Sie sind die Goldesel der Meere: Kleinwale wie Delfine und Orcas werden unter grausamen Umständen gefangen und unter unwürdigen Bedingungen gehalten, um Touristen in Delfinarien zu bespaßen. Der Geldbeutel wird dafür weit geöffnet, die Augen jedoch angesichts des qualvollen Leids der Tiere umso fester verschlossen.
Mal ehrlich, würden Sie Ihr Kind auf ein Bobby Car setzen und selbiges an einen Löwen binden, damit er es durch den Zoo zieht? Mit Vollgas durchs Gehege, kreuz und quer unter dem Applaus der grölenden Zuschauer? Wohl eher nicht. Behaupte ich jetzt einfach mal.
Und doch trägt sich ähnliches Szenario täglich in Unterhaltungsparks in aller Welt zu: Kinder werden in Mini-Schlauchbooten von Orcas oder Delfinen als vermeintlich belustigender, familienfreundlicher Interaktivteil der Show durch einen Pool gezogen. Doch der Pool ist tief. Sehr tief. Und die vermeintlichen Schmusetierchen sind das traurige Überbleibsel einstiger Top-Jäger – was sie aber mitnichten weniger gefährlich macht. Auch, wenn die ach so süßen Kuschelexemplare im Souvenirshop anderes vermuten lassen wollen.
Meeresschutzorganisationen im Überblick
Frankreich verbietet Haltung von Delfinen und Orcas in Gefangenschaft
Es stimmt. Sie sehen bildschön aus, die Orcas in ihrem eleganten, fast übernatürlich perfekt geschnittenen Outfit in Scharz-Weiß. Die Riesen, die Besucher, die sie durch die Scheiben ihrer gläsernen Gefängnisse bewundern, neckisch ihre backblechgroße Zunge durch eine Reihe von 48 Zähnen rausstrecken. Die Delfine, die quietschend Salti schlagen, „die immer lächeln, auch wenn sie leiden – die größte Täuschung der Natur“, sagt Ric O’Barry. Als Delfintrainer der TV-Serie „Flipper“ gelangte er in den 60er-Jahren zu Weltruhm. Heute kämpft er mit seiner Organisation „Dolphin Project“ gegen den Fang, die Abschlachtung und die unwürdige Haltung der Tiere. Denn genau das ist die Gefangenschaft der menschen- ähnlichen Kleinwale, zu denen Delfine und Orcas zählen. Menschenähnlich? Ja. Zwar haben sie rein äußerlich, anders als etwa Schimpansen, nicht viel mit uns gemeinsam, aber dennoch werden sie oft „unsere Geschwister im Meer“ genannt, manche Wissenschaftler glauben sogar, dass sie intelligenter als der Mensch sind.
Delfine und Orcas sind hochemotional
Ganz sicher aber sind sie emphatischer und emotionaler. „Delfine und Orcas haben einen Bereich im Gehirn, den wir nicht haben,“ sagt US-Neurowissenschaftlerin Lori Mariono, die die Gehirne der Säuger im Kernspintomographen untersucht hat. „Dieser Teil ist verbunden mit dem limbischen System, dem Gehirnteil, der für Emotionen verantwortlich ist. Heißt: Die Tiere sind hochemotional. Zudem haben sie ein sehr ausgeprägtes Ich-Bewusstsein sowie ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer jeweiligen Familie – und das auf einem ganz anderen Level als es bei anderen Säugetieren, Menschen inbegriffen, der Fall ist.“ Es wird sogar vermutet, dass ihr Ich-Bewusstsein auf die anderen Mitglieder ihrer Familie ausgeweitet ist. Eine Art unsichtbares Band, das dazu führt, dass die Tiere sich niemals freiwillig verlassen würden. So erklären Wissenschaftler die oft massenhaften Strandungen von Kleinwalen. Sie gehen für- und miteinander bis in den Tod.
Eine Verbundenheit, die wir nicht kennen, die dafür aber scham- und sinnlos ausgenutzt wird: Delfine, die zu Tausenden in Buchten getrieben und dort abgeschlachtet werden. Stellen Sie sich vor: Eine Armee an blutrünstigen Mördern stürmt Ihr Haus, drängt Sie und Ihre gesamte Familie in die kleinste Ecke, entführt Ihre Kinder und bringt dann die restlichen Familienmitglieder nacheinander und vor Ihren Augen um. Sie versuchen zu kämpfen. Sie schreien. Todesangst. Ihr eigenes Ende ist dann nur noch Glück im größtmöglichen Unglück.
Genau dieses Schicksal erleiden Delfine alljährlich. Sie können nicht fliehen, ihre Natur verbietet es ihnen. Als Billigfleisch landen sie dann in Supermärkten – obwohl es extrem schwermetallbelastet und hochtoxisch ist. Alternativ wird es als Köder beim Haifang eingesetzt. Das große Geld aber, das bringen die lebend gefangenen Delfine. Die schönsten und aus Trainersicht „vielversprechendsten“ Exemplare bekommen dann die zweifelhafte Ehre, zu Stückpreisen von bis zu 200 000 US-Dollar ein Leben in Gefangenschaft zu verbringen, nachdem sie an Delfinarien in aller Welt verschachert wurden.
Besonders eifrig wird in den kubanischen Gewässern gejagt, nach wie vor aber ist der japanische Fischerort Taiji der weltgrößte Lieferant wild gefangener Delfine. Um die 23 000 Tiere werden hier jedes Jahr in die Bucht getrieben, die als Wildflife Conservation Area, als Nationalpark, ausgewiesen ist. Eine Farce! Die Japaner rechtfertigen ihr Handeln seit Jahren damit, dass es Kleinwale, vor allem die Delfine, auf keinen Fall aber wir Menschen sind, die für die global abnehmenden Fischbestände verantwortlich sind. Deshalb müssten sie dezimiert werden. Glatter Irrsinn!
Aus Taiji stammen fast alle Delfine, die man in Delfinarien oder Therapiezentren findet. Ausgerechnet das örtliche Wal-Museum schließt die Deals ab, die Einnahmen teilen sich die Stadt und die Fischer. Im Wal-Museum kann man sich Shows ansehen und gleichzeitig Wal- und Delfinfleisch essen. Perverser geht es nicht! Den Zusammenhang zwischen dem blutigen Treiben und der Glitzerwelt der vermeintlichen Bespaßungsparks zeigt der 2009 veröffentlichte Film „Die Bucht“, der 2010 mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Ric O’Barry, der einstige Delfintrainer, steckt hinter der aufrüttelnden Dokumentation. „Ich fühle mich für die Geschehnisse verantwortlich“, sagt er. Kaum ein anderer hat so hautnah erlebt, wie sehr die Tiere in Gefangenschaft leiden. Der ach so lustige Flipper, der tatsächlich Cathy hieß und ein Weibchen war, „brachte sich sogar um“, so O’Barry. „Anders als wir haben Wale und Delfine keine automatische Atmung, sondern müssen aktiv jeden Atemzug nehmen. Wenn ihr Leben unerträglich ist, tun sie das eben nicht und ersticken. Cathy sah mir in die Augen und nahm ihren letzten Atemzug.“
Weltweites Geschäft mit Delfinarien
Mit 50 Delfinarien ist Japan weltweit führend. Aber auch die Türkei, Ägypten, Dubai, Tunesien, Russland, Nord- und Südamerika, Spanien sowie Deutschland mischen in dem grausamen Geschäft mit. Die Nachfrage der Touristen, auch der deutschen, feuert die Geldgier an. Erst im Juni dieses Jahres sorgte das Zoo-Aquarium Madrid für Schlagzeilen. Ein offizieller Veterinärreport, Operation 404 genannt, der samt Undercover-Fotos an die Guardia Civil, eine spanische Polizeieinheit, geschickt wurde, deckt auf, dass alle der neun Delfine krank sind. Von Augenproblemen ist da die Rede, von schweren Hautläsionen, ja sogar von Missbrauch und Tierquälerei. „Auf den Fotos kann man sehen, dass ihr gesamter Körper mit kraterförmigen Geschwüren übersät ist“, heißt es wörtlich. „Sie ziehen sich vom Kopf bis zum Ende der Schwanzflosse und betragen im Durchmesser mehrere Zentimeter.“
Ein Leben im Gefängnis
Eigentlich kein Wunder. Delfine und Orcas stellen sehr hohe Anforderungen an die Wasserqualität – Chlor und Medikamente greifen ihre empfindlichen Schleimhäute an. Aber auch dem Platzbedarf dieser Tiere kann ein Pool niemals gerecht werden. In freier Wildbahn schwimmen sie oft Hunderte Kilometer am Tag. Sie können sich aus dem Weg gehen, wenn es mal Streit gibt. Und sie werden ständig von ihrer Umwelt intellektuell gefordert. In Aquarien jedoch starren sie tagein, tagaus auf eine blanke Betonwand, drehen in unendlichen Kreisen ihre Runden der Langeweile und haben so gut wie keine Rückzugsmöglichkeiten. Das Problem: Wale sind matriarchisch. Heißt: Die Bullen sind immer am Rand der Gruppe, kommen sie zu nah, werden sie von den Kühen in ihre Schranken gewiesen – wenn nötig durch Attacken. Im Pool aber haben sie keine Möglichkeit, einen respektvollen Abstand einzuhalten. Was es noch schlimmer macht: Die Tiere gehören nicht einer Familie an. Es sind fremde Kulturen mit fremden Sprachen, die da so zusammengepfercht werden, wie es irgendein Geschäftsführer für richtig empfindet. Ob sie sich mögen? Irrelevant.
Nochmal: Diese Tiere sind eng mit ihren Familien verbunden. Zwar werden Orcas mittlerweile in Gefangenschaft gezüchtet, aber selbst dann werden die Kälber oft von den Müttern getrennt, wie der Film „Blackfish“ auf herzzerreißende Weise dokumentiert. Und über allem steht noch: Man könnte es Vergewaltigung nennen. Die Tiere sind sich fremd und haben mit Sicherheit kein Interesse an freiwilligen Liebeleien.
Der Stress, unter dem die Tiere stehen, tut sein Übriges. Ausgelöst vornehmlich durch Lärm. Delfine und Orcas können Töne von 150 bis 200 000 Schwingungen wahrnehmen. Beim Menschen liegt dieser Hörbereich zwischen 20 und 20 000 Schwingungen. Neben den Lärmemissionen eines Delfinariums wie Applaus, Jubel und Lautsprecherdurchsagen sind die Tiere auch dem Lärm der ständig laufenden Wasserpumpe ausgesetzt. „Dieser Lärm stresst die Tiere bis ans Limit“, sagt Ric O’Barry. „Deshalb werden die Fische, welche an sie verfüttert werden, mit Beruhingungsmitteln gefüllt.“
Dem Dauerstress ausgesetzt
Mit Studien wird immer wieder versucht zu belegen, dass die Haltung kein Stressfaktor ist. Das Problem: Ein Großteil davon wird vom Hubbs Research Institute finanziell gefördert – eine Tochtergesellschaft von Sea World, dem berühmten US-Aquarium, das von vielen Reiseanbietern mittlerweile aus dem Programm genommen wurde.
Auch der Nürnberger Tiergarten, neben dem Zoo Duisburg das letzte von zwei Delfinarien in Deutschland, ließ von solchen Behauptungen getrieben über drei Jahre hinweg die Stresshormone seiner Delfine messen. Zwar ergaben die Resultate offiziellen Angaben zufolge keine Anzeichen für Stress, laut der Tierschutzorganisation PETA aber herrscht in beiden deutschen Zoos Vertuschung vor. Frühe Chroniken, Wildfangdaten, Bestands- und Todeslisten sind nicht einsehbar – obwohl sie angeblich nichts zu verbergen haben. Vielmehr sehen sich die deutschen Delfinarien als gesetzlich regulierte Ausnahmen, die unter wissenschaftlicher Leitung mit Bildungsauftrag stehen. Man könne hier etwas über das Verhalten und die Anatomie der Tiere lernen.
Delfinschützer sehen das etwas anders. „Natürlich gibt es das Mäntelchen, wie man ein Produkt verkauft, und hier gibt es bessere und schlechtere“, sagt Nicolas Entrup von der Wal- und Deflinschutz- organisation WDCS. „Aber an der Haltung ändert sich überhaupt nichts. Wir bewerten Delfinhaltung aus dem Gesichtspunkt des Delfins. Welche Bedürfnisse hat er? Und wir kommen zu dem Schluss, dass diese Tiere weder tier- noch artgerecht gehalten werden können.“ Die Betreiber der Sea-Life-Großaquarien sehen das übrigens genauso. Sie verzichten auf Delfine – nicht aber auf Orcas!
Der Nürnberger Tierpark reagierte auf den Tod zahlreicher in Gefangenschaft geborener Delfinkälber mit dem Bau der sogenannten „Lagune“, die artenfreundlicher sein und das Sterben verhindern soll. Sandra Altherr von Pro Wildlife sieht andere Beweggründe: „Es ist mit dem Bau dieser Lagune auch argumentiert worden, dass man die Einnahmequellen für den Zoo drastisch ausbauen würde, nämlich um 150 Prozent.“ Doch bereits kurz nach der Eröffnung im Jahr 2011 war die Lagune, die 31 Millionen Euro gekostet hat, ein Sanierungsfall. Salzwasser war durch eine Fuge am oberen Rand des Beckens ausgetreten und hatte die Vegetation in einem 1000 Quadratmeter großen Waldstück neben der Lagune vernichtet. Deshalb musste der Wasserspiegel um 15 Zentimeter gesenkt werden. Später zeigten sich auch noch Schäden im Beton. Die Stadt macht die Baufirmen und Planer verantwortlich und reichte im April 2019 Klage ein, deren Ausgang bei Redaktionsschluss noch unklar war.
Recht auf Freiheit
Nun argumentieren viele, sie würden sich Wale und Delfine nur in freier Wildbahn anschauen. Beobachtungstouren werden vielfach angeboten und können eine tolle Möglichkeit sein, um den Tieren näher zu kommen. Aber sie sind mit Vorsicht zu genießen. Während professionell angeleitete Touren durchaus sinnvoll, informativ und nachhaltig sein können, bieten viele auch wahre Massentreibungen an, die in Sachen Tierstress denen in der Bucht von Taiji in nichts nachstehen.
Die Tiere werden gejagt, oftmals von bis zu 20 Booten eingekreist, von denen dann eine Horde wilder Schnorchler ins Meer gekippt wird. Sie wollen die Säuger anfassen, flippermäßig mit ihnen anbandeln, lustige Urlaubsfotos schießen. Nochmal: Die Tiere sind Räuber. Und sie sind hochempfindlich. Begegnet man ihnen zufällig, entstehen magische Erinnerungsmomente. Denn ja, sie sind neugierig. Sie kommen und gucken – wenn ihnen danach ist.
Aus all diesen Gründen fordern Tierschützer und Forscher Persönlichkeitsrechte für Delfine und Orcas – ganz egal, ob in Gefangenschaft oder in freier Wildbahn. Sie sollen, wie wir Menschen, ein grundsätzliches Recht auf ungestörte Freiheit haben. Davon sind wir leider noch weit entfernt. Der Tourismus boomt, „Flipper“ hat ein Milliardengeschäft erschaffen. Erst vor wenigen Wochen ist Kanada mit gutem Vorbild vorangegangen: Die Gefangenschaft und Zucht von Walen und Delfinen ist dort jetzt gesetzlich verboten. Bleibt zu hoffen, dass auch andere Länder diesem Beispiel folgen werden.
Texte: Stefanie Ann Will
DVD-Tipp: „Die Bucht“
Der Dokumentarfilm von Regisseur Louie Psihoyos und dem Tierschutzaktivisten Richard O’Barry zeigt die Jagd auf Delfine in Taiji. Hier werden im Jahr rund 23 000 Tiere getötet.