Text: Prof. Dr. med. Claus-Martin Muth & Prof. PD Dr. med. Tim Piepho
Der menschliche Körper verfügt über insgesamt etwas mehr als 650 Muskeln. Unterschieden wird zwischen glatter und quergestreifter Muskulatur. Das Herz nimmt eine Sonderstellung ein. Zur quergestreiften Muskulatur gehört die gesamte Skelettmuskulatur. Jene willkürlich zu betätigenden Muskeln, die uns aufrechtes Stehen und sämtliche Bewegungen ermöglichen, da sie mit den Knochen verbunden sind. Die Skelettmuskulatur steht im Zusammenhang mit dem Tauchen in diesem Beitrag im Fokus.
Die Skelettmuskulatur ermöglicht die Bewegung der Gelenke, die Fortbewegung und damit auch das Schwimmen und Flossenschwimmen. Dies funktioniert umso effektiver, je trainierter die für diese Art der Bewegung notwendigen Muskeln sind. Trainierte Muskeln ermüden nicht nur deutlich später, sondern arbeiten auch ökonomischer. Das wirkt sich günstig auf den Sauerstoffverbrauch beim Tauchen aus. Besonders stark trainierte Muskeln können den Sauerstoffverbrauch jedoch auch erhöhen. Das kann zu einem höheren Gasverbrauch während des Tauchgangs führen.
Ein spezifisches Training vermindert die Gefahr eines Muskelkrampfs in der beanspruchten Muskulatur. Ein solcher Krampf ist das heftige und schmerzhafte Zusammenziehen eines ganzen Muskels. Die Ursachen können vielfältig sein. Wichtige Faktoren sind unter anderem Kälte, Sauerstoffmangel im Muskel und ungewohnte, mit großer Intensität durchgeführte Bewegungen.
Daher ist es notwendig, die Muskulatur vor Belastungen aufzuwärmen und diese behutsam zu steigern. So wird die Durchblutung des arbeitenden Muskels gesteigert. Zudem ist es ratsam – auch wenn man ansonsten sehr sportlich ist – Flossenschwimmen gezielt zu trainieren. Bei regelmäßigem Flossentraining (z.B. im Schwimmbad) »lernt« der Muskel, was von ihm erwartet wird. Gleichzeitig schafft er eine Ökonomisierung der Bewegung. Auch wird der ungeliebte Muskelkater damit reduziert, was für das Risiko von Dekompressionsunfällen von Bedeutung ist.
Dekompressionsproblematik & Muskeln
Die Muskulatur spielt im Hinblick auf die Dekoproblematik eine wichtige Rolle. Regelmäßiges Training und ein guter Trainingszustand bieten einen gewissen (aber nicht absoluten!) Schutz vor Dekompressionsproblemen. Denn bei guter muskulärer Durchblutung erfolgt der Gasaustausch – also auch der des Stickstoffs – zügiger, als bei einer schlechteren Kapilarisierung des Muskelgewebes. Tauchen mit Muskelkater jedoch kann schnell zu einem Dekounfall führen. Es sei denn, es handelt sich um sehr flaches Tauchen.
Woran liegt das?
Ein Muskelkater erhöht die Empfindlichkeit auf dekompressionsbedingt entstandene Gasbläschen über komplexe Mechanismen deutlich. Muskelkater wird nicht, wie allgemein immer noch irrtümlich vermutet, durch ein »Zuviel« an Milchsäure hervorgerufen. Er ist die spürbare Auswirkung von mikroskopisch feinen Schädigungen der Muskelzellen und Ausdruck einer (Über-)Belastung. Dies ist keine
Erkrankung oder gar ein bleibender Schaden. Die Schädigung ist gewollt und ergibt biologisch Sinn. So werden Schwachstellen erkannt, repariert und bei der Gelegenheit für neue Belastungen sofort verstärkt.
Bei dieser Reparatur kommt es zu einem Aufquellen des Gewebes und einer örtlich begrenzten Entzündungsreaktion. Folge dieser Vorgänge ist in diesem Bereich eine veränderte Durchblutung des Gewebes und damit ein gestörtes Stickstoff-Sättigungs- und Entsättigungsverhalten.
Doch dies ist nur ein Teil des sehr komplexen Geschehens. Denn die aktive lokale Entzündungsreaktion als Teil des Muskelkaters begünstigt in den betroffenen Bereichen massiv die entzündliche Reaktion des Körpers auf Gasbläschen. Diese können dann zur Symptomatik eines Dekompressionsunfalls führen.
Schon lange ist bekannt, dass nicht das Vorliegen von Gasblasen an sich den Dekompressionsunfall ausmacht. Vielmehr ist es die entzündliche Reaktion des Körpers auf die vorhandenen Gasblasen. Bei einem Muskelkater ist dieser Prozess bereits im Gange und wird dann intensiviert weitergeführt.
In Experimenten nachweisbar
Im Experiment gelingt es unter bestimmten Bedingungen Überspannungen von Gas in Flüssigkeiten zu erzeugen, ohne dass es zwingend zur Entstehung von Gasblasen kommen muss. Wird dieses Experiment jedoch gestört, entstehen augenblicklich Gasblasen und perlen aus. So eine Störung kann z.B. ein Staubkorn sein, das in die Lösung fällt. Man spricht daher von einem sogenannten Blasenkern, der zur Blasenbildung nötig ist.
Bei körperlicher Belastung kommt es unter anderem zu einem vermehrten Anfall von CO2. Dieses wird im wesentlichen abgeatmet. Es gibt experimentelle Hinweise, dass scheinbar CO2-Moleküle nach intensiver körperlicher Belastung über längere Zeit an den Innenwänden der Blutgefäße anhaften können. Diese Moleküle sind relativ groß und können wahrscheinlich – so die Theorie – die Rolle des Staubkorns im oben beschriebenen Experiment übernehmen.
Einen ähnlichen Effekt haben nachweislich auch Zellbestandteile, die durch die zum Muskelkater führende Schädigung ausgetreten sind. Daher sollte mit akutem Muskelkater, wenn überhaupt, nur sehr flach getaucht werden. Zum Zwecke der Risikominimierung empfiehlt es sich, bei einem Muskelkater eine Tauchpause einzulegen, bis die Schmerzen abgeklungen sind.
Bedarfsgesteuerte Durchblutung
Die Muskulatur ist zudem in der Lage, ihre Durchblutung bedarfsgesteuert um das etwa Zehnfache zu verändern. Die Blutzufuhr wird entweder drastisch gedrosselt oder deutlich erhöht. Das hat entscheidende Auswirkungen auf die Auf- und Entsättigung dieser Gewebe. Bei Unkenntnis und Nichtbeachtung kann das ebenfalls die Gefahr eines Dekompressionsunfalls deutlich erhöhen.
So ist eine intensive körperliche Belastung in der Tiefe (hohe Stickstoffaufnahme, starke Durchblutung der arbeitenden Muskulatur = raschere und starke Aufsättigung) mit anschließendem Frieren beim Auftauchen und nahezu regungslosem »Absitzen« der Dekostufe maximal ungünstig. Denn bei Drosselung der Durchblutung kommt es zur Gefäßengstellung. So kann Stickstoff nicht adäquat abgegeben werden. Es kommt zur kritischen Übersättigung.
Wegen dieser so drastischen Änderungen der Durchblutung in Abhängigkeit der Muskelaktivität sollte daher Sport nach dem Tauchen unterlassen werden. Auch hier kann es zu einer unkontrollierten Freisetzung des restlichen im Körper gelösten Stickstoffs mit drastischen Folgen kommen. Diese Folgen in Form eines Dekompressionsunfalls können dabei auch die Muskulatur selbst betreffen. Sie sind sogar typische mögliche Symptome eines Deko-Unfalls.
Die sogenannten »Bends«, als Gelenkschmerzen empfundene Symptome, betreffen nicht, wie häufig falsch dargestellt, das Gelenk. Die Schmerzen entstehen meist in der dieses Gelenk umspannende Muskulatur. Die Gasbläschen in der betroffenen Muskulatur erzeugen einen starken Entzündungsreiz mit einer sich ausweitenden Reaktion und den typischen, sich langsam steigernden drückenden, ziehenden Schmerzen.
Betroffen sind meist jene Muskeln, die beim Tauchen belastet wurden und damit immer die größeren Gelenke, vor allem Knie- und/oder Hüftgelenk, niemals aber kleine Gelenke wie zum Beispiel die Zehengelenke. Schmerzen in diesen kleinen Gelenken nach dem Tauchen sind eher Zeichen für einen Gichtanfall, schlecht sitzende Flossen und Füsslinge oder ähnliches.