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Das geheime Leben der Feuerwalzen

Sie verbringen ihr gesamtes Leben im offenen Ozean und werden oft übersehen, aber sie spielen eine wichtige Rolle im marinen Ökosystem: Pyrosomen. Dass sie ein bedeutendes Bindeglied im Nahrungsnetz der Tiefsee sind, zeigen Ergebnisse einer bislang einzigartigen Studie, die von einem internationalen Team unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel vor den Kapverdischen Inseln durchgeführt wurde.  
Als Bewohner des offenen Ozeans begegnet man ihnen nur selten in küstennahen Gewässern und an Stränden: Pyrosomen, aufgrund ihrer hellen Biolumineszenz auch Feuerwalzen genannt. Sie setzen sich aus vielen kleinen Einzeltieren zusammen, die gemeinsam in einer röhrenformigen Matrix ummantelt sind. „Unsere Studie ist einzigartig, weil wir Unterwasserbeobachtungen, Beprobung und genetische Analysen kombiniert haben und so verschiedene neue Einsichten in die Ökologie gewinnen konnten“, sagt Vanessa Stenvers vom GEOMAR, Erstautorin der Studie. Während der Expeditionen 2018 und 2019 wurden die Organismen mit dem Forschungstauchboot JAGO und ein speziell konstruiertes, geschlepptes Kamerasystem (PELAGIOS) beobachtet, sowie über Netzfänge und Wasserprobennahmen untersucht. 

Pyrosoma (Feuerwalzen) wandern täglich in der Wassersäule auf und ab, um in den oberen Meereschichten zu fressen. Durch diese Wanderung tragen sie zum Kohlendioxid-Kreislauf der Meere bei. Foto: PELAGIOS, GEOMAR

„Unsere Untersuchungen zeigen, dass Pyrosomen ein wichtiges biologisches Substrat in der Wassersäule bilden, das andere Tiere zur Besiedlung, als Unterschlupf und/oder als Nahrungsquelle nutzen“, erläutert Vanessa Stenvers. „Wir haben abgeschätzt, dass Pyrosoma atlanticum während der Blütezeit bis zu 0,28 m2 Substratfläche pro Quadratmeter Gesamtfläche für andere Tiere zur Verfügung stellt. Das ist eine riesige Zahl, wenn man bedenkt, dass es im Freiwasser sonst kaum Strukturen gibt“, so die Meeresbiologin. 
„Ferner fanden wir heraus, dass Pyrosoma atlanticum eine wichtige Rolle beim vertikalen Transport von organischem Kohlenstoff in den Gewässern um die Kapverdischen Inseln spielt“, erläutert Dr. Henk-Jan Hoving, Leiter der Tiefseebiologie-Arbeitsgruppe am GEOMAR. Pyrosomen wandern täglich in der Wassersäule auf und ab, um nachts in den produktiven oberen Meeresschichten zu fressen. In der Abenddämmerung wandern sie zurück in tiefere Wasserschichten. Während dieser Wanderung transportieren sie aktiv ihre Ausscheidungen in die Tiefe, während sie auch Kohlenstoff durch Atmung ausscheiden. „Dieser vertikale Transport von Pyrosomenmaterial wurde bisher nur theoretisch abgeschätzt, aber wir konnten mit dem Nachweis von DNA aus Wasserproben zeigen, dass Pyrosomenmaterial auch unterhalb ihres Wanderungsbereichs nachgewiesen werden kann, also in den tiefen Ozean absinkt“, erklärt Dr. Hoving.  
Ein weiterer Weg für Pyrosomen, zum Kohlenstoffkreislauf beizutragen, sei durch das Absinken absterbender Organismen zum Meeresboden, wo sie wieder als Nahrung für dort lebende Organsimen fungieren, so der Meeresbiologe. Mit dem Tauchboot JAGO konnte beobachtet werden, dass die Feuerwalzen am Meeresboden von Krebstieren wie zum Beispiel großen Krabben, Garnelen und Einsiedlerkrebsen gefressen wurden, was ihre Rolle als Nahrungsquelle für benthische Organismen verdeutlicht. 


Überraschung in der Tiefsee

Schwämme hinterlassen Spuren am Meeresboden der Tiefsee. Die Unterwasseraufnahmen haben Forscher des Alfred-Wegener-Instituts auf einer Polarstern-Expedition in der Arktis mit Hilfe von mit dem OFOBS (Ocean Floor Observation and Bathymetry System) erstellt. Foto: AWI OFOBS Team PS101

Sie gelten als eine der primitivsten Formen tierischer Lebewesen, denn sie weisen weder Fortbewegungsorgane noch ein Nervensystem auf: Schwämme. Jetzt hat ein internationales Team um die Tiefseeforscherin Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- Meeresforschung (AWI) entdeckt, dass Schwämme in der arktischen Tiefsee Spuren am Meeresboden hinterlassen. Sie schließen daraus, dass die Tiere sich aktiv fortbewegen könnten – wenn auch nur mit wenigen Zentimetern pro Jahr. Diese einmaligen Erkenntnisse veröffentlichen sie jetzt in der Zeitschrift Current Biology. 
Aus diesen Beobachtungen erwachsen viele Fragen: Warum bewegen sich die Schwämme? Und wie orientieren sie sich? Mögliche Gründe für die Fortbewegung könnten Nahrungssuche, die Vermeidung ungünstiger Umweltbedingungen oder die Verbreitung der Nachkommen sein. Gerade die Nahrungssuche spielt in nährstoffarmen Ökosystemen wie der arktischen Tiefsee eine große Rolle. Dort haben die Schwämme ohnehin eine wichtige Funktion, denn als Filtrierer können sie Partikel und gelöste organische Substanzen verwerten und sind mit Hilfe ihrer bakteriellen Symbionten intensiv am Nährstoffrecycling beteiligt. Außerdem bilden Schwämme mit ihren Strukturen einen Lebensraum für arktische Fische und Garnelen. Den Mechanismen der Fortbewegung müssen die Wissenschaftler jedoch noch weiter nachgehen. 


Kurz notiert

Tausende von undichten Fässern mit DDT vor L.A. gefunden

Auf dem Meeresboden vor der Küste von Los Angeles haben Wissenschaftler mehr als 27.000 Fässer gefunden, von denen viele mit dem heute verbotenen Insektizid DDT gefüllt sind. Die Fässer wurden während einer im März durchgeführten Kartierung entdeckt, bei der die Forscher mithilfe hochauflösender Bilder 15.000 Hektar Meeresboden in Wassertiefen von bis zu 900 Metern scannten. Dieses Gewässer wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts als Mülldeponie genutzt, bis die USA 1972 den Ocean Dumping Act einführten. 

Lesenswert: Trinacria – oder Warum Sizilien archäologisch auch unter Wasser so spannend ist

Trinacria, der alte Name für Sizilien, wurde in den letzten Jahrzehnten umfangreich von Archäologen über wie unter Wasser erforscht. Dabei hat die Zusammenarbeit zwischen den sizilianischen und internationalen Partnern äußerst spannende und wichtige Ergebnisse zur Geschichte Siziliens hervorgebracht, die die Archäologen in diesem Buch jetzt vorstellen. Oxbow Books, 240 Seiten, auf Englisch. Preis:  79,40 Euro.