News

Sensations-Spot Hadera: Das Rätsel der Düsteren Haie

Hai und Taucher
HIER finden Sie den zughörgen Artikel der Juni-Ausgabe. Doch das ist nicht alles: TAUCHEN-Autor Daniel Brinckmann hat nicht nur einen Artikel geschrieben, sondern auch exklusive Filmaufnahmen der Düsteren Haie gemacht! Außerdem hat er sich ausführlich mit der Haiforscherin Adi Barash über ihre Arbeit unterhalten. Auch darüber, was  für Konsequenzen Haitourismus für den Haischutz haben kann.

Exklusive Filmaufnahmen des Spots vor Hadera

In Israel ist die Hai-Forschung so jung wie Bevölkerung selbst. Andere Wissenschaftler mögen Grundlagen geschaffen haben, doch die Pionierin in dieser Disziplin ist eindeutig Doktorandin Adi Barash vom Leon Charney Institut der Universität von Haifa. Vor sieben Jahren hat die 40-Jährige erstmals die Arten-Vielfalt von Knorpelfischen vor den Küsten Israels zum Forschungsinhalt gemacht. Logisch, dass die Hai-Ansammlungen vor den Kraftwerken am Mittelmeer dabei bis heute einen Schwerpunkt bilden.

 Adi Barash mit einem Baby-Hai in den Händen
Foto: Mey-tal Gewing.  Adi Barash hat ihr Leben ganz der Hai-Forschung gewidmet.

Interview und Übersetzung: Daniel Brinckmann

TAUCHEN: Wann haben Sie erstmals von den Hai-Vorkommen nahe der Kraftwerke erfahren?

Adi Barash: Berufsfischer und Angler berichten seit Jahren von Gruppen von Haien vor den großen Kraftwerken. Außerdem haben Tageszeitungen schon vor etwa zehn Jahren entsprechende Fotos veröffentlicht. Die ersten waren vermutlich von den Hammerhaien bei Ashkelon.

TAUCHEN: Bezüglich der Frage, ob die erhöhte Wassertemperatur oder der hohe Sauerstoffgehalt im Wasser vor den Pipelines die Haie anzieht, gehen die Meinungen auseinander. Welchen Faktor halten Sie für entscheidend?

Barash: Beides ist wahrscheinlich, aber auch Abwässer und organisches Material könnten dazu beigetragen haben, dass es dort eine Großfisch-Fauna gibt, die sonst nicht existieren würde. Das gilt nicht nur für Haie und Rochen, sondern auch deren Beutetiere. Der Fluss Hadera, der unmittelbar neben dem Kraftwerk ins Meer mündet, wurde bis 2013 zum Entsorgen von Schlachtereiabfällen genutzt. Mein damaliger Vorgesetzter nannte die Mündung immer „Hühnersuppe.“ Natürlich ist das ein spezifischer Faktor in Hadera, der aber dazu beigetragen haben könnte, dass das Gebiet Haie anzieht. 

TAUCHEN: Wie viele Haie finden sich in etwa zeitgleich vor den verschiedenen Kraftwerken ein?

Barash: Ich würde sagen, in Hadera sind es zwischen 30 und 50 zugleich und etwa 15 bis 30 in Ashkelon. In Ashdod ist es schwer für uns zu sagen, weil wir dort keinen Zugang erhalten und auch keine Drone einsetzen dürfen. Die Verhältnisse zwischen den beiden Hai-Arten und ihrem saisonalen Auftreten an den verschiedenen Kraftwerken schwanken obendrein. In Hadera und Ashkelon sind Haie von Dezember bis März präsent, während sie in Ashdod üblicherweise nur zwischen März und April beobachtet werden. In Ashkelon ist der Prozentsatz der Sandbankhaie höher, die in Hadera in der Vergangenheit rausgefischt wurden. Damals war es so, dass man ein paar sah und ein paar Tage später hat sie jemand rausgezogen. Seit die geltenden Gesetze wirklich umgesetzt werden beobachten wir die Haie in größerer Anzahl und über einen längeren Zeitraum.

TAUCHEN: Mit welcher Methode haben Sie diese Ansammlungen untersucht? 

Barash: Um der Häufigkeit der Hai-Sichtungen und dem Trend über die Jahre auf die Spur zu kommen, haben wir haben Interviews sowohl mit jüngeren als auch älteren Fischern geführt, die in den vier Kraftwerks-Gebieten und benachbarten Häfen angeln oder geangelt haben. Dabei haben wir nur zwische Hammerhaien und „normalen“ Haien unterschieden weil es nahezu unmöglich ist, die verschiedenen Arten so zu identifizieren. Im Vergleich zu den Kraftwerken waren die Sichtungen in den Häfen waren deutlich rarer, und in den 1970ern wurden Haie nur selten beobachtet.  

TAUCHEN: Abgesehen von den Hammerhaien scheint die Zahl der Haie im Sümpfungswasser der Kraftwerke kontinuierlich zu steigen. Abgesehen vom „biologischen Gedächtnis“ was die  potentielle Futterquelle angeht – ist es möglich, dass die Vergrößerung der Fabriken über die Jahre mit immer größeren Warmwasser-Bereichen und höherem Sauerstoffgehalt durch stärkere Pipelines für das Wachstum der Ansammlungen verantwortlich sind?

Barash: Das könnte durchaus sein, da die Tiere vor 20 Jahren noch kein normaler Anblick waren. Es ist andererseits aber auch schwierig zu verifizieren, weil das allgemeine Verbot des Haifangs zwar 2008 in Kraft getreten ist, aber erst vier Jahre später wirklich kontrolliert wurde. Als sie noch gefischt wurden, kamen und verschwanden sie, aber heutzutage sind sie eine Konstante und ihre Zahl vor den Kraftwerken wächst definitiv.

Foto: Daniel Brinckmann
Foto: Daniel Brinckmann.  Solo-Tauchgänge sind in Israel ebenso verboten wie Ködern. Auch andere Tricks zum Anlocken verbieten sich bei der schlechten Sicht.   

TAUCHEN: Fußnoten in Ihrem Aufsatz legen nahe, dass während illegalen Fangaktionen im Jahr 2009 etwa 1000 Haie getötet wurden und im Folgejahr noch einmal 100. Vor dem Hintergrund des rapiden Verschwindens der Großhaie im Mittelmeer ist es verwunderlich, dass die lokalen Bestände nicht kollabiert sind wie anderswo.

Barash: Dazu muss man verstehen, dass unsere Hai-Bestände wirklich ziemlich gut sind. Wenn ich Proben von hundert Sandbankhaien bekomme, die als Beifang geendet sind, bedeutet das, dass da draußen Tonnen dieser Hai-Art herumschwimmen. Früher kamen die Leute nach Hadera um Truckladungen von Haien aus dem Meer zu ziehen und sie in Gaza zu verkaufen und als die Tore zum Parkplatz dafür geschlossen wurden kamen sie eben per Boot. Bevor die geltenden Gesetze in die Tat umgesetzt wurden, war illegale Fischerei durchaus ein Problem und deshalb ist die Durchsetzung geltenden Rechts auch ein Bestandteil unseres Aktionsplans. Je mehr Polizisten und Militärangehörige von den Haien wissen, desto besser. In der Vergangenheit stand mein Vorgesetzer  als Chef der Meeresbehörde an der Grenze zu Gaza und sagte den Grenzschützern, dass sie den Weitertransport von Rochen nicht zulassen sollen. Mit den Haien war es ähnlich, aber Gaza wirft nicht viel Geld ab und die Behörden achten nun darauf, sodass es kaum noch Potential für einen Schwarzmarkt gibt. 

TAUCHEN: Können sie den Aktionsplan etwas genauer beschreiben?

Barash: Er wurde 2015 von Dr. Assaf Harel und mir entworfen um den Status der Haie und Rochen in unserer Region aufzuarbeiten. Unsere Idee war, ein Dokument anzufertigen, das alle Daten einschließt, die wir bislang zu den entsprechenden Arten gesammelt haben und so als Grundlage für Entscheidungsträger dient. In diesem Dokument haben wir auch erwiesene und mutmaßliche Schlüsselgebiete für Haie und Rochen in Israel identifiziert und Maßnahmen wie eben die Durchsetzung geltenden Rechts empfohlen um den Schutz dieser Gebiete und der entsprechenden Arten voranzutreiben.         

TAUCHEN: In Anbetracht der recht gesunden Hai-Bestände und dem Status von Israel als einziges Hai-Schutzgebiet am Mittelmeer – glauben Sie, dass diese Reliktbestände das Aussterben von Düsteren Haien und Sandbankhaien im gesamten Mittelmeer verhindern können.

Barash: Ja, davon bin ich überzeugt. Wenn die Durchsetzung des allgemeinen Fangverbotes nach  wenigen Jahren sichtbar positive Ergebnisse mit sich bringt – und das, obwohl die Tiere viele Jahre bis zur Geschlechtsreife brauchen und obendrein geringe Reproduktionsraten haben – dann können wir unseren Teil dazu leisten, sie vor dem Verschwinden zu bewahren auch wenn das lange dauern mag. Dasselbe gilt übrigens auch für einige Arten von Rochen.

TAUCHEN: Glauben Sie, dass es Kinderstuben vor der Küste gibt?

Barash: An den Kraftwerken haben wir bislang keine neugeborenen Düsteren Haie angetroffen, entsprechend sehen wir diese Gebiete nicht als Kinderstuben für diese Art an. Allerdings haben wir schon oft schwangere Weibchen beobachten können. Ebenso wie Jungtiere von Sandbankhaien, weshalb eine Kinderstube zumindest für diese Art recht wahrscheinlich ist, die allerdings lange Wanderungen unternimmt. Im November 2015 hatte ich beispielsweise ein Weibchen fernab der Kraftwerke markiert, das innerhalb von sechs Wochen erst vor die Küste des Libanon geschwommen und nach einer Stippvisite in Israel weiter gezogen ist nach Zypern, wo der Sender wieder auftauchte.

TAUCHEN: Schlägt sich die wachsende Anzahl der Haie bei den Kraftwerken auch in häufigeren Sichtungen durch Taucher an ganz normalen Tauchplätzen nieder?

Barash: Ich würde nicht sagen, dass Taucher ihnen allzu oft begegnen, aber die Zahl der Beobachtungen steigt. Die meisten Meldungen gibt es aus dem Norden des Landes, was damit zusammenhängen mag, dass es dort ein großes Meeresschutzgebiet gibt. Andererseits bietet der Süden Israels aufgrund der sandigen Küste schlechtere Bedingungen und entsprechend sind dort weniger Taucher unterwegs. Die weitaus meisten Begegnungen gibt es mit Sandbankhaien, der vor unseren Küsten mit Abstand häufigsten Art. Düsteren Haien begegnen Taucher fast nur bei Hadera. 

TAUCHEN: Das ist recht überraschend weil Sandbankhaie und Düstere Haie generell eigentlich ähnliche Vorlieben haben was ihren Lebensraum angeht…

Barash: In Israel sind die Verhältnisse recht spezifisch und ungewöhnlich. Die Düsteren Haie scheinen wegen der Kraftwerke hier zu sein und zum aktuellen Zeitpunkt habe ich keine Ahnung, wo sie herkommen, weshalb genau sie es tun und ob sie bei uns überhaupt als Küsten-gebundene Art angesehen werden kann.

TAUCHEN: In Ihrer Arbeit haben sie mittels DNA-Analysen neben den angestammten Düsteren Haien auch das Vorkommen von Artgenossen nachweisen können, deren Vorfahren vermutlich über den Suez-Kanal ins Mittelmeer eingewandert sind. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus zweifellos eine Sensation – für einen Laien ist es mehr als überraschend, dass Sie überhaupt darauf gekommen sind…

Barash: Zwischen 1998 und 2002 hat der IUCN nur zwanzig Düstere Haie im gesamten Mittelmeer erfasst, also warf ihr Vorkommen offensichtlich Fragen auf. Wenn man hier lebt und über irgendetwas ungewöhnliches im Meer stolpert, schaut man zu allererst aufs Rote Meer. Schließlich haben wir eine Vielzahl eingewanderter Fischarten. Auch die Tatsache, dass Düstere Haie zur kältesten Jahreszeit spezifisch die warmen Kraftwerks-Gewässer ansteuern, deutet auf eine Vorliebe für wärmeres Wasser hin. Ich habe dazu meine DNA-Proben mit jenen vorangegangener Forschungen im Westatlantik und Indopazifik verglichen.       

Foto: Daniel Brinckmann
Foto: Daniel Brinckmann. Adi Barash entwickelte vor zwei Jahren einen Aktionsplan zum Schutz von Haien und Rochen mit, der striktere Strafverfolgung, verbesserte Gesetzgebung und den Schutz der Biotope vorsieht.

TAUCHEN: Wie steht es mit anderen Grauhai-Arten wie Schwarzspitzen-, Spinner- und Kupferhaien, die laut Expertenmeinungen vor der Levante und Nordafrika häufiger sein sollen als im restlichen „erschlossenen“ Mittelmeer?

Barash: Sie kommen hier nicht wirklich vor. Wir haben den Nachweis eines schwangeren Spinnerhai-Weibchens aus dem offenen Meer und es ist denkbar, dass solche Tiere bei der Fischfarm von Ashdod auftauchen, aber das wären Ausnahmefälle. Auch in dieser Hinsicht ist die recht flach abfallende Mittelmeer-Küste Israels recht speziell. Wir haben nicht mehr als zwei Nachweise von Blauhaien (Anm. des Autors: die grundsätzlich noch häufigste Großhai-Art im Flachwasser des Mittelmeers). Gelegentlich werden Makos gesichtet und in der Vergangenheit sind wir recht häufig Hammerhaien begegnet, was allerdings nicht mehr üblich ist und uns Sorge  bereitet.      

TAUCHEN: Wie bewerten sie die Rolle der Öffentlichkeit, insbesondere der Medien?

Barash: Am wichtigsten ist es, dass die Leute sich mit dem Gedanken anfreunden, dass es im Meer nun einmal Haie gibt. Die Medien werden berichten, was sie berichten wollen und eine Menge von dem Zeug ist ziemlich lächerlich. Zum Beispiel der Vorfall vor Jahren in der Fischfarm von Ashdod, als ein Taucher in die Hand gebissen wurde als er versuchte, einen Hai wegzuschaffen, der sich in einen Fischkäfig verirrt hatte. Es wurde berichtet, dass die Hand abgebissen wurde, was nicht stimmt. Offensichtlich wurde die Hand auch nicht wieder angenäht wie berichtet, weil sie halt nie abgetrennt wurde. Eine ziemlich witzige Sache ist ein bestimmter Mako den wir Amazia getauft haben, was ein Wortspiel mit dem hebräischen Namen der Art ist. Das ist unser Hai mit den sieben Leben und Seelen. Vor Jahren wurde er bei Herzliya an den Strand gespült wo er starb. Aber in den Medien feiert er jedes Jahr seine Auferstehung um dann wieder zu sterben. Unsere Strategie um diesem Verhalten etwas entgegen zu setzen, ist, einfach so laut wie möglich „Hai! Hai! Hai!“ zu schreien bis sich die Leute langweilen und das Thema ignorieren.

TAUCHEN: Heutzutage sieht sich Hadera anderen Herausforderungen gegenüber – zahlreiche regionale Touristen, Nichttaucher wie Taucher, kommen dorthin in der Hoffnung, die Haie live zu erleben. Wie bewerten Sie diese Art Aufmerksamkeit?

Barash: Tja, man sollte besser niemanden ins Wasser mitnehmen, den man nicht gut kennt oder traut. Es ist schlauer, sich einem professionellen Anbieter anzuschließen und dessen Regeln zu befolgen. Taucher wollen überall dort ins Wasser wo es Haie gibt und viele Haie sind gleichbedeutend mit zu vielen Tauchern. Ich hoffe, dass die Haie im Nationalpark im Norden präsenter werden sodass ihnen Taucher in ihrem natürlichen Lebensraum begegnen. Unsere Einstellung als Wissenschaftler gegenüber direkt oder indirekt von Menschenhand geschaffenen Hai-Plätzen ist sehr ambivalent. So stellen tote Fische in einer Fischfarm eine einfache Nahrungsquelle dar, was mit den normalen Wanderungsbewegungen der Sandbankhaie zur Futtersuche und zur Paarung kollidieren könnte. Andererseits haben wir dort Tiere mit deformiertem Kiefer und fehlenden Flossen-Stücken dokumentiert, die vermutlich nur so überleben können.

TAUCHEN: Sporttaucher zählen zu den wichtigsten und besten Anwälten der Haie – gibt es etwas, womit sie helfen können? 

Barash: Wir können immer Leute brauchen, die ihre Beobachtungen teilen. Es ist unglaublich, wie viele Teile uns im Puzzle noch fehlen und wir schätzen es sehr, wenn Taucher ihre Augen aufhalten und Informationen in unserer Facebook-Gruppe „Sharks in Israel“ teilen, die immerhin schon 5000 Mitglieder hat.

Neugierig geworden?

Mehr Infos gibt’s HIER im Print-Artikel (auch als epaper verfügbar).