TEXT: Prof. Dr. med. Claus-Martin Muth & Prof. PD Dr. med. Tim Piepho
Beim Abtauchen wird Stickstoff vermehrt aufgenommen. Während der Zeit auf Tiefe wird das Gas weiter im Körper aufgesättigt. Bei Umkehr Richtung Wasseroberfläche und einem nachlassenden Umgebungsdruck muss der in den Geweben aufgesättigte Stickstoff entsättigt werden. Denn sonst macht er beim Auftauchen Probleme und kann einen Dekompressionsunfalls verursachen.
Tatsächlich ist die Lunge im Hinblick auf die Aufsättigung das allerschnellste Gewebe. Schon nach einer Einatmung entspricht der Stickstoffpartialdruck in der Lunge dem jeweiligen Umgebungsdruck. Von hier aus wird der Stickstoff dann über das Blut in die übrigen Gewebe verteilt und dort so nach und nach aufgesättigt.
Filter für Gasbläschen
Besonders relevant ist die Rolle der Lunge bei der Dekompression. Nach nahezu jedem tieferen Tauchgang lassen sich Gasbläschen im venösen Blut nachweisen. Geringe Gasmengen im venösen System bleiben aber in den meisten Fällen asymptomatisch, solange eine kritische Menge nicht überschritten wird.
Andererseits können schon kleinste Gasmengen, die über einen sogenannten Shunt-Mechanismus in den Körperkreislauf gelangen und auf diese Weise eine sogenannte paradoxe Embolie auslösen, einen sehr schweren Tauchunfall zur Folge haben.
Paradoxe Embolien können durch verschiedene Mechanismen entstehen. Einer dieser Mechanismen ist die Passage von Gas durch die Lungenstrombahn, die grundsätzlich aber sehr gute Filtereigenschaften für Gasbläschen besitzt und in gewissem Rahmen den Übertritt der Gasbläschen verhindert.
So konnte experimentell gezeigt werden, dass die Lunge ein sehr effektiver Filter für sehr, sehr kleine Gasbläschen ist. Aber auch, dass ein plötzlicher großer Anfall von Gas zu einer Überladung der Lunge führen kann, was eine Passage in den Körperkreislauf möglich machen und paradoxe Embolien verursachen kann.
Zudem konnte gezeigt werden, dass auch eine kontinuierliche venöse Infusion vergleichsweise geringerer Mengen Gas zum Auftreten von intraarteriellen Gasbläschen führt. In Analogie zu diesen experimentellen Ergebnissen wird vermutet, dass ein massiver Anfall von dekompressionsbedingten, primär venösen Gasbläschen zur arteriellen Gasembolie führen kann, was zu einer schweren Verlaufsform der Dekompressionskrankheit führen würde.
Schwerer Dekompressionsunfall der Lunge
Die als »Chokes« bekannte schwere Form eines Dekompressionsunfalls ist die pulmonale (Anm. d. Red.: die Lunge betreffende) Symptomatik des schweren Tauchunfalls. Sie resultieren aus einem massiven Befall der Lungengefäße mit venösen Gasblasen. Dies ähnelt einer klassischen Lungenembolie.
Wie bei dieser kommt es zu einer zunehmenden Belastung des rechten Herzen, hervorgerufen durch eine Erhöhung des Drucks in den Lungengefäßen, während die Pumpleistung des Herzens und der arterielle Blutdruck abfallen.
Häufig entstehen heftige Herzrhythmusstörungen. Durch eine teilweise Verlegung der Lungenstrombahn und die dadurch veränderte Lungendurchblutung werden der Gasaustausch und die Sauerstoffaufnahme behindert.
Die Symptomatik tritt unmittelbar und sehr rasch nach dem Auftauchen ein und ist gekennzeichnet durch Schmerzen hinter dem Brustbein, flache, rasche Atmung sowie typische trockene Hustenattacken, die dieser Erscheinungsform den Namen »Chokes« gegeben haben. Differentialdiagnostisch ist hier stets auch an ein pulmonales Barotrauma zu denken.
Die Rolle der Lunge bei der medizinischen Behandlung
Doch auch bei der Behandlung des Tauchunfalls spielt die Lunge eine zentrale Rolle: Die schnellstmögliche Gabe von Sauerstoff stellt die wichtigste Sofortmaßnahme beim Tauchunfall dar, die möglichst ohne Zeitverzug begonnen werden soll.
Dabei muss die Sauerstoffkonzentration im Einatemgas möglichst nahe 100 Prozent sein. Bei dieser Maßnahme geht es um die Verkleinerung der Gasblasen, die den Tauchunfall verursachten. Um dies zu erreichen, ist die Schaffung eines möglichst hohen Diffusionsgefälles sowohl für Sauerstoff als auch – entgegengerichtet – für den ausgegasten Stickstoff nötig.
Ziel ist nun die schnelle Stickstoff-Elimination bei gleichzeitiger Minimierung der durch die Blase hervorgerufenen Sauerstoffversorgungsstörung. Durch die Gabe von Sauerstoff nahe 100 Prozent wird nun Stickstoff bei jeder Ausatmung abgegeben, bei der Einatmung jedoch nicht erneut aufgenommen, was die Stickstoff-Elimination verbessert.
Dieser Effekt entsteht im Wesentlichen dadurch, dass sich während der Sauerstoffatmung kaum noch Stickstoff in der Lunge befindet. Das hierdurch entstehende, sehr große Konzentrationsgefälle zwischen dem stickstoffübersättigten Blut und den Lungenbläschen führt im Vergleich zur Atmung von nur sauerstoffangereicherter Luft zu einer wesentlich beschleunigten Abatmung von Stickstoff.
In der Folge entsteht ebenfalls ein größeres Konzentrationsgefälle zwischen stickstoffübersättigten Geweben und dem Blut, das nach der Lungenpassage nur noch wenig Stickstoff enthält. Stickstoffübersättigte Gewebe werden somit schneller entsättigt.