Ein Beitrag von Helene-Julie Zofia Paamand. Dieser Artikel wurde zuerst als englische Version im Online-Magazin inDepthmag.com veröffentlicht. Übersetzung: Benjamin Schulze.
Am 17. Dezember 2024 wurde der bekannte Umweltaktivist Paul Watson (Frühmitglied von Greenpeace und Gründer von Sea Shepherd) nach 149 Tagen Haft aus dem Gefängnis in Nuuk, Grönland, entlassen. Watson wurde am 21. Juli von der örtlichen Polizei an Bord der M/Y John Paul DeJoria verhaftet; das Schiff hatte Dublin am 12. Juli auf dem Weg in den Nordpazifik verlassen, um das japanische Walfangschiff Kangei Maru ins Visier zu nehmen. Während ihres Halts in Nuuk beabsichtigte die Crew von M/Y John Paul DeJoria nur zum Tanken. Die grönländische Polizei verhaftete Watson mehr als ein Jahrzehnt, nachdem Japan eine »Red Notice« bei Interpol eingereicht hatte – einen internationalen Haftbefehl. Da Watsons Interpol-Akte jedoch seit November 2023 nicht mehr öffentlich zugänglich war, glaubte er, dass er in Grönland sicher von Bord gehen und tanken könnte.
In diesem Artikel werde ich die Ereignisse rund um Watsons Verhaftung und die laufenden Entwicklungen bis zur zweiten Hälfte des Jahres 2024 aufschlüsseln. Um Klarheit über die rechtliche Komplexität des Falles zu schaffen, habe ich Sascha Faxe, ein Mitglied des Justizausschusses des dänischen Parlaments, interviewt.
Warum wurde Watson von Interpol auf die rote Liste gesetzt?
Japan gab 2010 die »Red Notice« gegen Watson heraus. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Sea Shepherd gegen die Walfangpraktiken des japanischen Schiffes Shonan Maru 2 im Südpazifik eingesetzt. Obwohl der Walfang in internationalen Gewässern im Rahmen des Abkommens der Internationalen Walfangkommission (IWC) von 1946 verboten ist, hat Japan die Praxis unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Forschung fortgesetzt. Die Kritiker dieser Praxis argumentieren, dass Japan so eine Lücke für den kommerziellen Walfang ausgenutzt hat, die geschlossen werden muss.
Während der Antiwalfang-Kampagne 2010 setzte der Neuseeländer Pete Bethune, ein damaliges Sea Shepherd-Mitglied an Bord der Ady Gil, Stinkbomben gegen die Shonan Maru 2 ein, was die Besatzung vorübergehend außer Gefecht setzte. Als Folge von Bethunes Aktionen kollidierten die beiden Schiffe. Die Ady Gil sank. Als Bethune später an Bord des japanischen Schiffes ging, um einen Antrag auf Schadensersatz zu stellen, wurde er verhaftet. Während ein Filmteam von Animal Planet die Ereignisse dokumentierte, warnte Watson Bethune vor dem Einsteigen in das japanische Schiff. Bethunes nachfolgendes Geständnis implizierte Watson als das Mastermind hinter seinen Handlungen. Im Jahr 2013 gab Bethune jedoch zu, dass sein Geständnis falsch war: unter dem Druck der japanischen Behörden, seine eigene Strafe zu reduzieren.
Mit der legalen Munition dieses falschen Geständnisses ausgestattet, beantragte Japan eine »Red Notice« gegen Watson wegen Verschwörung zur Beschädigung von persönlichem Eigentum und zur Behinderung des Geschäftsbetriebs. Dieser Haftbefehl ist seitdem mehrmals abgelaufen. Das veranlasste Watson offensichtlich dazu, anzunehmen, dass die »Red Notice« nicht mehr aktiv war. Ab November 2023 war sie nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Datei könnte jedoch als »geheim« klassifiziert worden sein.
Wer hat das Verbrechen begangen: Japan, Bethune oder Watson?
Im Jahr 2012 erhoben Australien und Neuseeland beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag Anklage gegen Japan. Dort wird argumentiert, dass Japans Walfang kein wissenschaftliches, sondern ein kommerzielles Unterfangen sei. Das Gericht entschied zugunsten der Kläger und befand Japans Handlungen im Rahmen des IWC für illegal. Als solches wurde Japan wegen seiner Walfangpraktiken verurteilt, während Bethune in Japan wegen seiner Rolle bei der Bekämpfung zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde.
Obwohl Watson in die Aktionen verwickelt war, bleibt Japans »Red Notice« umstritten. Während Japan das gesetzliche Recht hat, dies zu beantragen, liegt es an den einzelnen Ländern, zu entscheiden, ob sie der Verhaftung nachkommen oder nicht. Im Laufe der Jahre ist es Watson gelungen, in mehreren Ländern Verhaftung zu vermeiden oder nach Verhaftungen zu flüchten, wie beispielsweise in Deutschland im Jahr 2012. Warum wurde er also in Nuuk inhaftiert?
Die Motivation hinter Watsons Verhaftung in Nuuk
Im Sommer 2024 dokumentierte Watsons Organisation aktiv die Walfangpraktiken auf den Färöer Inseln. Die Jagd auf Grindwale, bekannt als Grind, ist eine langjährige kulturelle Tradition auf den Färöern. Sie reicht bis in die Wikingerzeit zurück. Walfleisch war einst eine wichtige Nahrungsquelle. Heute ist der Verzehr von Walfleisch aufgrund der Ansammlung von Schwermetallen im Fleisch (und der damit verbundenen Gesundheitsrisiken) zunehmend umstritten. Der Grind hat sich zudem weiterentwickelt. Während die Teilnehmer früher kleine Ruderboote benutzten, nehmen sie jetzt an einem industriellen Betrieb mit motorisierten Booten teil. Diese Änderungen machen die Praxis eindeutig effizienter, werfen aber damit auch massive ethische Bedenken auf. Zumal die Inselbewohnerinnen und -bewohner nicht mehr in diesem Maße von Walfleisch als Nahrungsquelle abhängen.
Internationale Umweltaktivisten haben die färöische Regierung intensiv unter Druck gesetzt. Darunter auch Watson, der den Grind seit Jahrzehnten dokumentiert. Die Spannungen zwischen Umweltaktivisten und den färöischen Behörden bauen sich seit vielen Jahren auf. Der Walfang ist auf den Färöer-Inseln durch ihre von Dänemark unabhängige Rechtsprechung legal, obwohl sie als Gebiet des Königreichs Dänemark eingestuft werden, wo diese Praktiken als illegal gelten.
Bei einer Konsultation im Justizausschuss im September 2024 enthüllte der dänische Justizminister Peter Hummelgaard, dass die färöischen Behörden Watsons Bewegungen verfolgt hätten. Als die Behörden des Inselarchipels im Nordatlantik erfuhren, dass Watsons Schiff auf dem Weg zum Nordpazifik über Grönland war, teilten sie diese Informationen mit den grönländischen Behörden. Die grönländische Polizei, unterstützt von dänischen Beamten, führte die Verhaftung durch. Während das Ausmaß der Beteiligung der dänischen Regierung zu diesem Zeitpunkt unklar ist, ist es offensichtlich, dass die färöischen Behörden die Verhaftung deutlich vorangetrieben haben.
Die politischen Auswirkungen von Watsons Inhaftierung
Sascha Faxe, eine Abgeordnete des dänischen Parlamentes, hat Watsons Fall genau verfolgt. Faxe spekuliert, dass die Verhaftung politisch motiviert sein könnte. Sie sagt: »Man könnte meinen, dass die Färöer ein Interesse an seiner Auslieferung haben. Das würde Japans Walfang und damit auch die färöische Praxis indirekt legitimieren.«
Faxe stellt auch fest: das grönländische Recht schreibt vor, dass jede ausgelieferten Person ein faires Verfahren im Zielland garantiert werden muss. Die Angst, dass Watson in Japan politisch verfolgt wird, könnte möglicherweise den Auslieferungsprozess behindern, insbesondere angesichts Japans hoher Verurteilungsrate.
Die Rolle des dänischen Justizministers
Grönland und die Färöer sind zwar Territorien des Königreichs Dänemark, haben aber eigene Regierungen und Rechtssysteme. Diese Autonomie bedeutet, grönländisches Recht ist in Watsons Fall anwendbar. Nach seiner Verhaftung warteten die Behörden auf Japans formelles Auslieferungsersuch. Nach Erhalt dessen leiteten sie diesen Antrag an den dänischen Justizminister Hummelgaard weiter. Das grönländische Auslieferungsgesetz spiegelt immer noch das dänische Recht wider. Seit der Erlangung der rechtlichen Unabhängigkeit im Jahr 2009 hat Grönland sein Auslieferungsgesetz nicht neu aufgesetzt, so dass das »veraltete« Gesetz weiterhin anwendbar ist. Dieses Gesetz besagt, dass die Zuständigkeit für die Auslieferung dem dänischen Justizminister untersteht.
Während der Beratungen im September erklärte Hummelgaard, dass er der Empfehlung der grönländischen Behörden bezüglich der Auslieferung von Watson folgen werde. Am Tag seiner Freilassung enthüllte Watsons dänischer Anwalt Jonas Christoffersen jedoch, dass sowohl die grönländische Polizei als auch der Generalstaatsanwalt Grönlands die Auslieferung empfahlen, während das dänische Justizministerium nicht zustimmte. Das noch nicht angepasste, veraltete grönländische Auslieferungsgesetz wirkte sich letztendlich zu Watsons Gunsten aus, denn die Gerichtsbarkeit und die finale Entscheidung über seine Auslieferung verblieben in Dänemark.
Dies lässt den Schluss zu, dass der Druck auf Hummelgaard und Dänemark den Entscheidungsprozess tatsächlich beeinflusst haben könnten, obwohl Hummelgaard dies wahrscheinlich nie öffentlich zugeben wird. Hummelgaard sagte den dänischen nationalen Nachrichtenmedien Danmarks Radio, dass der Fall aufgrund des komplizierten Auslieferungsgesetzes und der Verhandlungen mit Japan die lange Zeit in Anspruch genommen habe.
Alle Augen auf Dänemark
Watsons Inhaftierung hat international erhebliche mediale Aufmerksamkeit erregt, wurde aber in den dänischen Medien weitgehend übersehen. Während der Fall in Grönland etwas verschleiert ist, bleibt Dänemark ein wichtiger Akteur in der Situation. Viele ausländische Politiker haben ihre Unterstützung für Watson zum Ausdruck gebracht – einem Mann, der sein Leben dem Schutz von Meereslebewesen gewidmet hat. Trotz internationaler Verträge wie dem IWC gibt es niemanden, der diese Gesetze in internationalen Gewässern effektiv durchsetzt.
Am 24. Juli erhielt die dänische Premierministerin Mette Frederiksen einen offiziellen Brief, der von 73 internationalen Politikerinnen und Politikern aus zehn Ländern unterzeichnet wurde. Er forderte Watsons sofortige Freilassung. In dem Brief wurde betont, dass dieser Fall »die Unterdrückung und Kriminalisierung von Umweltaktivisten auf der ganzen Welt darstellt – auch in Europa«, wie die einleitende Autorin und französische Europaabgeordnete Emma Fourreau erklärte.
Am 19. September wurde Watsons mögliche Auslieferung in der Europäischen Kommission diskutiert. Fast alle Redner waren sich einig, dass Watson in seinen Aktionen gegen Japan das Völkerrecht aufrechterhielt. Sie argumentierten, dass er als Whistleblower angesehen und durch EU-Gesetze geschützt werden sollte, einschließlich der Anti-SLAPP-Richtlinie und der Richtlinie über Umweltkriminalität, die beide Anfang des Frühjahrs verabschiedet wurden. Die einzige abweichende Stimme kam von Siegbert Frank Droese, einem Mitglied der deutschen AfD-Partei, der Watson maximal kontrovers mit dem Al-Qaida-Gründer Osama bin Laden verglich.
Die Französische Sozialistische Partei forderte den französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf, Japan zu drängen, seine Auslieferungsforderungen fallen zu lassen. Watson hat in Frankreich Asyl beantragt. Obwohl Macron seine Unterstützung für Watson zum Ausdruck gebracht hat, kann Macron keinen Schutz bieten, da Watson kein französischer Staatsbürger ist. Folglich hat Watson die französische Staatsbürgerschaft beantragt. Die Entscheidung steht aus. Am 10. Dezember wurde Watson von der Stadt Paris die Ehrenbürgerschaft verliehen. Obwohl dieser Titel keine gesetzlichen Rechte trägt, dient er als klare und symbolische Erklärung der Stadt zur Unterstützung seiner Sache.
Der Walfang geht in Japan weiter
Im Jahr 2019 zog sich Japan aus der Internationalen Walfangkommission zurück und nahm in den folgenden Jahren den Walfang in seinen eigenen Gewässern wieder auf. Bis 2024 hatte Japan seine Walfangflotte durch die Hinzufügung der Kangei Maru erheblich erweitert und verstärkt – eine Ergänzung, gegen die Watson ursprünglich kämpfen wollte. Im Juni 2024 landete Japan 59 Finnwale an. Finnwale sind die zweitgrößte Walart der Welt und werden von der Internationalen Union für die Erhaltung der Natur (IUCN) als gefährdet eingestuft. Ausserdem wurden eine Vielzahl von den kleineren Zwerg- und Brydewalen getötet. Während Watson in Nuuk inhaftiert war, hat Japan seinen illegalen Walfang ungehindert fortgesetzt. Aber, wie Watson in einem Interview mit Danmarks Radio am Tag seiner Freilassung sagte: »Jede Situation eröffnet eine Chance, und meine Inhaftierung hat die Walfangpraktiken sowohl Japans als auch der Färöer Inseln aufgedeckt.«
Wie können wir Watsons Fall unterstützen?
Im Moment ist Watson frei. Er kann seinen Kampf fortsetzen. Man könnte sogar behaupten, dass seine Arbeit nicht nur von Dänemark, sondern auch von den vielen politischen Unterstützern, die sich für seine Freilassung ausgesprochen haben, gebilligt, ja sogar als wertvoll und schützenswert geadelt wurde. Aber wie können wir als internationale Gemeinschaft besorgter Taucherinnen und Taucher unsere Unterstützung zeigen? Ich habe Sascha Faxe diese Frage gestellt, da sie einen guten Einblick hat, welche Art von Aktivismus politischen Druck erzeugt.
Faxe ist der Meinung, dass wir kulturelle und künstlerische Maßnahmen einsetzen müssen. Sie schlägt eine ihrer Meinung nach sehr wirkungsvolle Idee vor, die sie jedoch nicht selbst organisieren kann: »Wenn jemand ein Benefizkonzert organisieren könnte, würde das viel Aufmerksamkeit erregen. So könnten sich auch Menschen engagieren, die sich nicht als Aktivisten bezeichnen würden. Ein Konzert mit mehreren internationalen Künstlern, das an einem öffentlichen Ort zu Ehren und zur Feier von Watson und den Walen stattfindet, wäre ein starkes Statement.«
Faxes Idee ist ehrgeizig, aber wer weiß? Vielleicht wird sie von jemandem aufgegriffen, der die Mittel hat, sie in die Tat umzusetzen. Ich persönlich glaube, dass sie viel positive, konstruktive Energie erzeugen würde. Aber auch das, was wir in unserem Alltag tun, ist wichtig; wir sollten mit unseren Freunden und Verwandten über Themen wie diese sprechen. Während Watson auf dem Wasser kämpft, können Sie und ich in den Gemeinden um uns herum Multiplikatoren sein.
Weitere Möglichkeiten sind: das Engagement in einer Umweltschutzorganisation wie der Paul Watson Foundation international und der Paul Watson Foundation Germany sowie anderere Meereschutzorganisationen sowie deren finanzielle Unterstüzung durch Spenden. Wer finanziell keine Beitrag leisten kann (oder möchte), der kann seine Unterstützung auf den sozialen Netzwerken durch:
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Zur Autorin
Helene-Julie Zofia Paamand ist eine Unterwasserfotografin und Umweltschützerin aus Dänemark. Nachdem sie als professionelle Tauchlehrerin in tropischen Ländern gearbeitet hatte, kehrte sie nach Dänemark zurück und gründete das Konzept und die Marke Underwaterambassador. Unter diesem selbsternannten Titel nutzt sie ihre Unterwasserfotografie, um das Bewusstsein für den Schutz der Ozeane in ihrer lokalen Gemeinschaft zu schärfen. Zu diesem Zweck hält sie Vorträge in Schulen und arbeitet mit Nichtregierungsorganisationen zusammen, die Aufräumaktionen, Seegrasverpflanzungsprojekte und die Wiederherstellung von Steinriffen organisieren. Ihr Ziel ist es, sowohl Tauchern als auch Nichttauchern praktische Hilfsmittel an die Hand zu geben, die sie in ihrem Alltag zum Schutz der Ozeane einsetzen können.
Im Sommer 2024, als Watson inhaftiert wurde, war Helene frustriert über die begrenzte Berichterstattung der dänischen Medien über den Fall, was sie dazu veranlasste, ihn genau zu verfolgen und einen Artikel darüber zu schreiben. Helene verfasst regelmäßig Artikel für verschiedene Tauchmedien.
Sie finden Helene online unter www.underwaterambassador.com und auf Instagram.