Reise Wissen

Seatrekking – Der Weg ist das Ziel

Freediving, kombiniert mit Wandern. Eine nachhaltige Reisevariante mit erfreulich viel Nähe zur Natur.

TEXT: Nik Linder –

Orson Welles hasste das Reisen: »Auf Reisen verliert man sich«. Es gab Zeiten, da war das Reisen pandemiebedingt gelinde gesagt »anstrengend«. In dieser Zeit traf ich den Fotografen Tobias Friedrich am Flughafen in Frankfurt. Er kam aus Ägypten, ich aus Madeira. Beide verbrachten wir 3,5 Stunden am Gepäckband und warteten auf unsere Koffer.

Tja, Fliegen war zu diesem Zeitpunkt wirklich anstrengend. Dabei verliert man im günstigsten Fall die Contenance, häufig aber auch das Gepäck. Und wenn es ganz dumm läuft, ­den Verstand.

Eine ganz andere Art des Reisens ist das Seatrekking. Hierbei trägt man sein Hab und Gut auf dem Rücken. Darin ist alles enthalten, was man auf dem »Trail« braucht. Die Tasche ist zwar groß, aber zu klein, um Unnötiges mitzuführen. Mit dabei: Hygieneartikel, eine Matte, ein Schlafsack, ein Biwaküberzieher, falls es regnet, und Kochutensilien.

Insgesamt sind das zirka 18 Kilogramm an Equipment. Üblicherweise wird unter freiem Himmel übernachtet. Wer kein Zelt dabei hat, biwakiert. Damit befindet man sich in vielen Ländern in einem geduldeten Bereich. Denn wildes Zelten, was durch das »Jedermannsrecht« in Skandinavien kein Problem wäre, ist in Deutschland verboten. Die Natur soll nachts ebenfalls zur Ruhe kommen und eine Auszeit von uns Menschen haben.

Seatrekking – wie geht das?

Das wasserdichte Bigpack wird mit einem hochwertigen Rucksacksystem so lange auf dem Rücken getragen, bis man ans Wasser kommt. Dann wird das Tauch-Equipment, bestehend aus Anzug, Flossen, Maske, Schnorchel und Flugblei, ausgepackt und angezogen.

Das Wander-Outfit wandert dafür in die Tasche, und diese wird sorgfältig verschlossen und mithilfe eines Ventils aufgeblasen. So wird daraus eine schwimmende Boje. Mit einer flexiblen Leine wird die Tasche mit dem Bein verbunden und ohne großen Aufwand hinterhergezogen.

Danach entdeckt man Gewässer und Ufer als ein 360-Grad-Erlebnis über und unter Wasser. Dabei entdeckt man, wie sich die Landschaft unter der Wasseroberfläche fortsetzt und kann Spalten, Kavernen und vieles mehr untersuchen. Ist man genug »gewandert«, verlässt man das Gewässer wieder und sucht sich einen geeigneten Lagerplatz, an dem man kocht und die Nacht unter freiem Himmel verbringt.

Rücksichtsvolles Reisen

Beim Seatrekking gilt, dass man möglichst keine Spuren hinterlässt. Offene Feuer bieten zwar Lagerfeuerromantik, sind aber auch aufgrund der Trockenheit und der Waldbrandgefahr im Sommer kaum noch möglich. Ein Lagerplatz im Wald wird ebenfalls in die Natur integriert, und eine Machete kommt dabei nicht zum Einsatz.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Wenn das Lager wieder abgebaut ist, erinnert im besten Fall nichts an die Übernachtung. Menschliche Hinterlassenschaften, die normalerweise in einem WC auf Nimmerwiedersehen verschwinden, müssen in der Natur vergraben werden. Das rücksichtsvolle Miteinander schließt auch Tierbegegnungen mit allem, was da kreucht und fleucht, mit ein.

Abenteuer vor der Haustür

Besonders nachhaltig wird das Seatrekking, wenn man nicht stundenlang mit dem Auto zu den kroatischen Inseln in der Adria oder den italienischen oder französischen Inseln des Mittelmeers fährt oder nach Asien fliegt. Auch wenn sich dort wunderbare Küstenlinien befinden, an denen man perfekt seatrekken kann.

Es geht auch anders: Man kann die Faszination des Seatrekkens auch im See oder im Fluss vor der Haustür erleben. Aufgrund der Reisebeschränkungen der letzten zwei Jahre haben viele Menschen die nähere Umgebung wiederentdeckt. Das Erkunden der unmittelbaren Umgebung hat den Vorteil, dass man das Ganze als Tages- oder auch Wochenend-Tour machen kann. Nicht jeder möchte gleich eine oder mehrere Nächte in der Natur verbringen.

Thema Sicherheit

Eigenverantwortliche Trails sollten umsichtig geplant werden. Wie ist das Wetter? Wieviel Wind und von welcher Richtung ist er zu erwarten? Hat man mit dem Mobiltelefon Netz, um im Notfall Hilfe zu organisieren? Wie sieht die Hilfe aus, wenn kein Zugang vom Land möglich ist? Man braucht eine Reihe von Notfallnummern, nicht zuletzt die von der Wasserschutzpolizei.

Mittlerweile haben sich satellitengestützte Notfallsysteme und GPS-Tracker wie beispielsweise von Garmin bewährt. Eine andere Möglichkeit ist ein geführter Trail mit Bernhard Wache (bernhardwache.com): Er hat das Seatrekking vor vielen Jahren erfunden und mit der Firma Aetem auch die passenden Taschen dazu hergestellt. Heute arbeitet er als Land-Art-Künstler und Ocean-Guide und veranstaltet Trails vor allem im kroatischen Cres.

Das Besondere

Wenn man das erste Mal einen Trail startet, denkt man vor allem an das Ankommen. Sobald die erste Stunde treibend und schnorchelnd im Gewässer hinter einem liegt, versteht man, dass man bei dieser Art des Reisens überhaupt keine Eile hat. Denn es steht nicht viel auf dem Programm: schwimmen, pausieren, trinken, ankommen, essen, schlafen und am nächsten Morgen damit weitermachen.

© Cedric Schanze

Das Handy ist verstaut und meist aus, damit man im Notfall noch genug Akkuladung hat. Damit fehlt die Ablenkung durch Social Media, E-Mails, Whatsapps, News Messenger und sonstiges. Es gibt auch kein abendliches Entertainment, abgesehen von den Gesprächen mit den Mitreisenden.

Es gibt keinen Fernsehen, der Sternenhimmel ist eindrücklich genug. Und wenn Orson Welles meint, »beim Reisen verliere man sich«, dann hat dieser Verlust beim Seatrekking nur angenehme Seiten – wenn sich aufgrund fehlender Alltagsgegenstände die Gedanken verändern, und man beim Einschlafen unter dem funkelnden Sternenzelt merkt, dass man gar nicht so viel braucht, um glücklich zu sein.