hilft nichts mehr außer abzuwarten, bis sich die Gewöhnung einstellt.
Es gibt eine Reihe von Medikamenten, die, wenn sie zeitig genug vorher genommen werden, recht gut gegen Seekrankheit helfen. Leider ist es so, dass all diese Medikamente so massive Nebenwirkungen haben können, dass eine Einnahme beim Tauchen kritisch gesehen werden muss.
Zur Vermeidung einer Seekrankheit sollte, wer sehr stark darunter leidet, den Aufenthalt auf Booten und Schiffen möglichst vermeiden. Wer sich unsicher ist, sollte es bei Tagesausfahrten belassen.
An Bord sollten geschlossene Räume gemieden werden, um freie Sicht auf den Horizont zu haben. Der beste Aufenthaltsort ist dort, wo die Schiffsbewegungen am geringsten sind, also mittschiffs. Das Anlehnen des Kopfs an eine Kopfstütze lindert die Symptome ebenfalls.
Zusammenfassung
Seekrankheit wird begünstigt durch:
➔ heftige Schiffsbewegungen
➔ lange Dünung
➔ Aufenthalt im Vorschiff
➔ schlechte Luft
➔ Angst
➔ Gespräche über Seekrankheit
Günstiges Verhalten gegen Seekrankheit:
➔ Innenräume meiden
➔ möglichst mittschiffs (draußen) aufhalten
➔ den Horizont fixieren
➔ Alkohol, Kaffee, Zigaretten meiden
➔ Küchendünste und Geruch nach Diesel meiden
Wenn empfindlich: nur Tagesausfahrten, keine Tauchkreuzfahrten!