„Kind, geh zur Schule, mach deinen Abschluss, und dann steht dir die Welt offen“ – das haben wohl die meisten von uns von den Eltern zu hören bekommen. Madison Stewart nicht. Als die Australierin mit 14 beschloss, die Schule zu schmeißen, bekam sie keine Predigt, sondern eine Unterwasserkamera. Bezahlt von dem Geld, das ihre Eltern an Schulgebühren sparten. Eine ungewöhnliche Investition, die sich gelohnt hat: Ende letzten Jahres wurde die heute 24-Jährige für ihren mittlerweile zehnjährigen Kampf gegen das globale Haisterben von der Australian Geographic Society als „Young Conservationist of the Year“ ausgezeichnet. Ihr Ziel war das nie: „Eigentlich wollte ich zur Uni gehen und Meeresbiologin werden“, sagt sie. „Bis zu diesem einen, lebensverändernden Tauchgang am Great Barrier Reef …“
Ein Tauchgang, auf den sie sich besonders gefreut hatte. Ein Gebiet, das sie vielfach betaucht und beschnorchelt hatte. „Ich wusste, dass ich auf eine große Gruppe Grauer Riffhaie treffen würde“, sagt sie. „Sie waren immer dort. Sie waren es, die meine Liebe für Haie überhaupt erst weckten, als ich sie mit zwölf Jahren bei meinem ersten Tauchgang sah. Ihre Größe und Kraft waren überwältigend. Sie waren aber überhaupt nicht aggressiv, sondern wollten einfach nur mit mir abhängen.“Wie Mädels das eben so tun. Aber sie waren nicht da. Das ganze Riff wirkte fast wie ausgestorben. Ein Schlüsselmoment in Madisons Leben. Sie wollte nicht mehr als Meeresbiologin einfach nur forschen, nein, sie wollte als Aktivistin etwas tun, um die Haie zu retten. Also brach sie die Schule ab und bekam ihre Unterwasserkamera.
von den Behörden ignoriert
„Ich dachte, wenn ich das, was ich unter Wasser sehe, festhalte und den zuständigen Behörden zeige, kann ich bei ihnen ein Umdenken erwirken, dann kann ich die Welt verändern“, sagt sie. „Ich dachte, ich könnte sie dazu bringen, den Haifang im Besonderen, aber auch die Massenfischerei mit all ihrem Beifang im Allgemeinen zu stoppen.“ Ohne Erfolg. Meist bekam sie nicht einmal eine Antwort, im besten Fall lediglich ein Dankesschreiben, in dem zwischen den Zeilen stand: Kein Mensch hat sich die Mühe gemacht, sich dein Material überhaupt anzusehen. Manch einer hätte seine Bemühungen an dieser Stelle vermutlich frustriert begraben. Aber nicht Madi. „Haie sind meine Familie – und niemand legt sich einfach so mit meiner Familie an!“
Mit Bildern gegen die Angst
Statt ihre Wut auf die Behörden weiter ins Nichts laufen zu lassen, beschloss sie, sie mit der Welt zu teilen. Mit ihren Videos und Dokumentationen will sie aufklären und die Aufmerksamkeit der Menschen auf den Schutz der Tiere lenken. „Haie werden immer als blutrünstige Menschenfresser, als gefährliche Monster dargestellt“, sagt sie. „Die meisten bekommen nie in ihrem Leben einen wild lebenden Hai zu sehen. Das schürt natürlich zusätzlich Angst – Angst vor dem Unbekannten. Aber wenn ich ihnen das zeigen kann, was ich unter Wasser erlebe, dann werden sie ihre Meinung vielleicht ändern.“ Zeitgleich geht sie das Problem auf Seiten der Fischer an. Ihre aktuelle Doku „Blue – The Film“ drehte sie in einem Dorf in Lombok, Indonesien, wo es eine massive Haifisch-Industrie gibt. Dorthin will sie zurückgehen – nicht nur, um zu belehren, sondern um etwas zu verändern. „Die Menschen in diesen Dritte-Welt-Ländern töten die Haie nicht, weil sie es wollen, sondern weil zum einen die Nachfrage nach Hai-Produkten in den Erste-Welt-Ländern so groß ist, zum anderen, weil sie schlicht ihre Familien ernähren müssen.“
Madisons Ansatz: Sie müssen mehr durch den Tourismus verdienen, etwa indem sie Taucher und Schnorchler aufs Meer fahren. „Tourismus ist durchaus eine gute Sache“, sagt die 24-Jährige. „Sofern er nachhaltig ist. Wir müssten den Locals doppelt so viel bezahlen, wie sie in der Fischerei verdienen – das wären gerade mal um die 200 Euro pro Woche. Dann würden sie garantiert ihren Job wechseln, zumal sie nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Zeit für ihre Familien hätten.“
Ohne Haie kippen die Meere
Hoffnung hat das Shark Girl nicht. Will sie nicht. „Ich mag das Wort nicht. Zu hoffen bedeutet aufzugeben“, sagt sie. „Als wäre man machtlos. Aber das sind wir nicht. Ich tue lieber was!“ Etwas Hoffnung darf aber durchaus angebracht sein: Schätzungen zufolge werden weltweit um die 100 Millionen Haie pro Jahr getötet. Zum Vergleich: Gerade mal zwölf Menschen sterben im Schnitt pro Jahr an den Folgen eines Hai-Angriffs. Wenn aber erst der letzte Hai, der letzte Chef der Meere, der alles in Balance hält, gefischt ist, kippt ein ganzes Ökosystem. Das Ökosystem, das uns alle überhaupt erst am Leben hält.
– Stefanie Ann Will